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51. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (gmds)

10. - 14.09.2006, Leipzig

Erfassung, Verarbeitung und Qualitätssicherung von Studiendaten mit einem klinischen Informationssystem – Ein Erfahrungsbericht

Meeting Abstract

  • Christian Katzer - Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Gießen
  • R. Röhrig - Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Gießen
  • K. Weismüller - Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Gießen
  • S.G. Little - Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Gießen
  • T.W. Langefeld - Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Gießen
  • M. Meier - Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Gießen
  • T. Menges - Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Gießen
  • T. Chakraborty - Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Gießen
  • G. Hempelmann - Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Gießen

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (gmds). 51. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. Leipzig, 10.-14.09.2006. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2006. Doc06gmds428

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/meetings/gmds2006/06gmds368.shtml

Published: September 1, 2006

© 2006 Katzer et al.
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Outline

Text

Einleitung

Das Projekt “Giessen Research Center in Infectious Diseases (GRID)” am Universitätsklinikum Giessen beschäftigt sich als Teil des Nationalen Genom Forschungsnetzwerkes 2 (NGFN-2) mit der molekularen Biologie von Infektion und Inflammation bei verschiedenen Krankheitsbildern, um aus Genomdaten und klinischen Daten prognostische Modelle bezüglich der Entwicklung oder des Verlaufs einer Sepsis zu entwickeln. Das GRID umfasst drei wesentliche Studienarme, welche die Funktionelle Genetik der Wirt-Erreger-Interaktion bei Neu- und Frühgeborenen, Pneumonie und Polytrauma untersuchen. Dazu wird den Studienpatienten Blut zur Analyse von RNA-Expressionsprofilen mittels Microarray-Technik zu definierten Zeitpunkten entnommen. Ebenso werden festgelegte Sets von klinischen Daten zu den verschiedenen Zeitpunkten sowie Diagnosen, Befunde und Begleiterkranken benötigt. Auf den Intensivstationen des Universitätsklinikums Gießens erfolgt die klinische Dokumentation flächendeckend über ein Intensiv-Informations-Management-System (IMS) [1], [2].

Das Ziel der Arbeit war, die Erfassung, Verarbeitung und Qualitätssicherung der Studiendaten im Sinne eines Electronic Data Capturing mit dem etablierten IMS zu entwickeln und die Erfahrungen anhand des Studienarmes „Polytrauma“ darzustellen.

Methodik

Studiendesign

Einschlusskriterien für den Studienarm „Polytrauma“ sind schwere Verletzungen von mindestens zwei Körperregionen oder wenigstens drei schwerwiegende Frakturen, ein geschätzter mittlerer Injury Severity Score (ISS) [3] von mindestens 12 Punkten und einem Zeitintervall von weniger als 12 Stunden zwischen Unfall und Aufnahme auf der Intensivstation. Als Ausschlusskriterien werden weniger ernsthafte Verletzungen, Schwangerschaft, Gerinnungsstörungen, akutes Nierenversagen Leberversagen, maligne Erkrankungen und Hämodialyse in der Anamnese des Patienten betrachtet. Die erste Probenentnahme erfolgt bereits bei Eintreffen des Patienten in der Notfallversorgung, die weiteren dann zu definierten Zeitpunkten auf der Intensivstation. Die gewonnen Proben werden zur Analyse von RNA-Expressionsprofilen mittels Microarraytechnik, zur Genotypisierung sowie zur Bestimmung von Zytokinspiegeln oder anderen Plasmaproteinen verwendet. Um den klinischen Zustand des Patienten zu bewerten, werden über den Beobachtungszeitraum insbesondere zu den Entnahmezeitpunkten klinische Daten der Patienten benötigt. Hierzu zählen Vitalwerte (z.B. Blutdruck, Herfrequenz, periphere Sauerstoffsättigung etc.), Beatmungswerte (z.B. Beatmungsart, Spitzendruck, Plateaudruck, Positive Endexpiratory Pressure etc.), Blutbefunde von Point-of-Care-Geräten (Blutgasanalyse, Elektrolyte, Blutzucker, Laktat, etc.), Befunde der klinischen Chemie (z.B. Blutbild, Gerinnungswerte, Leberwerte etc.), Mikrobiologie und Radiologie, klinische Untersuchungsbefunde und Diagnosen, sowie applizierte Medikamente.

