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51. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (gmds)

10. - 14.09.2006, Leipzig

Ein innovativer Ansatz zur Bestimmung der Kosten-Effektivität und der Budgetauswirkung neuer Wirkstoffe am Beispiel von Rimonabant

Meeting Abstract

  • Pamela Aidelsburger - CAREM GmbH, Sauerlach
  • Sabine Fuchs - CAREM GmbH, Sauerlach
  • Jörn Moock - Institut für Community Medicine, Ernst-Moritz-Arndt Universität, Greifswald, Greifswald
  • Franz Hessel - Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen, Essen
  • Sandra Mangiapane - IGES-Institut für Gesundheits- und Sozialforschung GmbH, Berlin
  • Holger Gothe - IGES-Institut für Gesundheits- und Sozialforschung GmbH, Berlin
  • Thomas Kohlmann - Institut für Community Medicine, Ernst-Moritz-Arndt Universität, Greifswald, Greifswald
  • Jürgen Wasem - Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen, Essen

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (gmds). 51. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. Leipzig, 10.-14.09.2006. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2006. Doc06gmds411

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/meetings/gmds2006/06gmds138.shtml

Published: September 1, 2006

© 2006 Aidelsburger et al.
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Text

Einleitung

Mit der Zulassung eines neuen pharmakologischen Wirkstoffes werden für Entscheidungsträger und hier insbesondere für Kostenträger die folgenden ökonomischen Fragen relevant: (1) Ist der neue pharmakologische Wirkstoff einem etablierten therapeutischen Verfahren hinsichtlich der Kosten-Effektivität überlegen? (2) Welche absoluten Kosten und Effekte bezogen auf die Gesamtbevölkerung sind mit der Zulassung für die Kostenträger zu erwarten? Die Beantwortung dieser Fragen kann im Rahmen einer gesundheitsökonomischen Evaluation unter Zuhilfenahme einer entscheidungsanalytischen Modellierung (Markov-Modell) und insbesondere eines Health Policy Models erfolgen. Hierzu sind Daten zur Prävalenz der Erkrankung in der Bevölkerung, zu deren Kosten und zur Effektivität medizinischer Maßnahmen notwendig. Gesundheitsökonomen stehen dabei häufig vor dem Problem, dass diese Daten nicht oder nicht mit ausreichender Validität zur Verfügung stehen. Bei der Beurteilung der Kosten-Effektivität von Rimonabant, einem selektiven Endocannabinoid-Rezeptorantagonisten zur Behandlung von kardiometabolischen Risikofaktoren, konnten aus randomisierten klinischen Studien (RCT) [1], [2], [3]. Daten zur medizinischen Effektivität entnommen werden, allerdings keine Daten zu Kosten und zur Prävalenz von kardiometabolischen Risikofaktoren in der deutschen Bevölkerung. Zudem sollte bei der gesundheitsökonomischen Evaluation der patientenrelevante Effekt der Lebensqualität berücksichtigt werden. Daten zur Lebensqualität wurden im Rahmen der RCTs [1], [2], [3] vor und nach Therapie erhoben, allerdings keine Daten zur Lebensqualität bei verschiedenen Folgeerkrankungen von kardiometabolischen Risikofaktoren. Am Beispiel von Rimonabant soll dargestellt werden, wie im Rahmen eines interdisziplinären Gesamtprojektes ein Health Policy Model entwickelt und fehlende Daten koordiniert erhoben wurden, so dass bereits mit Zulassung des neuen Wirkstoffes Rimonabant Beurteilungen sowohl zur Kosten-Effektivität als auch zu den absoluten Kosten und Effekten für die Gesamtbevölkerung gemacht werden können.

