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Symposium Idiopathic Intracranial Hypertension (Pseudotumor cerebri)

07.10.2017, Düsseldorf

Medikamentöse Therapieoptionen, Nebenwirkungen, Komplikationen, Therapiekontrolle, Langzeitergebnisse

Meeting Abstract

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  • Klaus-Dieter Willenborg - Kevelaer

Symposium Idiopathic Intracranial Hypertension (Pseudotumor cerebri). Düsseldorf, 07.-07.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. Doc17siih07

doi: 10.3205/17siih07, urn:nbn:de:0183-17siih079

Published: November 30, 2017

© 2017 Willenborg.
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Eine individualisierte Therapie dient entsprechend dem Schweregrad der Erkrankung in ihrer Eskalation der Behandlung oder der Protektion einer Sehverschlechterung bzw. des Papillenödems. Am Anfang steht eine detaillierte Aufklärung der Betroffenen über das Krankheitsbild und insbesondere über den Zusammenhang zwischen Übergewicht und den Kopfschmerzen sowie einem drohenden Visusverlust. Dann werden insbesondere bei Stauungspapillen zunächst rezidivierende Liquorpunktionen vorgenommen, und parallel wird ein Programm zur Gewichtsreduktion initiiert. Bei den seriellen Liquorpunktionen bleibt zu berücksichtigen, dass sich nach ungefähr 6 h die Druckverhältnisse im Sinne eines sehr kurzen therapeutischen Effektes wieder angepasst haben. Ein postpunktionelles Liquorunterdrucksyndrom ist bei Patienten mit einem Pseudotumor cerebri selten und sollte nochmals zu einer Überprüfung der Diagnose führen. Technisch sind die Punktionen leider bei meist adipösen Betroffenen erschwert und oft schmerzhaft. Die Punktion dient in erster Linie der raschen und nachhaltigen Senkung des Liquordruckes, wobei der Notfallcharakter vom Sehvermögen und der Kopfschmerzintensität diktiert wird, gefolgt von der Behandlung einer möglicherweise zugrunde liegenden Erkrankung mit einer sekundären Hypertension. Für eine langfristig erfolgreiche Therapie ist eine deutliche Gewichtsreduktion bzw. -normalisierung essenziell, wobei diese bei 75 % aller betroffenen Frauen zu einer Besserung der Kopfschmerzen und zu einem Rückgang der Stauungspapillen führt. Die jährliche Inzidenz der idiopathischen intrakraniellen Hypertension liegt bei 1 bis 3,5 pro 100.000 Frauen [1] und steigt bei Frauen mit einem deutlichen Übergewicht auf 19 pro 100.000 an. Männer sind in einem Verhältnis von 1:8 merklich seltener betroffen als Frauen. Eine natriumarme und stark kalorienreduzierte Diät von 425 Kalorien täglich stellt eine wichtige Säule der Therapie dar [2]. Die erforderliche Gewichtsreduktion benötigt jedoch häufig realistischerweise mehrere Jahre, weswegen initial schnell wirksame Maßnahmen notwendig sind. Unterstützt werden können die Bemühungen bei therapieresistenten Fällen durch chirurgische Maßnahmen („gastric banding oder gastric bypass“), die aber unter Berücksichtigung ihrer möglichen Komplikationen nur nach kritischer Prüfung eingesetzt werden sollten.

Azetazolamid ist ein potenter Carboanhydrasehemmer, der die Liquorproduktion im Plexus choroideus vermindert [3]. Die Behandlung mit Azetazolamid stellte über Jahrzehnte die einzige medikamentöse Therapieoption, insbesondere bei leichten Stauungspapillen ohne eine relevante Visusminderung, und begleitend zu seriellen Liquorpunktionen bis zur Senkung des Liquordruckes unter 20 cm Wassersäule dar. Bei Patienten mit einer kontinuierlichen Hirndruckmessung konnte unter dieser Therapie eine Liquordruckreduktion nachgewiesen werden. Die Behandlung beginnt mit niedrigen Dosierungen von 250–500 mg täglich und kann bis auf eine Tagesgesamtdosis von 2000 mg, vereinzelt bis zu 4000 mg, verteilt auf jeweils 2 Einnahmezeiten gesteigert werden. Einer einschleichenden Dosierung kann in der Langzeitwirkung ein nachlassender Effekt folgen. Bei den potenziellen Nebenwirkungen müssen eine metabolische Azidose, Elektrolytschwankungen und die Gefahr einer Nephrolithiasis berücksichtigt werden, häufig beschreiben die Patienten digitale oder orale Parästhesien und eine Veränderung des Geschmacks (metallisch) sowie Übelkeit. Somit kommt das Medikament meist über durchschnittliche Zeiträume von 1 Jahr zum Einsatz [4], bevor Nebenwirkungen, ein Rebound oder ein Nachlassen des Effektes den Einsatz limitieren. Bei Kindern muss die Dosierung gewichtsadaptiert erfolgen mit meist 15–25 mg/kg Körpergewicht, täglich verteilt auf 3 Einzeldosen [5]. Sie kann maximal auf 100 mg/ kg Körpergewicht gesteigert werden. Eine erste randomisiert-kontrollierte Studie zur Therapie mit Azetazolamid zeigte in der Kombination mit einer natriumarmen Diät eine Reduktion von Sehstörungen, verringerte Papillenödeme und eine Senkung des intrakraniellen Druckes [6]. Azetazolamid ist ebenso wie die anderen genannten Medikamente nicht explizit zur Behandlung der intrakraniellen Hypertension zugelassen, der Patient muss auf einen „off-label-use“ aufmerksam gemacht werden.