DV-Konzept und Implementation

Da alle klinischen Daten der Patienten im IMS erfasst werden, lag ein Lösungsansatz nahe, der eine automatische Übernahme der relevanten Daten mit der dazugehörigen Qualitätssicherung in die Forschungsdatenbank unterstützt. Für die Realisierung wurde auf Standardfunktionen des IMS ICUdata (Fa. IMESO GmbH, Hüttenberg) zurückgegriffen. Zunächst wurde für jede Studie eine Benutzergruppe für die Studienärzte mit speziellen Benutzerrechten angelegt, die sich auf den Einschluss und die Validierung von Daten für die Studie beziehen. Das IMS stellt eine personenbezogene Authentifikation über Benutzernamen und Passwort sicher.

Es wurde eine Standard Operating Procedure (SOP) für den Studieneinschluss und die nachfolgenden Messzeitpunkte angelegt und im Therapie-Assistenten des IMS hinterlegt. Dieser wird beim Einschluss eines Patienten durch den Studienarzt aufgerufen, und so werden mit wenigen Arbeitsschritten alle Einzelmaßnahmen als Anordnung in der grafischen Patientenakte des IMS dargestellt. Durch die Darstellung der Untersuchungn und Verordnungen in der Patientenakte stehen dem behandelnden Arzt zum einen speziell für die Studie erfasste Parameter zur Verfügung, zum anderen kann er so die Studie durch Blutabnahmen etc. unterstützen. Des weiteren vergibt der Studienarzt eine Eindeutige Studien-ID, die ebenso wie die Einschlusskriterien im IMS erfasst wird. Über die Studien-ID erfolgt die Zuordnung der Gen-Analysen, ohne dass Wissenschaftler im Labor einen Bezug zu den persönlichen Patientendaten herstellen können. Um die Übernahme von fehlerhaften Daten in die Forschungsdatenbank zu minimieren, müssen alle Daten vom Studienarzt vidiert werden. Dazu können spezielle Attribute (Flags) an die einzelnen Daten gehängt werden, die sowohl den Studieneinschluss als auch den jeweiligen Studienzeitpunkt kodieren. Die Daten, die mit diesen Studienflags versehen sind, können in der grafischen Patientenakte über spezielle Filter (Views) besonders hervorgehoben werden, so dass ein Monitoring auf Vollständigkeit und Plausibilität im Kontext zu den anderen Patientendaten einfach möglich ist. Ebenfalls sind zur Kontrolle spezielle tabellarische Darstellungen konfiguriert. Alle Dateneingaben und Veränderungen unterliegen im IMS einem vollständigen Audit-Trail.

Der Export der Daten vom IMS in die Forschungsdatenbank wurde auf Datenbankebene implementiert. Der wesentliche Schlüssel zur Patientenidentifikation ist die Studien-ID. Je nach Konfiguration der Schnittstelle können sowohl ausschließlich durch den Studienarzt validierte Daten, als auch nicht validierte Daten mit absolutem oder relativem Bezug zum Studieneinschluss übernommen werden. Es werden die Art des Dateneinschlusses (aktiv = validiert oder automatisch = nicht validiert), eine eindeutige ID des Datensatzes die eine Versionierung des Audit-Trails enthält, der Benutzer (ggf. einschließender Studienarzt), der Zeitpunkt einer Datenmanipulation und ein Verweis auf den Schnittstellencode in der Forschungsdatenbank gespeichert. Des weiteren wird angegeben, ob es sich um Rohdaten oder Datenaggregate aus einer definierten Zeitspanne oder aus einer Gruppe validierter Werte handelt.

