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53. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

15. bis 18.09.2008, Stuttgart

Patienten-Empowerment bei der Verordnung von medikamentöser Therapie: Eine Pilotstudie

Meeting Abstract

  • Katharina Spitalewsky - Institut für Medizinische Biometrie und Informatik, Universität Heidelberg, Heidelberg, Deutschland
  • Maria Pritsch - Institut für Medizinische Biometrie und Informatik, Universität Heidelberg, Heidelberg, Deutschland
  • Steffi Schlichter - Institut für Medizinische Biometrie und Informatik, Universität Heidelberg, Heidelberg, Deutschland
  • Stefan Skonetzki - Institut für Medizininformatik, Biometrie und Epidemiologie, Universität Erlangen, Erlangen, Deutschland
  • Petra Knaup - Institut für Medizinische Biometrie und Informatik, Universität Heidelberg, Heidelberg, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. 53. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds). Stuttgart, 15.-19.09.2008. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2008. DocMI21-3

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/meetings/gmds2008/08gmds213.shtml

Published: September 10, 2008

© 2008 Spitalewsky et al.
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Text

Einleitung und Fragestellung

Das Konzept des Patienten-Empowerment zielt darauf ab, Patienten verstärkt in den Prozess der Entscheidungsfindung zu integrieren und ihnen dadurch ein stärkeres Gefühl für die eigene Behandlung und Gesundheit zu vermitteln [1]. Voraussetzungen für das Empowerment von Patienten sind unter anderem Informationskompetenz und Gestaltungsfähigkeit. Informationskompetenz beschreibt die Eigenschaft des Patienten, die den effizienten, kompetenten und verantwortungsbewussten Umgang mit Informationen ermöglicht. Gestaltungsfähigkeit beschreibt die Fähigkeit, Ziele und Strategien zu entwickeln, die dem Patienten ermöglicht, „Einfluss auf Entscheidungsprozesse, Diskussionsergebnisse und allgemeine Veränderungen zu nehmen (vgl. [1]).

Eine im Jahr 2002 durchgeführte Studie hat gezeigt, dass die über die Erkrankung des Patienten eingeholten Informationen zu 50% von Ärzten stammen. „94,7% der Patienten wünschten sich in der Praxis informiert zu werden. 74,7% bevorzugten es, diese Informationen nur oder auch durch den Arzt zu erhalten.“ [2]

Ein wesentliches Ziel der Einführung der Gesundheitskarte in Deutschland ist, neben der Kostensenkung und der Verbesserung der Kommunikation zwischen allen Beteiligten, die Stärkung der Patientenrechte [3]. Die erste Anwendung der Karte ist das elektronische Rezept. Um später beurteilen zu können, ob Patienten durch die Gesundheitskarte empowert werden, soll ermittelt werden, wie intensiv sich Patienten bereits jetzt an der Entscheidungsfindung und der Umsetzung einer medikamentösen Therapie beteiligen. Dazu wurden im Rahmen des Projekts PEeR (Patient Empowerment and eHealth-Research) im Institut für Medizinische Biometrie und Informatik der Universität Heidelberg eine Pilotstudie in Allgemeinarztpraxen durchgeführt. Ziel der Untersuchung war zunächst zu ermitteln, inwieweit sich Patienten heute schon an der Entscheidung zu einer medikamentösen Therapie beteiligen. Als zweites Ziel wurde ermittelt, ob sich Patienten nach dem Arztbesuch über die verordneten Medikamente informieren.

Material und Methoden

Die Pilotstudie wurde zunächst in 7 Allgemeinarztpraxen im Rhein-Neckar-Raum durchgeführt. Die Auswahl der Praxen erfolgte zufällig. Die geringe Zahl der Praxen ist darauf zurückzuführen, dass etliche Praxen nicht bereit waren teilzunehmen.

In Teil 1 der Studie wurden alle Arzt-Patienten-Gespräche eines Tages von Patienten beobachtet, die zur Teilnahme an der Studie bereit waren. Es wurde erhoben:

  • Gesamtdauer des Arzt-Patienten-Kontakts
  • eigener Medikamentenvorschlag des Patienten
  • Erst- oder eine Dauermedikation
  • Nachfragen des Patienten zum Medikament (Name, Wirkungsweise, Einnahmemodus, Neben-/Wechselwirkungen, Behandlungsdauer, Therapieerfolg, Kosten, Alternativen, Notwendigkeit, andere Aspekte)
  • Verordnete Medikamente
  • Vorliegen einer chronischen Erkrankung
  • Teilnahme an einem DMP (Disease-Management-Programm)

Der Patient erhielt zusätzlich einen kurzen Fragebogen, in dem personenbezogene Daten wie Alter, Geschlecht, Berufstätigkeit, Erfahrungen mit Computern, Bildung und Informationsstand zur Gesundheitskarte erfasst wurden. Das Ausfüllen erfolgte auf freiwilliger Basis.

Der zweite Teil der Studie bestand aus einem Telefoninterview ca. 48 h nach der Verordnung. Patienten, die sich zum Interview bereit erklärten, wurden befragt, wie sie ihren Informationsstand über die verordneten Medikamente einschätzen; wie umfangreich die Information durch den verordnenden Arzt war; zu welchem Bereich (Medikamentenname, Wirkungsweise, usw.) sie sich mehr Informationen gewünscht hätten. Ein weiterer wichtiger Punkt der Befragung war, ob sich die Patienten selbstständig über ihre Verordnung weiter informiert haben (Apotheke, Bücher, Internet usw.) und ob sie ihr Rezept eingelöst haben.

