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51. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (gmds)

10. - 14.09.2006, Leipzig

Übergreifende Behandlungszentren: IT-Lösungen auf Basis von Standard-Software

Meeting Abstract

  • Walter Swoboda - Städtisches Klinikum München GmbH, München
  • Christian Rehm - Städtisches Klinikum München GmbH, München
  • Chris Haehnel - Städtisches Klinikum München GmbH, München
  • Winfried Seibert - Städtisches Klinikum München GmbH, München
  • Andreas Söhnen - Klinikum der Universität München, München
  • Anke Simon - Klinikum Stuttgart, Stuttgart
  • Sylvia Villain - Klinikum der Universität München, München

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (gmds). 51. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. Leipzig, 10.-14.09.2006. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2006. Doc06gmds283

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/meetings/gmds2006/06gmds338.shtml

Published: September 1, 2006

© 2006 Swoboda et al.
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Einleitung und Fragestellung

Mit zunehmendem Kostendruck im Gesundheitswesen geht die Spezialisierung ambulanter und stationärer Einrichtungen einher. Folge dieser Entwicklung ist die Schaffung übergreifender Behandlungszentren, da eine medizinische Einrichtung bestimmte komplexe Fälle nicht mehr alleine behandeln kann, bzw. dies wirtschaftlich nicht mehr sinnvoll ist. Wenn die beteiligten Einrichtungen, die oft baulich und betriebswirtschaftlich getrennt sind, eigene IT-gestützte Dokumentationssysteme nutzen, muss die Behandlung und optimalerweise die Fallabrechnung durch geeignete Mechanismen unterstützt werden. Dieser Aufsatz untersucht derzeit implementierte Lösungsansätze in verschiedenen Kliniken, die teilweise realisiert und teilweise in Planung sind.

Modelle

Stark vereinfacht lassen sich bezüglich der DV-Prozessunterstützung drei verschiedene Varianten unterscheiden, wie in Abbildung 1 [Abb. 1] schematisch aufgezeigt. Die Varianten sind exemplarisch zu verstehen und beschreiben die Vielzahl der Möglichkeiten nicht abschließend. Modell 1: Gemeinsames KIS. In dieser Variante gibt es für beide Einrichtungen ein gemeinsames KIS, bei dem hier vereinfachend zwischen der betriebswirtschaftlichen Komponente (ERP) und dem klinischen Arbeitsplatzsystem (KAS) unterschieden wird. Da hier bei der Prozessunterstützung auf gemeinsam genutzte Programme und auf gemeinsame Datenspeicher zugegriffen wird, ist die gemeinsame Behandlung von Patienten sowohl von Seiten der klinischen Daten als auch von der Fallabrechnung her kein Problem. Nachteilig wirkt sich der hohe Konsolidierungsaufwand im Falle einer vorhergehenden Zusammenlegung aus, der wohl in den meisten Fällen notwendig sein wird. Auch zeigt sich dieses Modell unflexibel bezüglich künftiger Anpassungen, d.h. im Falle des Hinzukommens weiterer innerhalb oder außerhalb gelegener Behandlungszentren wird jeweils wieder ein hoher Aufwand fällig. Zu beachten ist hier auch die datenschutzrechtlich einwandfreie Abgrenzung der nicht gemeinsam behandelten Fälle. Modell 2: Getrennte KIS. In diesem Fall greifen beide Einrichtungen auf getrennte KI-Systeme zurück. Dieses Modell findet sich oft als Ausgangszustand bei Schaffung von Behandlungszentren zwischen Kliniken, die kürzlich unter einem gemeinsamen Träger vereint wurden. Falls sich die beiden Systeme nicht zeitgerecht oder zu vertretbaren Aufwand konsolidieren lassen und/oder das Ausrollen eines (neuen?) Systems auf beide Häuser unwirtschaftlich erscheint, bleibt nur die Schaffung eines gemeinsamen Master-Patient-Index (MPI), um zumindest die Sicht der behandelnden Kliniker auf Daten des gemeinsamen Patienten der jeweils anderen Einrichtung ohne Anmeldung in deren KIS zu ermöglichen. Wesentliche Einschränkungen bezüglich der Fallabrechnung bleiben aber bestehen (siehe unten). Modell 3: Gemeinsames betriebswirtschaftliches System und getrennte klinische Arbeitsplatzsysteme. Hier wurden die betriebswirtschaftlichen Systeme vereint, d.h. die klinischen Arbeitsplatzsysteme liefern die abrechnungsrelevanten Daten aus verschiedenen Quellen. Werden diese Daten bezüglich ihrer Herkunft nicht eindeutig markiert, ist nur die fallbezogene, nicht aber die einrichtungsbezogene Auswertung möglich. Dieses Modell wird häufig als Übergangslösung verstanden, hat aber unbestreitbare Vorteile bezüglich Optimierung der klinischen Prozessunterstützung und Flexibilität. Vor allem bei sehr unterschiedlichen Einrichtungen lässt sich hier die Prozessunterstützung leichter optimieren. Kennzeichnend für derartige Mischsysteme sind aber die relativ hohen Betriebskosten. Hoch integrierte Systeme haben oft den Nachteil (neben vielen Vorteilen), dass eine Auftrennung der Teilsysteme nicht oder nur mit hohem Aufwand möglich ist.

