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50. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds)
12. Jahrestagung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie (dae)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie
Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie

12. bis 15.09.2005, Freiburg im Breisgau

Eine Methode zur Schätzung von Relativen Risiken aus Querschnittsstudien mit Krankheitsdauerdaten

Meeting Abstract

  • Ekkehart Dietz - Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charite Berlin, Berlin
  • D. Böhning - Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charite Berlin, Berlin
  • H. Englert - Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charite Berlin, Berlin
  • S. Willich - Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charite Berlin, Berlin

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie. 50. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds), 12. Jahrestagung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie. Freiburg im Breisgau, 12.-15.09.2005. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2005. Doc05gmds119

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/meetings/gmds2005/05gmds233.shtml

Published: September 8, 2005

© 2005 Dietz et al.
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Text

Einleitung und Fragestellung

Manchmal müssen Prävalenzstudien in der Krankheitsursachenforschung herangezogen werden. Diese erlauben es nicht, auf direktem Wege relative Risiken zu schätzen. Um zu Schätzungen von Inzidenzdichten und Risiken (kumulativen Inzidenzen) aus Querschnittsstudien und Daten über die Krankheitsdauer zu gelangen, setzt man eine stabile Inzidenz und eine stabile Krankheitsdauerverteilung voraus, d.h. ein Gleichgewicht zwischen Neuerkrankungen auf der einen Seite und Genesungen bzw. Todesfällen mit Krankheit auf der anderen Seite. Unter dieser Annahme wird dann die bekannte epidemiologische Variante der Little-Formel [1]

mittlere Prävalenz = mittlere Inzidenz pro Zeiteinheit*mittlerer Erkrankungsdauer

oder equivalent

mittlere Prävalenzodds = Inzidenzdichte*mittlerer Erkrankungsdauer

genutzt, um durch Multiplikation von Prävalenzodds-Ratios (POR) mit dem Verhältnis der mittleren Erkrankungsdauer von nicht exponierten Kranken und von exponierten Kranken zu Schätzungen von Inzidenzdichteverhältnissen (RR) zu kommen. Rechentechnisch elegant lässt sich das durch eine logistische Regressionsanalyse realisieren, bei der für jeden Probanden die logarithmierte erwartete Krankheitsdauer als Offset in den linearen Prediktor aufgenommen wird. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass nicht nur die Erkrankungsrisiken inhomogen sind und von Einflussvariablen abhängen können sondern auch die Krankheitsdauerverteilung.

Da man die jeweils erwartete Krankheitsdauer jedoch nicht kennt, muss man sie durch geeignete Schätzungen ersetzen, welche man z.B. aus einer Kohortenstudie von inzidenten Erkrankungsfällen mittels einer geeigneten Überlebenszeitanalysemethode gewinnen könnte. Eine solche Kombination einer Querschnittsstudie mit einer Fallkohortenstudie, die hier als CSCC-Studie (cross-sectional case-cohort study) bezeichnet werden soll, kann sich als deutlich kostengünstiger als eine gewöhnliche populationsbezogene Kohortenstudie herausstellen. Insbesondere wird man sich gelegentlich auf die Durchführung der Fallkohortenstudie beschränken können, da bereits eine gute Prävalenzstudie für die untersuchte Krankheit vorliegt. Als „gute Prävalenzstudie“ soll hier eine Studie bezeichnet werden, bei der alle relevanten Risikofaktoren erfasst wurden und die auf einer hinreichend große Stichprobe beruht.

In diesem Vortrag geht es jedoch vorrangig um den Versuch, auf eine zusätzliche Kohortenstudie völlig zu verzichten. Dazu wird vorausgesetzt, dass man die bisherige Krankheitsdauer DTD (duration to date) der prävalenten Fälle kennt. Studien, die über solche Daten verfügen sollen hier CSP (cross-sectional plus)–Studien genannt werden. Unter Nutzung von Ergebnissen der Theorie der Stochastischen Prozesse ist es dann tatsächlich möglich, aus DTD-Daten Schätzungen des gesuchten Biaskorrekturfaktors zu gewinnen. Dazu muss jedoch erneut die oben beschriebene Stabilität angenommen werden [2].

Material und Methoden

Die hier vorgeschlagene Methode beruht auf zwei Modellanpassungen:

1.
Es wird ein binäres logistisches Modell an die Indikatorvariable für die untersuchte Erkrankung angepasst. Als Ergebnis erhält man als logarithmisierte Prävalenzodds-Ratios interpretierbare Regressionskoeffizienten.
2.
Es wird ein akzeleriertes Überlebenszeitmodell an die DTD-Daten angepasst wobei ohne Einschränkung der Allgemeinheit die gleichen Kovariablen, wie bei der logistischen Regressionsanalyse berücksichtigt werden. Als Ergebnis hält man als logarithmisiertes Verhältnis von erwarteten Erkrankungsdauern interpretierbare Regressionskoeffizienten.

Die Differenz der Koeffizienten einer Kovariablen aus den beiden Modellanpassungen kann dann unter der Stabilitätsannahme als logarithmiertes Relatives Risiko interpretiert werden. Außerdem lassen sich aus den Standardfehlern der jeweiligen Schätzungen der Regressionskoeffizienten Konfidenzintervallschätzungen für das Relative Risiko ableiten.

