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51. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (gmds)

10. - 14.09.2006, Leipzig

Eingriffsverwechslungen in der Chirurgie: Automatisierte, präoperative Konsistenzprüfung von Daten in der elektronischen Patientenakte

Meeting Abstract

  • Frank Buessecker - Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH, Standort Marburg, Marburg
  • Juergen Jochem - Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH, Standort Marburg, Marburg
  • Dirk Schroeder - Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH, Standort Marburg, Marburg
  • Frank Dietz - Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH, Standort Marburg, Marburg

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (gmds). 51. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. Leipzig, 10.-14.09.2006. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2006. Doc06gmds126

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/meetings/gmds2006/06gmds259.shtml

Published: September 1, 2006

© 2006 Buessecker et al.
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Einleitung und Fragestellung

Spätestens seit Veröffentlichung der Arbeit „To err is human – building a safer health system“ durch das amerikanische Institute of Medicine (IOM) im Jahre 1999 gewinnt das Thema Fehlervermeidung in der Medizin zunehmend an Bedeutung. Erkenntnisse über Ausmaß und Ursachen von Patientenrisiken tragen wesentlich dazu bei, dass das Risikobewußtsein im Gesundheitswesen und speziell in den Krankenhäusern geschärft und Maßnahmen ergriffen werden, um die Patientensicherheit zu erhöhen [1], [2]. Der Beitrag der IT zur Fehlervermeidung liegt u.a. in der Kommunikationsverbesserung, der Bereitstellung von medizinischem Wissen und patientenbezogener Informationen, der Durchführung von Berechnungen, der Unterstützung von Patienten-Monitoring und der kontextsensitiven Generierung von Erinnerungshinweisen und Alarmen [3], [4]. Der Schadensfall steht meist am Ende einer langen Ereigniskette, zu der häufig auch menschliche und/oder organisatorische Fehler gehören. Dies trifft auch für den seltenen aber hochdramatischen Fall einer chirurgischen Eingriffsverwechslung zu [5]. Insbesondere kann die Verwechslung bereits im Vorfeld der geplanten Operation bei der Informationsweitergabe an den OP-Bereich auftreten, z.B. durch eine falsche Seitenangabe im OP-Plan. Ein fataler Ausgang rückt schnell in bedrohliche Nähe, wenn die Lagerung oder die chirurgische Abdeckung des Patienten auf der Basis fehlerhafter Angaben durchgeführt werden. Insofern kommt der Kommunikation korrekter, operationsrelevanter Informationen im Vorfeld der geplanten Operation eine wesentliche Bedeutung zu. Der vorliegende Beitrag beschreibt die Möglichkeit, durch eine automatisierte Datenbankabfrage, die in einem KIS dokumentierten Seitenangaben zu Diagnosen und geplanten Operationen eines Patienten, hinsichtlich ihrer Konsistenz zu vergleichen und bei Feststellen von Inkonsistenzen eine automatische Benachrichtigung einzuleiten. Hierdurch besteht die Möglichkeit vor Beginn einer Operation widersprüchliche Angaben rechtzeitig zu entdecken und ggf. zu korrigieren.

Material und Methoden

Zur Analyse des Fehlerrisikos wurden die Daten aus dem zentralen OP-Bereich des Universitätsklinikums Gießen und Marburg, am Standort Marburg für das Jahr 2005 ausgewertet und in einer Prozessanalyse Fehlerursachen bestimmt. Zur Risikoreduktion wurde eine IT-Anwendung erstellt, mit der zeitnah automatische Benachrichtigungen generiert werden: Unter Verwendung von PL/SQL-Funktionen (Stored Procedures) und dem Oracle-Job-System der KIS-DB wird jede Nacht für alle im elektronischen OP-Plan des KIS angegebenen Seitenlokalisationen überprüft, ob zu den Patienten ICD-kodierte Aufnahmediagnosen mit kontralateralen Seitenangaben existieren; im positiven Fall wird eine Meldung generiert und in der Datenbank gespeichert. Diese Meldungen werden asynchron von einem kleinen Java-Programm ausgelesen und per EMail versandt.

