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16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

4. - 6. Oktober 2017, Berlin

Geografische Analyse der Erreichbarkeit von medizinischen Versorgungseinrichtungen und deren Auswirkung auf die Inanspruchnahme

Meeting Abstract

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  • Ulrike Stentzel - Universitätsmedizin Greifswald, Greifswald, Germany

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocV047

doi: 10.3205/17dkvf406, urn:nbn:de:0183-17dkvf4063

Published: September 26, 2017

© 2017 Stentzel.
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Hintergrund: Vorpommern ist ein typisch ländlicher Raum, der stark durch den demografischen Wandel geprägt ist und sich durch eine geringe Bevölkerungsdichte und eine große Fläche auszeichnet. Daher ist auch die Dichte an medizinischen Versorgungseinrichtungen gering, was zu ausgedehnten Einzugsbereichen von Arztpraxen und Krankenhäusern führt. Der Anteil der Älteren ist hier weiterhin steigend. Aufgrund des höheren Morbiditätsrisikos im Alter steigen auch der medizinische Versorgungsbedarf und die Inanspruchnahme. Dagegen sinkt der Anteil der Jüngeren. Die Einzugsbereiche von Fachrichtungen, die vorwiegend Jüngere versorgen (z.B. Pädiater, Gynäkologen), werden immer größer. Große Einzugsbereiche erfordern die Überbrückung von großen Distanzen.

Fragestellung: Wie sind die ambulant tätigen Hausärzte (HÄ) und Ärzte der Fachrichtungen Augenheilkunde, Innere Medizin und Urologie per Pkw und per ÖPNV erreichbar? Gibt es signifikante Unterschiede zwischen den Arztgruppen? Wie viele Einwohner verteilen sich über die verschiedenen Zonen der Erreichbarkeit (gemessen in Fahrzeit)? Am Beispiel der Frauenärzte wird untersucht, ob die Inanspruchnahme durch die Erreichbarkeit (Fahrzeit PKW und ÖPNV), beeinflusst wird und ob sich dies von HÄ unterscheidet.

Methode: Die Erreichbarkeitsanalysen (Netzwerkanalysen) werden in einem Geographischen Informationssystem (GIS) (ESRI®ArcGISTM 10.0 Esri Inc., Redlands/California (USA)) durchgeführt. Als Grundlage dienen Orts- und Ortsteilmittelpunkte sowie digitale routing-fähige Straßendaten. Zusätzlich werden Einwohnerdaten, Standorte von Leistungserbringern und Informationen zur Inanspruchnahme aus der Study of Health in Pomerania (SHIP) verwendet. Für die Berechnung der ÖPNV-Erreichbarkeit wurden die Fahrpläne der vorpommerschen Verkehrsbetriebe und die geografischen Koordinaten der Bus- und Bahnhaltestellen benötigt. Die ÖPNV-Fahrzeiten wurden mit einer institutseigenen Netzwerkanalyse-Anwendung berechnet und anschließend im GIS kartografisch dargestellt.

Unterschiede in der Erreichbarkeit von HÄ, Augenärzten, fachärztlichen Internisten und Urologen wurden mit einer Varianzanalyse (ANOVA mit Post hoc Test (Tukey, REGWQ), Kruskal Wallis-Test) mit der Software SAS 9.3 © 2002-2010 (by SAS Institute Inc., Cary, NC, USA) berechnet.

Der Einfluss der Erreichbarkeit auf die Inanspruchnahme von Frauenärzten und HÄ wurde mit einer logistischen Regression berechnet. Weitere Variablen sind Alter, Sozialschichtindex, Gesamtreisezeit mittels Pkw und mittels ÖPNV und die Anzahl volljähriger Personen im Haushalt. Als Maß für die Korrektheit der Stichprobenergebnisse wurden Konfidenzintervalle (CI) mit einer Überdeckungswahrscheinlichkeit von 95 % berechnet. Alle statistischen Berechnungen wurden mit SAS 9.3 © 2002-2010 (by SAS Institute Inc., Cary, NC, USA) durchgeführt.

Ergebnisse: Die Reisezeit mit dem Pkw zum Hausarzt (HA) bewegt sich zwischen 0,1 und 22,9 Min., die Reisezeit zu den ärztlichen Spezialisten zwischen 0,4 und 42,9 Min. 80 % der Bevölkerung erreicht den Spezialisten innerhalb von 20 Min. Die Unterschiede zwischen den Arztgruppen unterscheiden sich signifikant.

Ganz anders die ÖPNV-Erreichbarkeit: Während zum HA eine Gesamtreisezeit (Hin- und Rückfahrt, ohne Aufenthaltsdauer beim Arzt) von im Durchschnitt 99 Min. (SD 63) benötigt wird, beträgt die durchschnittliche Gesamtreisezeit zum Internisten 143 Min. (SD 100), zum Augenarzt 129 Min. (SD 76) und zum Urologen 159 Min. (SD 110). 3,8 % der Bevölkerung (n = 8.973) hat keine ÖPNV-Verbindung zum HA und 6,5 % (n = 15.455) hat keine Verbindung zum Spezialisten. Diese Ergebnisse wurden im Oktober 2016 veröffentlicht [1].

Die Erreichbarkeit sowohl per Pkw als auch per ÖPNV ist kein signifikanter Prädiktor für die Inanspruchnahme weder von Frauenärzten noch von HÄ. Bei der ÖPNV-Erreichbarkeit von Frauenärzten waren Alter (OR 0,960, 95 % CI 0,950 – 0,971, p < 0,0001), soziale Schicht (OR 1,137, 95 % CI 1,084 – 1,193, p < 0,0001) und Personen im Haushalt ≥ 18 Jahre (OR 2,315, 95 % CI 1,116- 4,800, p = 0,0241) signifikant. Bezüglich der Inanspruchnahme von HÄ ist nur der soziale Schichtindex signifikant.

Diskussion: Die Berechnung der Erreichbarkeit basiert auf einem Modell, dem aber möglichst realitätsnahe Annahmen zugrunde liegen. Erreichbarkeit ist keine Frage der Entfernung sondern der Anbindung. In Vorpommern wird die Inanspruchnahme nicht von der Erreichbarkeit per Pkw und ÖPNV beeinflusst. Entscheidender sind der soziale Schichtindex und teilweise auch die Anwesenheit von Personen im Haushalt, die volljährig und damit potentielle Inhaber einer Fahrerlaubnis sind und als Fahrer zur Verfügung stehen könnten.

Mit Hilfe geografischer Analysen in einem GIS können drohende oder bestehende Defizite in der Erreichbarkeit von medizinischen Versorgungseinrichtungen aufgedeckt werden. Daher können Erreichbarkeitsanalysen bei der Planung der regionalen Versorgung ein hilfreiches Instrument sein.


Literatur

1.
Stentzel U, Piegsa J, Fredrich D, Hoffmann W, van den Berg N. Accessibility of general practitioners and selected specialist physicians by car and by public transport in a rural region of Germany. BMC Health Serv Res. 2016 Oct 19;16(1):587. DOI: 10.1186/s12913-016-1839-y External link