Die Behandlung mit Azetazolamid kann in Kombination mit dem Schleifendiuretikum Furosemid (30–80 mg täglich) erfolgen.

Topiramat kann alternativ in einer Dosierung von 50–200 mg täglich eingesetzt werden, bei Kindern wird eine Dosierung von 1–2 mg/kg Körpergewicht angestrebt. Topiramat ist in seinem Effekt als Carboanhydrasehemmer zwar weniger potent als Azetazolamid, dafür kann es aber zu einer Gewichtsreduktion führen und findet seinen Einsatz auch in der Migräneprophylaxe. Die möglichen Nebenwirkungen in Form einer kognitiven Verlangsamung sind aus der Epilepsietherapie bekannt. Bei Kindern sollte das Medikament nur zurückhaltend eingesetzt werden [7], [8].

Steroide sollten wegen der Rebound-Gefahr und wegen der potenziellen Gewichtszunahme nicht langfristig eingesetzt werden. Bei Versagen der oben angegebenen medikamentösen Maßnahmen oder bei einem drohenden Visusverlust kann eine hoch dosierte Steroidtherapie z. B. mit 4-mal 8 mg Dexamethason täglich vor oder zur Überbrückung bis zu einer invasiven Maßnahme und begleitend zu einer lumbalen Liquorentnahme versucht werden. Ansonsten sollte der Einsatz aber vermieden werden.

Den konservativen und medikamentösen Therapieverfahren stehen die chirurgischen Interventionsmöglichkeiten bei einer progredienten Visusminderung, Gesichtsfelddefekten und Versagen der konservativen Therapie zeitnah z. B. mit einer Fensterung der Optikusscheide, einer ventrikuloperitonealen oder ventrikulolumbalen Shuntanlage mit Schwerkraftventil neben den modernen neuroradiologischen Behandlungsverfahren mit Sinusvenen-Stenting bei Stenosen oder Liquordruckgradienten gegenüber [9], auf die in einer gesonderten Übersicht eingegangen wird.


Literatur

1.
Kesler A, Gadoth N. Epidemiology of idiopathic intracranial hypertension in Israel. J Neuroophthalmol. 2001 Mar;21(1):12-4.
2.
Sinclair AJ, Burdon MA, Nightingale PG, Ball AK, Good P, Matthews TD, Jacks A, Lawden M, Clarke CE, Stewart PM, Walker EA, Tomlinson JW, Rauz S. Low energy diet and intracranial pressure in women with idiopathic intracranial hypertension: prospective cohort study. BMJ. 2010 Jul;341:c2701.
3.
McCarthy KD, Reed DJ. The effect of acetazolamide and furosemide on cerebrospinal fluid production and choroid plexus carbonic anhydrase activity. J Pharmacol Exp Ther. 1974 Apr;189(1):194-201.
4.
Kesler A, Hadayer A, Goldhammer Y, Almog Y, Korczyn AD. Idiopathic intracranial hypertension: risk of recurrences. Neurology. 2004 Nov;63(9):1737-9.
5.
Matthews YY. Drugs used in childhood idiopathic or benign intracranial hypertension. Arch Dis Child Educ Pract Ed. 2008 Feb;93(1):19-25. DOI: 10.1136/adc.2006.107326 External link
6.
Gaul C, Gerloff C. Idiopathische intrakranielle Hypertension (Pseudotumor cerebri). Akt Neurol. 2012;39:186-191. DOI: 10.1055/s-0032-1311613 External link
7.
Celebisoy N, Gökçay F, Sirin H, Akyürekli O. Treatment of idiopathic intracranial hypertension: topiramate vs acetazolamide, an open-label study. Acta Neurol Scand. 2007 Nov;116(5):322-7. DOI: 10.1111/j.1600-0404.2007.00905.x External link
8.
Loring DW, Williamson DJ, Meador KJ, Wiegand F, Hulihan J. Topiramate dose effects on cognition: a randomized double-blind study. Neurology. 2011 Jan;76(2):131-7. DOI: 10.1212/WNL.0b013e318206ca02 External link
9.
Bono F, Giliberto C, Mastrandrea C, Cristiano D, Lavano A, Fera F, Quattrone A. Transverse sinus stenoses persist after normalization of the CSF pressure in IIH. Neurology. 2005 Oct;65(7):1090-3. DOI: 10.1212/01.wnl.0000178889.63571.e5 External link