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53. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

15. bis 18.09.2008, Stuttgart

Häufigkeit schlaganfallbedingter Krankenhausbehandlungen im internationalen Vergleich

Meeting Abstract

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  • Ulrike Nimptsch - HELIOS Kliniken GmbH, Berlin, Deutschland
  • Wolfgang Ahrens - Bremer Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin, Bremen, Deutschland
  • Thomas Mansky - HELIOS Kliniken GmbH, Berlin, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. 53. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds). Stuttgart, 15.-19.09.2008. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2008. DocEPI2-2

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Published: September 10, 2008

© 2008 Nimptsch et al.
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Einleitung und Fragestellung

Als häufigste neurologische Erkrankung ist der Schlaganfall nach Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen die dritthäufigste Todesursache in Deutschland, wie auch in anderen westlichen Industrienationen. Schlaganfall ist zudem eine der häufigsten Ursachen für Behinderung im Erwachsenenalter.

Das Krankheitsereignis tritt vornehmlich im höheren Lebensalter auf. Angesichts zunehmender Lebenserwartung in den Industrienationen kommt der Planung von Präventionsmaßnahmen und Versorgungsstrukturen eine wachsende Bedeutung zu. Hierfür sind Datengrundlagen erforderlich, die Krankheitslast und Versorgungsbedarf bevölkerungsbezogen abbilden können.

Internationale Unterschiede in der Erkrankungshäufigkeit des Schlaganfalls wurden bislang meist auf der Basis von Registerdaten untersucht. Wir untersuchen die Krankenhaushäufigkeit des Schlaganfalls auf der Basis frei erhältlicher, routinedatenbasierter Krankenhausstatistiken in Deutschland, den USA und Australien. Die Krankenhaushäufigkeit wird dabei als indirekter Indikator für die Schlaganfallinzidenz betrachtet.

Material und Methoden

Für Deutschland verwenden wir die Krankenhausdiagnosestatistik des Statistischen Bundesamtes. Diese enthält die Hauptdiagnosen nahezu aller akutstationären Krankenhausbehandlungen. Für die USA verwenden wir die Nationwide Inpatient Sample (NIS), die bei der Agency for Healthcare Research and Quality erhältlich ist. Die NIS ist eine nach Krankenhaustypen stratifizierte repräsentative 23%-Stichprobe aller akutstationären Krankenhausfälle in den USA und enthält die kompletten Abrechnungsdaten der enthaltenen Krankenhausfälle. Für beide Länder untersuchten wir Daten der Jahre 2000 und 2003. Für Australien verwenden wir Daten aus der National Hospital Morbidity Database vom Australian Institute of Health and Welfare. Diese enthält u.a. die Hauptdiagnosen der akutstationären Krankenhausbehandlungen und deckt – wie die deutsche Diagnosestatistik – die Krankenhausfälle nahezu vollständig ab. Hier untersuchten wir die 1-Jahresperioden 1999/2000 und 2003/2004.

Unter die Bezeichnung Schlaganfall fallen in dieser Arbeit sowohl hämorrhagische als auch ischämische Insulte. Operationalisiert werden diese durch die ICD-Kodierung der Hauptdiagnosen. Einbezogen werden ischämische Schlaganfälle, Subarachnoidalblutungen, intrazerebrale Blutungen und nicht klassifizierte Schlaganfälle. Gezählt wird jeder akutstationäre Krankenhausaufenthalt mit Schlaganfall-Hauptdiagnose im Sinne der hier verwendeten Definition nach ICD. Abgebildet werden auf diese Weise jene Krankenhausbehandlungen, die ursächlich durch ein Schlaganfallereignis (erstmaliger Schlaganfall oder Rezidiv) veranlasst wurden.

Die in der Datenerhebung des jeweiligen Landes identifizierten Schlaganfallbehandlungen werden (sofern die Datenquelle nicht 100% aller Krankenhausfälle abdeckt) linear auf die Gesamtbevölkerung im Betrachtungszeitraum hochgerechnet. Zum Vergleich wird für die Fallzahlen aus den USA und Australien eine Standardisierung nach Alter und Geschlecht auf die deutsche Bevölkerungsstruktur der Jahre 2000 bzw. 2003 vorgenommen. Als Maßzahl für den Unterschied in der Krankenhaushäufigkeit wird ein standardisiertes Ratenverhältnis (Standardized Rate Ratio, SRR), bezogen auf die deutsche Wohnbevölkerung im jeweils betrachteten Zeitraum berechnet. Abgebildet wird so die durch Schlaganfall verursachte akutstationäre Versorgungslast, unabhängig von den in den betrachteten Ländern unterschiedlichen Bevölkerungsstrukturen in Bezug auf Alter und Geschlecht.

Ergebnisse

Für das Jahr 2003 berechneten wir rohe Raten von 345 schlaganfallbedingten Krankenhausbehandlungen pro 100.000 Einwohnern in Deutschland, 163 in den USA und 162 in Australien. Standardisiert auf die deutsche Bevölkerungsstruktur nach Alter und Geschlecht ergibt sich für die USA eine Krankenhaushäufigkeit von 210, für Australien von 203 pro 100.000. Das standardisierte Ratenverhältnis beträgt 1,64 (Deutschland – USA) bzw. 1,70 (Deutschland – Australien). Die Analyse der Daten aus dem Jahr 2000 führt zu ähnlichen Ergebnissen.