Ergebnisse

Die Datenauswertung ergab folgende Situation: Insgesamt wurden 12022 Operationen durchgeführt; davon erfolgte für 7872 Operationen präoperativ eine elektronische Anmeldung zur Operation im KIS. Bei 2748 der geplanten Operationen war eine zu operierende Seite angegeben. Bei etwa 80 durchgeführten Operationen fand sich eine Abweichung zwischen der vor Beginn der Operation im OP-Plan angegebenen Seite und der postoperativ in der OP-Dokumentation erfassten, letztlich operierten Seite. In keinem Fall ist durch die widersprüchlichen Daten ein Patient tatsächlich zu Schaden gekommen. Die Daten wurden hausintern kommuniziert und zur Diskussion gestellt. Eine Prozessanalyse hat gezeigt, dass aus ablauforganisatorischen Gründen operationsrelevante Angaben häufig sehr früh im KIS erfasst werden (z.B. telefonisch übermittelt), zu diesem Zeitpunkt jedoch oft noch keine ausreichende Überprüfung der Angaben stattfinden kann. Im November 2005 erfolgte die Einführung der automatisierten, präoperativen Überprüfung der Daten des elektronischen OP-Plans bzw. der elektronischen Patientenakte. Dabei wurden bislang in 13 Fällen automatische Benachrichtigungen generiert, von denen 7 präoperativ auf widersprüchliche Seitenangaben hinwiesen. Durch die automatische Email-Benachrichtigung des OP-Koordinators wurden die Angaben jeweils in Rücksprache mit dem verantwortlichen Operateur rechtzeitig vor Beginn der Operation überprüft und ggf. korrigiert.

Diskussion

Bei Eingriffsverwechslungen in der Chirurgie handelt es sich immer um hochdramatische Ereignisse, die mit großem individuellen Schaden für den Patienten einhergehen, im klinischen Alltag aber sehr selten auftreten und grundsätzlich als vermeidbar gelten. Das Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V. hat zu Beginn diesen Jahres Handlungsempfehlungen zur Eingriffsverwechslung in der Chirurgie herausgegeben [5], worin es u.a. heißt: “Eine effiziente Vermeidungsstrategie ist die erfolgreiche Kommunikation zwischen Arzt, Pflegepersonal und Patient“. Im vorliegenden Beitrag wird eine einfache Maßnahme beschrieben, das Risiko einer Eingriffsverwechslung aufgrund potentiell falscher medizinischer Daten im OP-Plan zu verringern. Durch eine automatisierte Konsistenzprüfung der Daten im KIS können im Vorfeld geplanter Operationen widersprüchliche Daten aufgedeckt und automatisch den verantwortlichen Mitarbeitern weiterkommuniziert werden. Durch das beschriebene Verfahren werden bislang relativ wenige Inkonsistenzen präoperativ entdeckt, da zum Zeitpunkt der Überprüfung häufig noch keine Aufnahmediagnosen als Vergleichsdaten im KIS zur Verfügung stehen. Die Sensitivität des Verfahrens soll deshalb durch Hinzunahme von präoperativ z.B. in der elektronischen Anamnese erfassten Seitenangaben erhöht werden. Darüber hinaus ist es ebenfalls denkbar, die Auswertung von bisher lediglich strukturiert erfassten Seitenangaben in der OP-Anmeldung, auch auf Seitenangaben in Freitexten auszudehnen. Auf der anderen Seite gilt es durch Berücksichtigung einer geeigneten medizinischen Logik in der SQL-Abfrage die Rate falsch-positiver Meldungen möglichst niedrig zu halten.


Literatur

1.
Von Eiff W, Middendorf C. Klinisches Risikomanagement – kein Bedarf für deutsche Krankenhäuser? 2004; 7; 537 - 542
2.
Schrappe M. Patientensicherheit im Krankenhaus als Gegenstand der Versorgungsforschung. Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 2006; 2; 198 - 201
3.
Bates DW, Gawende AA. Improving Safety with information technology. NEJM, 2003; 348: 2526 - 2534
4.
Koshy R. Navigating the information technology highway:computer solutions to reduce errors and enhance patient safety. Transfusion. 2005;45:189S-205S
5.
Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V. Handlungsempfehlungen zur Eingriffsverwechslung in der Chirurgie. Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 2006; 1/06: 37 - 39