Ergebnisse und Erfahrungen

Das beschriebenen Verfahren stellt die Nachvollziehbarkeit der Daten in der Forschungsdatenbank sicher. So können Laborwerte mit Hilfe der Identifier bis in das Quellsystem zurückverfolgt werden. Entscheidet man sich ausschließlich für den aktiven Dateneinschluss, kann die Verantwortlichkeit vollständig dem Studienarzt übertragen werden.

Bisher wurden 56 polytraumatisierte Patienten in den Studienarm „Polytrauma“ eingeschlossen und ausgewertet. Ergebnisse sind derzeit zur Publikation eingereicht. Das beschriebene Verfahren hat sich für die Studienärzte als einfach und praktikabel erwiesen, so dass es jetzt auf die anderen Studienarme sowie auf eine neuen Studienarm „Wirt-Erreger-Interaktionen nach Operationen an der Speiseröhre, am Enddarm oder der Bauchspeicheldrüse“ ausgedehnt wird. Die Umsetzung bei einer Medikamentenstudie ist ebenfalls in Planung.

Diskussion

Der Anspruch an die Datenqualität und damit auch an Datenerfassung und Qualitätssicherung bei klinischen Studien gemäß den GCP-Regeln ist hoch. Dies bedingt in der Regel eine manuelle Erfassung aller studienrelevanten Daten eines Patienten aus der Patientenakte durch den Studienarzt auf einem papierbasierten Studienprotokoll und danach dessen manuelle Erfassung in einer Studiensoftware. Durch die Einführung von eTrials, bei denen der Studienarzt die studienrelevanten Parameter direkt über ein Web-Portal in der Studiensoftware erfasst, konnte ein Arbeitsschritt und damit eine Quelle für Übetragungsfehler verringert werden [4], [5]. Mit dem hier vorgestellten Konzept können die Datenerfassung und das Monitoring der Studiendaten noch einmal wesentlich vereinfacht werden, da manuelle Übertragungsschritte entfallen. Sowohl die Datenqualität als auch die Nachvollziehbarkeit der Datensätze in der Forschungsdatenbank sind gewährleistet. Dies ist jedoch nur auf der Basis einer bereits existierenden Infrastruktur möglich. Durch die zunehmende Durchdringung der Kliniken mit klinischen Arbeitsplatz-Systemen ist dies ein Punkt, der von der Industrie insbesondere im universitären Umfeld beachtet werden sollte.

Die hier verwendete Forschungsdatenbank bietet im Vergleich zu einer speziellen Studiensoftware nicht den vollen Funktionsumfang an, wie z.B. proaktive Vollständigkeits- und Plausibilitätskontrollen. Ein weiteres Problem stellt die Interoperabilität in Multicenterstudien dar [5]. Der Standard CDISC für Studiendaten ist im Bereich der klinischen Datenverarbeitung bisher nicht etabliert. In den Kliniken ist HL7 Version 2.x der führende Standard. Hier liegt ein großer Bedarf, aber auch ein großes Potential in der Entwicklung von CDISC, HL7 Version 3 aber auch der Nomenklaturen LOINC und SNOMED-CT.


Literatur

1.
Michel A, Benson M, Junger A, Sciuk G, Hempelmann G, Dudeck J, Marquardt K. Design principles of a clinical information system for intensive care units (ICU Data). Stud Health Technol Inform. 2000;77:921-4
2.
Röhrig R, Junger A, Quinzio L, Hempelmann G. Patienten zentrierte Online Dokumentation, Deutsche Ärzteblatt.
3.
Baker SP, O'Neill B, Haddon W Jr, Long WB.The Injury Severity Score: a method for describing patients with multiple injuries and evaluating emergency care. J Trauma. 1974;187-196
4.
Kuchinke W, Ohmann C. Elektronische klinische Studien - “eTrials” werden zur Routine. Dtsch Arztebl. 2003;100: A3081-3084
5.
Kuchinke W, Drepper J, Ohmann C. Einsatz des CDISC-Standards für die vernetzte klinische Forschung in der Telematikplattform für medizinische Forschungsnetze (TMF e.V.) In: Jäckel (Hrsg.).Telemedizinführer Deutschland, Bad Nauheim, Ausgabe 2006: 338-345