Implementierung

Modell 1 hat als vollständige Konsolidierung der Systeme je nach Zielsystemauswahl (‚Echte’ Konsolidierung beider Systeme oder Ausrollen eines Master-Systems auf das andere Haus?) die höchsten Migrations- und Investitionskosten und die geringsten Betriebskosten zur Folge. Allerdings können die Kosten von Modell 3 ähnlich hoch sein, vor allem bei hoch integrierten Systemen gleicher Art, da normalerweise bei Indices, Tabellen und Programmen nicht von disjunkten Namen und Inhalten ausgegangen werden kann. Der Anpassungsaufwand wird leicht unterschätzt, ist aber schlecht automatisierbar und wegen meist unzureichender Konstantendefinitionen oft nur durch manuelle Sichtung der Codes durchführbar.

Implikationen

Nutzerzufriedenheit. Der Idealfall wäre, wenn die klinischen Nutzer keine Änderung ihrer gewohnte Systeme hinnehmen müssten. Wegen notwendiger Anpassungen ist dieser Idealfall auch im Fall von Modell 2 in der Praxis nicht durchführbar. Zum Beispiel sollte der Import von medizinisch relevanten Daten aus dem anderen System zwar durch den Master-Patient-Index getriggert werden, die eigentliche Einbindung jedoch nicht ohne explizite Zustimmung des Behandelnden vorgenommen werden. Bei Modell 1 ist je nach dem Grad der Prozessdurchdringung der Altsysteme mit erheblichen Widerständen von Seiten der Nutzer zu rechnen. Fallabrechnung. Von größter Relevanz ist die optimale Fallabrechnung gerade bei übergreifenden Zentren. Fungieren beide Einrichtungen nicht unter einer gemeinsamen Abrechnungseinheit (Merkmal gegenüber den Kostenträgern: Gemeinsame Institutskennzeichen), dann kann der jeweilige Fall nicht verlegt und übergreifend abgerechnet werden; es verbleibt nur Entlassung und Wiederaufnahme mit drohenden Abschlägen wegen Unterschreitung der für die DRGs definierten Mindestliegedauern, bzw. wegen der Unmöglichkeit der Zweitbehandlung. Die gemeinsame Abrechnungseinheit ist aber bei den meisten KIS ‚fest verdrahtet’, d.h. bei gegebenen Systemarchitekturen festgelegt. Subsysteme. Jedes installierte Subsystem, dessen Funktionalität für die einrichtungsübergreifende Behandlung erforderlich ist (Beispiele: Laborsystem, PACS), verschärft die Problematik zusätzlich. Grundsätzlich kann gesagt werden, dass nur einheitliche gemeinsam genutzte Subsystem und einheitliche gemeinsam genutzte KAS ein hinreichender Grund für den Verzicht auf den Master-Patient-Index ist. Flexibilität. Alle Konsolidierungen, die mit hohem Aufwand verbunden sind, erscheinen nur bei stabilen und eingependelten Zuständen sinnvoll. Inwieweit heute im Krankenhausbereich von dieser Voraussetzung ausgegangen werden kann, ist im Einzelfall zu entscheiden.

Diskussion

Praktisch alle derzeitigen käuflichen und erprobten KIS-Lösungen sind bezüglich der Bildung übergreifender Behandlungszentren viel zu unflexibel ausgelegt. Zumindest die Möglichkeit des standardisierten Austausches klinischer Daten auch zwischen Systemen verschiedener Lieferanten muss für eine sinnvolle Patientenbehandlung gefordert werden. Die fixe Zuordnung von Abrechnungseinheiten zu gegebenen Systemarchitekturen kann für die medizinische Informationsverarbeitung nur als völlig unakzeptabel bezeichnet werden, da einerseits daraus folgende Konsilierungen sehr lange dauern und hohe Kosten verursachen und andererseits die Änderungen teilweise nicht wieder rückgängig zu machen sind. In der Praxis sind zuverlässige Aussagen darüber, ob der Grund zur Konsolidierung nach Abschluss der notwendigen Arbeiten noch besteht, nur in Ausnahmefällen machbar. Inwieweit neuere Ansätze wie stärkere Orientierung der Datenzuordnung an den klinischen Workflow auch einrichtungsübergreifend greifen und diese eventuell auch noch bezüglich einer gemeinsamen Fallabrechnung wirksam werden und damit den angesprochenen Problemkreises entschärfen können, bleibt abzuwarten.


Literatur

1.
Overhage J, McDonald CJ, Suico JG. The regenstrief medical record system 2000:Expanding the breadth and depth of a community wide EMR.Proc AMIA Symp. 2000:1173
2.
Adragna L. Implementing the enterprise master patient index. J AHIMA. 1998 Oct;69(9):46-8, 50, 52