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Evidenz und Entscheidung: System unter Druck
10. Jahrestagung des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin

Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e. V.

05.03. - 07.03.2009 in Berlin

50 Jahre nach Contergan – Evaluation von Fehlbildungsrisiken nach Arzneimittelanwendung in der Schwangerschaft

Meeting Abstract

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  • corresponding author presenting/speaker Wolfgang Paulus - Institut für Reproduktionstoxikologie, KH St. Elisabeth (Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Ulm)
  • presenting/speaker Rainer Wiedemann - Institut für Reproduktionstoxikologie, KH St. Elisabeth (Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Ulm)

Evidenz und Entscheidung: System unter Druck. 10. Jahrestagung des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin. Berlin, 05.-07.03.2009. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2009. Doc09ebmP9.6

doi: 10.3205/09ebm096, urn:nbn:de:0183-09ebm0964

Published: March 4, 2009

© 2009 Paulus et al.
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Hintergrund

Zwischen 1958 und 1961 wurden rund 10.000 Kinder mit schweren Gliedmaßendefekten geboren, deren Mütter das Schlafmittel Contergan® (Thalidomid) eingenommen hatten. Seither sichert sich die pharmazeutische Industrie durch restriktive Formulierungen auf den Beipackzetteln ab, was jedoch zu großer Verunsicherung der Patientinnen nach Medikamenteneinnahme in Unkenntnis einer bestehenden Frühschwangerschaft führt. Unnötige Schwangerschaftsabbrüche aus Fehlbildungsangst bzw. gefährlicher Verzicht auf erforderliche Therapien in der Schwangerschaft belasten die betroffenen Patientinnen und Mediziner sowie das Gesundheitssystem. Das zentrale Problem der Risikoevaluation einer Medikation in der Schwangerschaft liegt in der Akquisition einer ausreichenden Fallzahl mit einem entsprechenden Kontrollkollektiv. Eine neue Leitlinie der European Medicines Agency (EMEA) fordert 300 Fälle zur Einstufung "Malformative risk unlikely in humans, but low evidence" bzw. 1000 Fälle für die Kategorie "Malformative risk unlikely in humans with strong evidence".

Material und Methoden

Auf Initiative der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe wurde 1976 ein Beratungs- und Pharmakovigilanzzentrum für Medikamente in Schwangerschaft und Stillzeit an der Universität Ulm gegründet, das seit 1992 dem europäischen Netzwerk embryonaltoxikologischer Beratungsstellen (ENTIS = European Network of Teratology Information Services) angehört. Seit 1989 werden sämtliche Konsultationen auf der Basis standardisierter Anfrage- und Rückmeldebögen in einer Datenbank aufgenommen. Eine gebührenfreie schriftliche Stellungnahme soll den betreuenden Fachärzten die individuelle Risikoabschätzung und Therapiewahl erleichtern. Als Gegenleistung wird eine sorgfältige Dokumentation des Schwangerschaftsverlaufes und –ausgangs erbeten. Voraussetzung für die prospektive Verfolgung des Schwangerschaftsverlaufes ist die Kontaktaufnahme in der Frühgravidität mit Übermittlung der erforderlichen Basisdaten.

Ergebnisse

Bei einem jährlichen Volumen von ca. 4500 Konsultationen werden ca. 52% der Anfragen in die Followup-Prozedur eingeschlossen. Durch intensive schriftliche und telefonische Datenabfrage konnte die Rückmeldequote in den letzten Jahren auf ca. 73% gesteigert werden. Damit verfügt unsere Datenbank derzeit über ca. 18.500 komplette Falldokumentationen mit den erforderlichen Daten zum Schwangerschaftsausgang. Um ein Kontrollkollektiv zu rekrutieren, wurden auch über 750 Fälle ohne relevante systemische Exposition erfasst. Der statistische Vergleich von exponierten Schwangeren mit dem Kontrollkollektiv dient der Evaluation von Abort- und Fehlbildungsrisiken.

Schlussfolgerung

Da sich aus ethischen Gründen randomisierte kontrollierte Studien zur Medikamentenexposition in der Schwangerschaft weitgehend verbieten, gelingt eine Bewertung von Abort- und Fehlbildungsrisiken nur durch Nachverfolgung von Medikationen nach Kontaktaufnahme in der Frühgravidität. Um in absehbaren Zeiträumen repräsentative Fallzahlen nach den EMEA-Leitlinien zu erreichen, ist eine intensive bundesweite Vernetzung mit den betreuenden Fachärzten erforderlich. Nur eine möglichst konsequente Dokumentation aller akzidentellen Medikamentenexpositionen in der Schwangerschaft ermöglicht eine ausreichende Datenqualität, um eine Wiederholung von Erfahrungen wie bei Contergan® zu verhindern.