Diskussion

Unsere Ergebnisse sind im Kontext bislang publizierter Angaben zu Inzidenz und Erkrankungshäufigkeit des Schlaganfalls in den betrachteten Ländern nicht einheitlich einzuordnen. Während die aus deutschen Registern berechneten Inzidenzen für Schlaganfall (erstmaliger Schlaganfall und Rezidive) deutlich unter der hier berechneten Krankenhaushäufigkeit liegen [1], [2], berichten US-amerikanische [3], [4] und australische [5] Studien Inzidenzen, die die hier berechneten Krankenhaushäufigkeiten übersteigen.

Bei Betrachtung der Todesursachenstatistiken für zerebrovaskuläre Krankheiten wirken die gefundenen Unterschiede plausibel. Die Sterblichkeit in Deutschland ist höher als in den USA oder Australien [6].

Wir versuchten, den Einfluss versorgungsbedingter Faktoren zu quantifizieren. So ist es z.B. wahrscheinlich, dass Schlaganfälle in Deutschland wegen der höheren Kapazitäten an Krankenhausbetten und dem uneingeschränkten Zugang häufiger im Krankenhaus behandelt werden, als in den USA und in Australien. Eine Korrektur der Krankenhaushäufigkeitsraten auf Grundlage von Literaturangaben zum Anteil im Krankenhaus behandelter Schlaganfallpatienten ergab eine standardisiertes Ratenverhältnis von 1,47 (Deutschland – USA) bzw. 1,42 (Deutschland – Australien).

Verlegungen von einem Akutkrankenhaus in ein anderes bedingen in unserer Betrachtungsweise eine Mehrfachzählung von Schlaganfallpatienten. Die Korrektur nach dem Anteil verlegter Patienten konnte die Unterschiede in der Krankenhaushäufigkeit jedoch ebenfalls nicht erklären. Für den Vergleich von Deutschland mit den USA ergäbe sich ein SRR von 1,54. Verglichen mit Australien ergäbe sich wegen des dort höheren Anteils von (in ein anderes Akutkrankenhaus) verlegten Schlaganfallpatienten ein SRR von 2,03.

Letztlich muss davon ausgegangen werden, dass die in Deutschland vergleichsweise höhere Krankenhaushäufigkeit des Schlaganfalls auf eine höhere Erkrankungshäufigkeit zurückzuführen ist, unabhängig von unterschiedlichen Bevölkerungsstrukturen in Bezug auf Alter und Geschlecht. Diese Annahme wird durch Hinweise aus der Literatur auf eine in Deutschland vergleichsweise höhere Prävalenz der zerebrovaskulären Risikofaktoren Hypertonie und Rauchen unterstützt. Zudem gibt es Anhaltspunkte dafür, dass Hypertoniepatienten in Deutschland weniger konsequent behandelt werden [7].

Unsere Arbeit zeigt, wie international vergleichbare Krankenhausroutinedaten zur Untersuchung wissenschaftlicher Fragestellungen genutzt werden können. Die Methode kann – auch bei anderen Krankheitsbildern, die vorrangig im Krankenhaus behandelt werden – als eine praktikable Möglichkeit für Hypothesenfindung, Erstabklärung bestimmter Fragestellungen oder ein kontinuierliches Monitoring des bevölkerungsbezogenen Versorgungsbedarfs angesehen werden.


Literatur

1.
Heinemann L, Barth W, Garbe E, Willich S, Kunze K; Forschungsgruppe MONICA in Ostdeutschland. Epidemiologische Daten zur Schlaganfallerkrankung. Nervenarzt. 1998;69:1091-9.
2.
Kolominsky-Rabas P, Sarti C, Heuschmann P, Graf C, Siemonsen S, Neundoerfer B, Katalinic A, Lang E, Gassmann K, von Stockert T. A Prospective Community Based Study of Stroke in Germany - The Erlangen Stroke Project (ESPro): Incidence and Case Fatality at 1, 3 and 12 Months. Stroke. 1998; 29:2501-6.
3.
Fang J, Alderman M, Tu J. Trend of Stroke Hospitalization, United States 1988-1997. Stroke. 2001; 32:2221-6.
4.
Broderick JM, Brott TM, Kothari RM, Miller RR, Khoury JM, Pancioli AM, Gebel JM, Mills DR, Minneci LB, Shukla RP. The Greater Cincinnati/Northern Kentucky Stroke Study: Preliminary First-Ever and Total Incidence Rates of Stroke Among Blacks. Stroke. 1998;29:415-21.
5.
Thrift A, Dewey H, Macdonell R, McNeil J, Donnan G. Stroke Incidence on the East Cost of Australia. Stroke. 2003; 1:2087-92.
6.
World Health Organization [web site]. WHO Global InfoBase Online - Compare Countries. [cited 2006 Jan 20]. Available from: http://www.who.int/infobase/compare.aspx?dm=10&countries=36%2c276%2c840&year=2002&sf1=mo.cg.104&sex=all External link
7.
Wolf-Maier K, Cooper RS, Banegas JR, Giampaoli S, Hense H, Joffres M, Kastarinen M, Poulter N, Primatesta P, Rodríguez-Artalejo F, Stegmayr B. Hypertension Prevalence and Blood Pressure Levels in 6 European Countries, Canada, and the United States. JAMA. 2003;289:2363-9.