Die Methode wird an den Daten der Berliner Männerstudie [3] demonstriert. Diese wurde als repräsentative Querschnittserhebung der männlichen Berliner Bevölkerung im Alter von 40 bis 79 Jahren konzipiert. Ein Hauptgegenstand der Studie war die Prävalenz der erektilen Dysfunktion (ED). Dazu sollten die Studienteilnehmer nicht nur angeben, ob sie diesbezüglich Probleme haben sondern auch seit wann. Damit ist die Berliner Männerstudie eine CSP-Studie. Als Kovariablen wurden u. a. Alter, Rauchen, BMI, Arbeitslosigkeit, Stress, chronische Erkrankungen und sportliche Aktivität erfasst.

Ergebnisse

Die logistische Regressionsanalyse zeigte eigenständige statistisch signifikante Effekte fast aller oben genannter Kovariablen auf die ED-Prävalenz.

Die konfounderadjustierten POR-Schätzungen unterschieden sich bei diesen Daten numerisch meist nur mäßig von den mit der vorgeschlagenen Methode erhaltenen RR-Schätzungen und es trat keine „Effektumkehr“ auf. Jedoch ist der Unterschied zwischen Raucher und Nieraucher bei der Betrachtung der Relativen Risiken statistisch signifikant während das entsprechende Prävalenzodds-Ratio sich als statistisch nicht signifikant erweist. Andererseits verliert die binäre Variable Stress bei der Betrachtung der Relativen Risiken ihre statistische Signifikanz.

Diskussion

Der Fehler, den man begeht, wenn man die auf Prävalenzen basierenden Maßzahlen als Schätzungen für die auf das Erkrankungsrisiko bezogenen Maßzahlen verwendet kann theoretisch groß sein und sogar zur Effektumkehr führen, wie ein fiktives Beispiel von Neyman zeigt [4]. Möglichst gute Schätzungen von relativen Risiken aus Prävalenzstudiendaten sind aber aus den folgenden Gründen sehr erstrebenswert:

1.
Es gibt Situationen, in denen Risikofaktoren zu bewerten sind, obwohl nur Prävalenzstudien aber keine geeignete Kohorten- oder Fall-Kontroll-studien vorliegen (z.B. zu AIDS in Afrika [5]).
2.
Querschnittsstudien werden oftmals als ein Weg angesehen, Hypothesen bezüglich Expositionseinflüsse zu generieren. Bei einem solchen Verfahren werden Prävalenzverhältnisse oder Prävalenzodds-Ratios wie Relative Risiken interpretiert und damit der Prävalenz-Inzidenz-Bias ignoriert. Verfahren zur Adjustierung dieses Bias könnten deshalb hier großen Gewinn bringen.
3.
Aus wissenschaftsökonomischen Gründen ist es sehr wünschenswert, die Information bezüglich relativer Risiken, die in den zahlreich vorhandenen Prävalenzstudien (z.B. nationale Gesundheitssurveys) enthalten ist, zu erschließen.
4.
Neben der Möglichkeit einer direkten Schätzung von Relativen Risiken besteht ein wesentlicher Vorteil der Kohortenstudien gegenüber den Querschnittsstudien darin, dass hier als gesichert angesehen werden kann, dass bei den Fällen die betrachtete Exposition den Erkrankungen vorausging. Nun gibt es aber Situationen, in denen auch bei einem Querschnittsstudiendesign dieses Kausalitätskriterium erfüllt ist (z.B. bei Studien zu genetischen Expositionsfaktoren sowie zu nosokomialen Infektionen). Beim vorliegen einer geeignete Methoden zur Schätzung von relativen Risiken aus Querschnittsstudiendaten könnte sich in diesen Bereichen die Querschnittsstudie zu einer echten Alternative zur Kohorten- bzw. zur Fall-Kontrollstudie etablieren.

Die hier vorgeschlagene Methode beruht wesentlich auf einer Stabilitätsannahme, deren exakte Gültigkeit in einer realen Population zu Recht bezweifelt werden kann. Es soll deshalb in diesem Beitrag auch die Grösse und die Richtung des „Bias der Prävalenz-Inzidenz-Bias-Korrektur“ auf der Grundlage von Szenarien der Nichtstabilität diskutiert werden.


Literatur

1.
Little JDC. A proof for queing formula: L=λ*W. Operations Research 1961; 9: 383-387
2.
Cox DR, Miller HD. The Theory of Stochastic Processes. Chapman & Hall, 1965
3.
Schaefer G, Englert H, Ahlers C, Roll S, Willich S, Beier K. Erectile disorder and quality of life - first results of the Berlin Male Study. Sexuologie 2003; 10: 50-60
4.
Neyman J. Statistics: servant of all sciences. Science 1955; 122: 401-406
5.
Brookmeyer R, Quinn TC. Estimation of current human immunodeficiency virus incidence rates from cross-sectional survey using early diagnostic tests. AJE 1995; 141(2): 166-172