Methoden und Ergebnisse

Zentraler Projektteil ist die gesundheitsökonomische Evaluation des Wirkstoffes Rimonabant bei einer Dosierung von 20 mg/Tag zusätzlich zu einer Kalorienreduktion um 600 kcal bei Patienten mit verschiedenen kardiometabolischen Risikokonstellationen; entsprechend der Zulassungsstudien für Rimonabant (RIO-Studien). Zu den kardiometabolischen Risikofaktoren zählen alle Faktoren, die nach NCEP/ATP III [4] bei der Definition des metabolischen Syndroms genannt werden (erhöhter Bauchumfang, Hypertonie, Hypertriglyceridämie, niedrige HDL-Werte und erhöhte Nüchternglukosewerte). Die Kosten-Effektivität wird auf individueller Ebene gegen eine Diät mit Kalorienreduktion um 600 kcal verglichen. Zur Abschätzung der langfristigen Effekte von Rimonabant wurde ein Markov-Modell entwickelt, das neben Diabetes und diabetesbedingten mikro- und makrovaskulären Komplikationen auch kardiovaskuläre Komplikationen bei Nicht-Diabetikern berücksichtigt. Um von einer individuellen Ebene, also der Kosten-Effektivität einer Therapie mit Rimonabant bezogen auf einzelne Individuen, auf absolute Kosten und Effekte in der Gesamtbevölkerung (Health Policy Model) schließen zu können, muss sowohl ein Bezug zur Prävalenz einzelner Risikofaktoren als auch der Kombination der Risikofaktoren im Sinne des metabolischen Syndroms hergestellt werden. Im Rahmen des Gesamtprojektes wurde aus diesem Grund im Oktober 2005 eine epidemiologische Querschnittstudie in 1.511 teilnehmenden Allgemeinarztpraxen mit dem Ziel der Prävalenzbestimmung der genannten Risikofaktoren durchgeführt. Im Rahmen dieser Querschnittstudie wurden von 35.869 Patienten u. a. demographische Daten, Körpergewicht, Körpergröße, Bauchumfang, Blutdruck und Laborparameter bestimmt. Dieser Datenpool erlaubt die Ableitung von Prävalenzdaten sowohl für die verschiedenen Risikofaktoren allein als auch in ihrer Kombination. In zwei weiteren kleineren Teilprojekten wurden jährliche direkte medizinische Kosten für verschiedene Gesundheitszustände des Markov Modells erhoben: (1) Kostenerhebung entsprechend den Empfehlungen der AG Reha Ökonomie [5] (2) Verwendung eines Krankenkassendatensatzes zur Ermittlung der Inanspruchnahme- und Kostenmuster bei Versicherten, die den definierten Gesundheitszuständen des Markov-Modells zugeordnet werden konnten. Parallel zur Kostenerhebung wurde zur Bestimmung der Lebensqualität in verschiedenen Gesundheitszuständen eine Primärerhebung durchgeführt, als Erhebungsinstrumente wurden der EQ-5D und der SF-36 eingesetzt. Das Gesamtprojekt wurde von einem Beirat in regelmäßigen Sitzungen begleitet, wissenschaftliche Experten aus den Bereichen Entscheidungsanalyse, Kardiologie, Diabetologie, Sozialwissenschaften, Epidemiologie, Biometrie und Arzneimittelforschung waren in das Projekt eingebunden. Die Daten aus den verschiedenen Teilprojekten wurden abschließend im Markov Modell und auf gesellschaftlicher Ebene im Health Policy Model zusammengeführt.

Schlußfolgerung

Das vorgestellte Projekt zeigt, dass bereits vor Zulassung eines neuen pharmakologischen Wirkstoffes Ergebnisse zur Kosten-Effektivität und zur Budgetwirksamkeit aus einer Kostenträgerperspektive vorliegen können. Fehlende Daten für eine gesundheitsökonomische Evaluation können zeitnah mit hoher Datenqualität generiert werden. Um dieses Ziel zu erreichen, war eine interdisziplinäre Verzahnung nötig, die besondere Anforderungen an die logistische Abwicklung stellte und sorgfältiger Abstimmung bedurfte.


Literatur

1.
Despres JP, Golay A, Sjöström L, et al. Effects of rimonabant on metabolic risk factors in overweight patients with dyslipidemia. N Engl J Med. 2005;353(20):2121-34.
2.
Pi-Sunyer FX, Aronne LJ, Heshmati HM, Devin J, Rosenstock J, et al. Effect of rimonabant, a cannabinoid-1 receptor blocker, on weight and cardiometabolic risk factors in overweight or obese patients: RIO-North America: a randomized controlled trial. JAMA. 2006;295(7):761-75.
3.
Van Gaal LF, Rissanen AM, Scheen AJ, Ziegler O, Rössner S, et al. Effects of the cannabinoid-1 receptor blocker rimonabant on weight reduction and cardiovascular risk factors in overweight patients: 1-year experience from the RIO-Europe study. Lancet. 2005;365(9468):1389-97.
4.
NCEP ATP III – Final Report. Circulation. 2002;106:3143-420.
5.
AG Reha-Ökonomie. Gesundheitsökonomische Evaluation in der Rehabilitation. Förderschwerpunkt "Rehabilitationswissenschaften" - Empfehlungen der Arbeitsgruppen "Generische Methoden", "Routinedaten" und "Reha-Ökonomie". DRV-Schriften. 1999;16:103-246.