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GMDS 2013: 58. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

01. - 05.09.2013, Lübeck

Zur Simulation und Aggravation bei der Prüfung der Sehschärfe

Meeting Abstract

  • Clemens Jürgens - Universitätsmedizin Greifswald, Greifswald, DE
  • Nils Kröger - Universitätsmedizin Greifswald, Greifswald, DE
  • Thomas Kohlmann - Universität Greifswald, Greifswald, DE
  • Frank Tost - Universitätsmedizin Greifswald, Greifswald, DE

GMDS 2013. 58. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Lübeck, 01.-05.09.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. DocAbstr.102

doi: 10.3205/13gmds241, urn:nbn:de:0183-13gmds2411

Published: August 27, 2013

© 2013 Jürgens et al.
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Einleitung und Fragestellung: Die zweckgerichtete Übertreibung von Krankheitszeichen (Aggravation) und das Nachahmen von Beschwerden (Simulation) stellen ein generelles Problem in der Medizin dar, welches besondere Anforderungen an die Medizinische Dokumentation und klinische Diagnostik stellt. Praktikable Konzepte sind bisher nur für wenige Untersuchungsverfahren bekannt. In der Augenheilkunde stellt die Prüfung des Sehvermögens eine der häufigsten Untersuchungen dar. Hierbei wird die Sehschärfe in der Regel durch die Präsentation standardisierter Sehzeichen bestimmt (Sehtest). Das Ergebnis eines Sehtests ist allerdings von den Angaben des Untersuchten abhängig, sodass eine objektive Beurteilung nur bedingt gewährleistet sein kann. Im Falle gutachterlicher Fragestellungen kann die subjektive Komponente sogar zur willentlichen Beeinflussung eines Sehtests missbraucht werden. Dies bestätigt eine retrospektive Analyse mit 344 ophthalmologischen Gutachten, in der 50% der Patienten ihre Symptome aggravierten, wobei die Verschlechterung der Sehschärfe mit 74% den deutlich größten Anteil ausmachte [1]. Zur Dokumentation und Beurteilung von Simulation und Aggravation bei der Sehschärfeprüfung publizierten Gräf und Roesen einen Sehtest mit Präsentation von unerwarteten Reizen [2]. Wir evaluierten Unterschiede zwischen den Antwortzeiten auf standardisierte Sehzeichen und unerwartete Reize.

Material und Methoden: In einer Gruppe von 20 sehgesunden Freiwilligen wurde ein standardisierter Test zur Prüfung der Sehschärfe bei Simulationsverdacht durchgeführt. Gemäß Gräf und Roesen wurden 36 Landoltringe als Sehzeichen verwendet [2]. Die Prüfdistanz wurde so gewählt, dass die vermutete Sehschärfe zum sicheren Erkennen der Sehzeichen ausreichte. Die Sehzeichen der Positionen 21, 26, 30 und 34 stellten jeweils unerwartete Reize dar. Die gesamte Untersuchung wurde mittels Mikrophon aufgenommen. Danach wurden für alle 36 Sehzeichen die präzisen Antwortzeiten aus der digitalen Tonspur ermittelt. Die durchschnittlichen Reaktionszeiten wurden mit t-Tests für abhängige Stichproben analysiert.

Ergebnisse: Die durchschnittliche Antwortzeit zum Erkennen der 32 standardisierten Sehzeichen betrug 0,4 Sekunden. Im Vergleich hierzu ergab sich für den Mittelwert des ersten unerwarteten Reizes an Position 21 mit 2,9 Sekunden die längste Antwortzeit. Dieser lag signifikant höher (p<0,05). Auch die Antwortzeiten der folgenden drei unerwarteten Reize zeigten tendenziell eine Verlängerung der Antwortzeit: An Position 26 und 30 jeweils 0,8 Sekunden sowie 0,7 Sekunden an Position 34. Diese Verlängerungen waren nicht signifikant.

Diskussion: Der von Gräf und Roesen vorgeschlagene Sehtest mit unerwarteten Reizen [2] scheint zum Aufdecken von Simulation und Aggravation eines Sehschärfeverlustes prinzipiell statistisch validiert geeignet. Vor allem die erste Präsentation eines unerwarteten Reizes zeigt eine deutliche Verlängerung der Antwortzeiten, während sich bei den folgenden drei unerwarteten Reizen bei den Probanden schon ein Lerneffekt einzustellen scheint. Um den Test noch robuster zu gestalten, sind weitere Flexibilisierungen des Untersuchungsablaufs nötig, damit der hier beschriebene Lerneffekt oder auch das vorherige Trainieren und Auswendiglernen nicht zu Fehlinterpretationen führen können. Ein solches Konzept könnte auch für weitere Fachrichtungen zur Beurteilung willentlicher Beeinflussung bei medizinischen Funktionstests hilfreich sein.


Literatur

1.
Schutz JS, Mavrakanas NA. The value of the ophthalmological independent medical examination: analysis of 344 cases. Br J Ophthalmol. 2009;93(10):1371-5.
2.
Gräf M, Roesen J. Der lückenlose Landoltring - Ein handlicher Test zur Überprüfung bei Verdacht auf Simulation. Klin Monatsbl Augenheilkd. 2001;218(6):435-7.