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GMDS 2014: 59. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

07. - 10.09.2014, Göttingen

Potenzial von Linked Data zur automatisierten Detektion bekannter unerwünschter Arzneimittelwirkungen

Meeting Abstract

  • T. Krahn - OFFIS - Institut für Informatik, Oldenburg
  • S. Gudenkauf - OFFIS - Institut für Informatik, Oldenburg
  • F. Müller - OFFIS - Institut für Informatik, Oldenburg
  • H.J. Appelrath - Universität Oldenburg, Oldenburg

GMDS 2014. 59. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Göttingen, 07.-10.09.2014. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2014. DocAbstr. 243

doi: 10.3205/14gmds128, urn:nbn:de:0183-14gmds1289

Published: September 4, 2014

© 2014 Krahn et al.
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Text

Einleitung und Fragestellung: Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) sind ein immenses Problem des deutschen Gesundheitssystems. Bei der medikamentösen Behandlung ist in insgesamt 5% aller Fälle mit UAW zu rechnen [1], wobei eine schwerwiegende UAW zu durchschnittlich 9 Tagen Krankenhausaufenthalt führt und Kosten in Höhe von ca. 2.250 Euro verursacht [2]. In Deutschland sind derzeit über 95.000 Arzneimittel zugelassen [3], wobei ein Medikament durchschnittlich ca. 100 verschiedene UAW hervorrufen kann. Insbesondere vor diesem Hintergrund ist es für Ärzte unmöglich, Patienten unter Berücksichtigung aller potenziellen Nebenwirkungen zu untersuchen, sodass häufig vermeidbare Fehldiagnosen und Folgekosten entstehen.

Aus informationstechnischer Sicht ist hingegen die Tendenz zu beobachten, dass Medikationen und Diagnosen zunehmend elektronisch erfasst werden. Gleichzeitig wird seitens zuständiger Behörden die Transparenzsteigerung über bekannte UAW forciert, indem diverse Arzneimitteldatenbanken öffentlich zugänglich gemacht werden. Da diese Datenbanken allerdings primär der manuellen Recherche für die Öffentlichkeit dienen und darüber hinaus kaum strukturierte Daten enthalten, eignen sie sich im Kontext der automatisierten UAW-Detektion höchstens zu Validierungszwecken. Im Gegensatz dazu wird im Rahmen der Linked Data-Verbreitung zunehmend strukturiertes Wissen über Arzneimittel und UAW verfügbar, deren Potenzial zur automatisierten Detektion bekannter UAW in der Forschung bislang nicht berücksichtigt wird. Hier eröffnet sich die Forschungsfrage, in wie weit diese Datenquellen zur automatisierten UAW Detektion herangezogen werden können.

Material und Methoden: Als Linked Data werden im Web veröffentlichte Daten bezeichnet, deren Bedeutung im Sinne des Semantic Web explizit definiert ist. Mittels Datenlinks wird auf andere Datenquellen referenziert, sodass ein globaler Datenraum entsteht.

Im Rahmen des „Linking Open Drug Data“ (LODD)-Projektes wird das Ziel verfolgt, Arzneimitteldaten als Linked Data-Quellen zu integrieren, um die Entwicklung neuer Therapieverfahren zu ermöglichen. Insgesamt sind mehr als 8 Millionen Dateneinträge als LODD verfügbar. Im Folgenden werden drei zentrale LODD-Quellen unter besonderer Berücksichtigung des Potenzials hinsichtlich der Verwendung im Rahmen einer automatisierten UAW Detektion näher erläutert [4].

1.
„Side Effect Ressource“ (SIDER): SIDER enthält Linked Data über zugelassene Arzneimittel und deren bekannte UAW. Um diese Datenbank aufzubauen, wurden umfangreiche Mining-Algorithmen auf öffentlich zugänglichen Packungsbeilagen durchgeführt. Während die Medikamente über ihren Wirkstoffnamen identifizierbar sind, werden die UAW in SIDER als „MedDRA-PT“ („Medical Dictionary for Regulatory Activities-Preferred Term“) aufgeführt.
2.
DailyMed: DailyMed ist eine Datenbank der US-amerikanischen "Food and Drug Administration“ (FDA) und enthält hochqualitative Fachinformationen zugelassener Tier- und Humanarzneimittel. So liegen bspw. auch die bekannten UAW in semi-strukturierter Form vor, da die Texte unverändert aus den Fachinformationen übernommen worden sind.
3.
DrugBank: DrugBank enthält sehr detaillierte Daten zu Arzneimitteln, wie bspw. Informationen zu typischen Patientengruppen, chemischen Bestandteilen und Dosierungsformen eines Medikaments, aber auch Angaben zu bekannten Wechselwirkungen. Medikamente werden bei DrugBank mittels ATC („Anatomisch-therapeutisch-chemisches Klassifikationssystem“) kodiert.

Diese Datenquellen sind aufgrund des unterschiedlichen Grades an Strukturiertheit einzeln nur eingeschränkt zur automatisierten UAW Detektion verwendbar: Zum einen hält SIDER zwar bekannte UAW in kodierter Form vor, wohingegen Medikamente nur als Wirkstoffname anstelle eines ATC-Codes enthalten sind. Zum anderen werden in den Datenbanken von DrugBank und DailyMed Medikamente zwar über die zugehörigen ATC-Codes angegeben, die UAW hingegen sind nur als textuelle Beschreibung enthalten. Bei näherer Betrachtung lässt sich allerdings ein erheblicher Mehrwert durch die integrierte Anfrage dieser drei Quellen erreichen: Der Substanzname eines Medikaments ist eindeutig auf das ATC-System abbildbar, sodass die Daten der oben aufgeführten Linked Data-Quellen kombiniert angefragt werden können. Demzufolge lassen sich aus diesen drei Quellen Medikamente prinzipiell mit ihren ATC-Codes in Kombination mit ihren bekannten UAW als MedDRA-Codes anfragen.