Ergebnisse

An der Beobachtungsstudie in der Praxis nahmen 61 Patienten teil, 41% davon waren männlich, 57,4% weiblich, bei 1,6% liegt keine Angabe vor; etwa 54% der Befragten waren berufstätig. Von den Patienten waren 45,9% chronisch krank, davon nahmen 28,6% an einem DMP teil.

Die Arzt-Patienten-Kontakte dauerten durchschnittlich knapp 9 Minuten. Dabei erhielten 57 Patienten bei ihrem Arztbesuch ein oder mehrere Medikamente verordnet (93,4%). Insgesamt 14 Patienten brachten von sich aus einen Medikamentenvorschlag (24,6%) ein, davon waren 10 chronisch krank (71,4%).

Nachfragen zu der Verordnung kamen von 9 Patienten (15,8%), davon bezogen sich 66,7 % auf den Einnahmemodus. Zu Medikamentennamen, Therapieerfolg, Kosten oder alternativen Therapien wurden keine Fragen gestellt.

Telefonisch konnte 45 Patienten interviewt werden, die alle ein Rezept erhalten hatten. Davon schätzten 15,6% ihren Informationsgrad über das verordnete Medikament als sehr gut ein, 51,1% als gut, 15,6% noch als ausreichend, 17,8% als schlecht. Die Informationsmenge, die sie durch ihren Arzt erhielten, schätzten 82,2% als genau richtig ein, 17,8% fühlten sich zu wenig informiert. Auf die Frage, zu welchem Bereich sich diese insgesamt 8 Patienten mehr Informationen gewünscht hätten, kamen als Antworten: 7 mal Informationen zu Neben-/ Wechselwirkungen, 4 mal zur Wirkungsweise, 3 mal zum Einnahmemodus und 2 mal zur Einnahmedauer. Es gaben 55,6% an, sich nach dem Arztbesuch zusätzlich und selbständig über die Verordnung informiert zu haben, dabei wurde von 96% der Beipackzettel als einzige Informationsquelle verwendet.

Von 45 Verschreibungen wurden 43 (95,6%) eingelöst. Zu den 2 fehlenden gaben die Patienten an noch keine Möglichkeit zur Einlösung des Rezepts gehabt zu haben.

Diskussion

Die Ergebnisse zeigen eine sehr geringe Beteiligung des Patienten am Arztgespräch. Die wenigen Nachfragen bezogen sich zum größten Teil auf die korrekte Einnahme des Medikaments. Im Telefoninterview haben sich Patienten über die Menge an Informationen von dem Arzt als zufrieden geäußert. Hier kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Patienten sich nicht über die Unabhängigkeit der Beobachterin im Klaren waren und daher nicht die Arzt-Patienten-Beziehung belasten wollten. Eine im Jahr 2002 durchgeführte internationale Studie „The European Patient of the Future“ ergab ein ähnliches Ergebnis in Interviews mit 1000 Befragten. Trotz Zeitmangel und wenig individueller Kommunikation waren die meisten Patienten mit ihrem Arzt zufrieden und vertrauten seinen Informationen (58%) [4].

Der Stichprobenumfang und die Zahl der teilnehmenden Praxen in der Studie ist leider relativ klein, da es sehr mühsam war, Ärzte für diese Untersuchung zu gewinnen. Ein möglicher Grund könnte sein, dass die angefragten Praxen Sorge hatten, bewertet zu werden und im Gesamtergebnis schlecht abzuschneiden. Auch empfanden die Ärzte es teilweise als schwierig, die Beobachtung in den meist stressigen Praxisalltag zu integrieren. Anhand der geringen Zahlen ist es kaum möglich, das Ergebnis zu verallgemeinern. In weiterführenden Untersuchungen sollte geprüft werden, ob bei chronisch kranken Patienten oder bei Patienten in Facharztpraxen eine höhere Selbstbeteiligung erwartet werden könnte.

Wenn langfristig eine stärkere Beteiligung angestrebt wird, muss der Patient darin bestärkt werden, sich mehr zutrauen zu können. Ein Beispiel für einen Ansatz bildet das „Shared Decision Making“ Modell, das „eine Brücke zwischen patientenzentrierter und evidenzbasierter Medizin zu schlagen“ versucht [5]. Es ist jedoch nach wie vor unklar, ob auch die Gesundheitskarte dazu beitragen kann. E-Health Anwendungen sollten stärker auf den Patienten zugeschnitten werden, so dass dieser effizient damit umgehen kann. Dabei sollte besonders darauf geachtet werden, was der Patient sich selbst zutraut und welche Rolle er einnehmen möchte (vgl. [6]).


Literatur

1.
Spitalewsky K. Bewertungskonzepte für das Patientenverhalten im Umgang mit dem elektronischen Rezept der Telematikplattform in Deutschland [Diplomarbeit]. Heidelberg; 2007.
2.
Mojon-Azzi, S, Wagner U, Mojon D. Wie informiert ist der ophtalmologische Patient? Klinische Monatsblätter Augenheilkunde 219, 2003:487-93.
3.
Offizielle Seite des Bundesministeriums für Gesundheit zur Gesundheitskarte http://www.die-gesundheitskarte.de (letzter Zugriff 18.04.08) External link
4.
Coulter A, Magee H (PIE). The European Patient of The Future. Open University Press, McGraw Hill Companies, 2003.
5.
Faller H. Shared Decision Making: Ein Ansatz zur Stärkung der Partizipation des Patienten in der Rehabilitation. Würzburg; Rehabilitation 2003; 42: 129-35.
6.
Thompson A. The meaning of patient involvement and participation in health care consultations: A taxonomy. Social Science & Medicine 64, 2007: 1297-310.