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16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

4. - 6. Oktober 2017, Berlin

Lebensweltbezogene Versorgungsforschung am Beispiel jungerkrankter Menschen mit Parkinson – spezifische Bewältigungsanforderungen und daraus resultierende Umgangsstrategien im Krankheitsverlauf

Meeting Abstract

  • Manuela Lautenschläger - Universität Witten/Herdecke, Witten, Germany
  • Karen Kolsmann - Universität Witten/Herdecke, Witten, Germany
  • Ulrike Höhmann - Universität Witten/Herdecke, Witten, Germany

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocP167

doi: 10.3205/17dkvf400, urn:nbn:de:0183-17dkvf4000

Published: September 26, 2017

© 2017 Lautenschläger et al.
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Text

Hintergrund: Das Projekt beschäftigt sich -am Beispiel von Morbus Parkinson- mit den bislang kaum erforschten Grundlagen des Zusammenspiels situations-, krankheitsbezogener und therapiebedingter Parameter auf Seiten der jungerkrankten Betroffenen und ihrer je spezifischen Ausprägung bei der Entstehung proaktiver bzw. reaktiver Muster der Krankheitsbewältigung.

Junge Menschen mit chronischen Erkrankungen haben aufgrund ihres Lebensabschnittes sowohl in persönlicher, als auch in wirtschaftlicher Hinsicht mannigfaltigere und anderes geartete Bewältigungsanforderungen als ältere Betroffene. Diese resultieren v.a. aus der Tatsache, dass die Jungerkrankten aufgrund ihres Lebensalters privat und beruflich in der Regel noch voller Pläne und Verpflichtungen stecken. Beispielsweise kommt es im Krankheitsverlauf mit Zunahme der Symptomatik häufig zur Erwerbsunfähigkeit, die krankheitsbedingte Frühberentung oder Arbeitslosigkeit nach sich ziehen kann und zumeist an finanzielle Einbuße gekoppelt ist.

Ziel dieses Projektes ist es zentrale Themen der Bewältigung (Anforderungen und Umgangsstrategien) und deren Wechselspiel aufzuzeigen, um daraus resultierende Erfordernisse für die Versorgungsforschung und -gestaltung zu diskutieren.

Fragestellung:

1.
Welche Bewältigungsanforderungen werden von jungerkrankten Parkinsonbetroffenen im Krankheitsverlauf beschrieben?
2.
Welche unterschiedlichen Umgangsstrategien zur Krankheitsbewältigung werden von den Betroffenen im eingesetzt?

Methode: Methodisch fundiert sich das Projekt über einen multiperspektivischen Ansatz mit hohem Erkenntnispotential für tertiärpräventive Fragestellung.

Mit 15 jungerkrankten Parkinsonbetroffenen werden prospektive Fallstudien zur Ermittlung der Bedingungen und Formen ihrer Präventions- und Resilienzpotentiale im Zeitverlauf durchgeführt (N=15).

Der Feldzugang erfolgte vorrangig über Selbsthilfegruppen für (jungerkrankte) Menschen mit Parkinson.

Bei den 15 Studienteilnehmenden handelt es sich um kontrastierende Fälle. Einschlusskriterien sind, dass die Diagnosestellung vor dem 45 Lebensjahr stattgefunden hat und mindestens acht Jahre zurückliegt und der sog. medikamentöse „Honey Moon“ sich dem Ende zuneigt oder aber bereits überschritten ist und demzufolge neue Bewältigungsstrategien gefunden werden müssen.

Das Projekt ist auf drei Jahre angelegt und beinhaltet vier Erhebungszeitpunkte.

Die Daten werden aus teilstrukturierten Interviews, Tagebuchaufzeichnungen und einer Gruppendiskussion gewonnen und mittels inhaltlich-strukturierende Inhaltsanalyse sowie einer darauf aufbauenden Typenbildung ausgewertet.

Ergebnisse: Erste Ergebnisse zeigen zum Beispiel, dass es offensichtlich hinsichtlich der Medikamenteneinnahme zwei Gruppen von Patienten gibt: Diejenigen, die strikt nach Zeitplan und diejenigen, die nach aktuellem Körpergefühl vorgehen. Wobei in beiden Gruppen das Einnahmeregime nicht allein durch die aktuelle Befindlichkeit bestimmt wird, sondern auch hinsichtlich eines je individuellen Kalküls über die langfristige (nachlassende) Wirkung der Medikamente bezogen auf zukünftige (berufliche und nichtberufliche) Lebensplanung.

Diskussion: Um jungen Menschen mit chronischen Erkrankungen eine nachhaltige und bedarfsgerechte Unterstützung zuteilwerden zu lassen, müssen sie in der Art und Weise ihres Bewältigungshandelns lebensphasengerecht und entsprechend ihrer subjektiven Bewältigungsstrategien sowie der jeweils vorherrschenden Symptomausprägung unterstützt werden.

Auf der Grundlage erster Ergebnisse zeigt sich, dass eine solche bedarfsgerechte Versorgung häufig große Lücken aufweist. Schon in der Diagnosephase wird aufgrund des relativ geringen Alters der Krankheitsstatus von Professionellen (Ärzten, Physiotherapeuten) und dem sozialem Umfeld oft nicht richtig erkannt und eingeschätzt. Die Patienten werden zwischen den verschiedenen medizinischen Fachdisziplinen und Einrichtungen hin und her überwiesen (= Drehtüreffekte), fachliche Koordination findet kaum statt.

Aber auch im weiteren Verlauf der gesicherten Diagnose mangelt es häufig an einer situationsadäquaten Unterstützung und Fallsteuerung.

Praktische Implikation: Ziel des Projektes ist es, entsprechende Erkenntnisse für die individuelle Anpassung medizinischer, therapeutischer und pflegerischer Versorgungshandlungen nutzbar zu machen, um so zu einer Optimierung phasenbezogenen Beratungs- und Therapieleistungen, etwa einer partizipativen Entscheidungsfindung, zu gelangen. Diese wiederum sind Voraussetzung zur Verbesserung der Resilienz und des Selbstwirksamkeitserlebens der Jungerkrankten und den damit verbundenen positiven Wirkungen auf das Selbstmanagement des Krankheitsverlaufs im Sinne einer tertiären Prävention.