In Abhängigkeit der zu analysierenden Patientendaten ist jedoch voraussichtlich ein weiterer Übersetzungsschritt notwendig, um bekannte UAW mithilfe von Linked Data analysieren zu können. Zwar ist das ATC-System zur Kodierung von Medikamenten weit verbreitet, aber die potenziellen UAW werden als Diagnosen üblicherweise entsprechend des ICD-Klassifikationssystems kodiert. Aus diesem Grund haben wir im Rahmen des EU-Projektes SALUS [5] eine Infrastruktur erstellt, durch die der Datenzugriff auf Patientendaten aus heterogenen klinischen Informationssystemen standardisiert wird. Insbesondere wurde in SALUS eine Übersetzung von ICD zu MedDRA realisiert, sodass die automatisierte UAW-Detektion mittels der oben beschriebenen Linked Data-Quellen möglich wird.

Ergebnisse: Durch die kombinierte Anfrage an die drei oben beschriebenen Linked Data-Quellen sind insgesamt über 150.000 bekannte UAW zu Medikamenten anfragbar, wobei das Ergebnis dieser Anfrage das Medikament als ATC-Code, die UAW als MedDRA-Code, eine textuelle Beschreibung sowie eine Häufigkeitsangabe der UAW enthält. Zur Evaluation wurde ein Prototyp entwickelt und auf Abrechnungsdaten eines italienischen Datenbankbetreibers im Gesundheitswesen erprobt. Diese Datenbank enthält über 16 Millionen Patientenakten, wobei Diagnosen in ICD-9 kodiert sind, sodass eine Übersetzung von ICD zu MedDRA erforderlich ist. Zur Präsentation der Analyseergebnisse wurde eine Webanwendung implementiert, die bspw. auf einem mobilen Endgerät am Patientenbett eingesetzt werden kann. Neben den detektierten, bekannten UAW werden weitere klinische Patientendaten wie zusätzliche Diagnosen und Medikationen, aber auch Prozeduren und Laborwerte in einer chronologischen Zeitlinie visualisiert, um klinischen Experten den Kontext des Patienten transparent zu präsentieren. Darüber hinaus werden die aus den Linked Data-Quellen gewonnenen Häufigkeitsangaben in die Analyse einbezogen, um eine Aussage zur Wahrscheinlichkeit eines Kausalzusammenhangs zwischen Medikament und verdächtiger Diagnose zu unterstützen.

In ersten Testläufen konnte die Machbarkeit der Nutzung von Linked Data zur automatisierten Detektion von UAW gezeigt werden. Insbesondere wurde von den medizinischen Experten die Darstellung der Analyseergebnisse und des Patientenkontexts zur Validierung der verdächtigen Medikament/Diagnose-Kombination in der Webanwendung als erheblicher Mehrwert evaluiert.

Diskussion: Obwohl das Potenzial von Linked Data in der internationalen Versorgungsforschung bereits erkannt wurde, bleibt Linked Data im Rahmen einer automatisierten UAW-Detektion bislang unberücksichtigt. Als zentrale Fragestellung während der Evaluation hat sich herausgestellt, wie sinnvolle Betrachtungszeiträume für einen Kausalzusammenhang zwischen Medikamenten und Diagnosen definiert werden können. Basierend auf den Halbwertszeit-Angaben werden derzeit für diverse Medikamentengruppen Durchschnittswerte ermittelt, um diese in die Analyse einzubeziehen.

Insbesondere aufgrund der zunehmenden Digitalisierung in medizinischen Einrichtungen und der Big Data-Bewegung wächst die Forderung nach geeigneten, automatisierten Analysemethoden für das deutsche Gesundheitssystem. Das Linked Data-Konzept eröffnet neue Möglichkeiten für strukturierte Analyseverfahren und enthält ein bislang ungenutztes Potenzial, wie die hier vorgestellten Forschungsergebnisse zeigen.

Förderhinweis: Die Forschungsarbeiten, die zu diesen Ergebnissen geführt haben, wurden gemäß der Finanzhilfevereinbarung Nr. ICT-287800 im Zuge des Siebten Rahmenprogramms der Europäischen Union (RP7/2007-2013) gefördert.


Literatur

1.
Thürmann PA, Schmitt, K. Detection and evaluation of adverse drug effects. Med Klin (Munich). 2000 Mai; 95:4-8.
2.
Carter RS, Stoller R, Russmann S. Arzneimittelsicherheit. In: Kullak-Ublick GA, Siepmann T, Kirch W, Hrsg. Arzneimitteltherapie – Wirksamkeit - Sicherheit - Praktische Anwendung. Stuttgart: Georg Thieme Verlag; 2012. S. 27-52.
3.
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte [Internet]. Verkehrsfähige Arzneimittel im Zuständigkeitsbereich des BfArM; letztes Update: 17. März 2014. Verfügbar unter: http://www.bfarm.de/DE/Service/Statistik/AM_statistik/statistik-verkf-am-zustBfArM.html?nn=4284776 External link
4.
World Wide Web Consortium [Internet]. Linking Open Drug Data (LODD); letztes update: 19. Januar 2012. Verfügbar unter: http://www.w3.org/wiki/HCLSIG/LODD External link
5.
Scalable, Standard based Interoperability Framework for Sustainable Proactive Post Market Safety Studies (SALUS) [Internet]. Verfügbar unter: http://www.salusproject.eu External link