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16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

4. - 6. Oktober 2017, Berlin

Patienten mit akuter Nierenschädigung – Versorgungsstand, klinischer Verlauf und Einfluss des fachspezifischen Konsils

Meeting Abstract

  • Anja Haase-Fielitz - Medizinische Hochschule Brandenburg, Brandenburg, Germany
  • Anke Spura - Institut für Sozialmedizin und Gesundheitsökonomie, Med. Fakultät, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Magdeburg, Germany
  • Bernt-Peter Robra - Institut für Sozialmedizin und Gesundheitsökonomie, Med. Fakultät, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Magdeburg, Germany
  • Christian Albert - Institut für Sozialmedizin und Gesundheitsökonomie, Med. Fakultät, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Magdeburg, Germany
  • Martin Ernst - Institut für Sozialmedizin und Gesundheitsökonomie, Med. Fakultät, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Magdeburg, Germany
  • Michael Haase - Medizinische Fakultät, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Magdeburg, Germany; Diaverum MVZ Deutschland, Germany

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocP181

doi: 10.3205/17dkvf371, urn:nbn:de:0183-17dkvf3711

Published: September 26, 2017

© 2017 Haase-Fielitz et al.
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Text

Hintergrund: Die akute Nierenschädigung (AKI) ist die häufigste und kostenintensivste Nierenerkrankung stationär behandelter Patienten. Ca. 10% aller hospitalisierten Patienten entwickeln eine AKI. Betroffen sind Patienten aller Fachabteilungen. Der Verlauf ist zumeist asymptomatisch; die Diagnosestellung nicht trivial. Die populationsbezogene Häufigkeit pro 100.000 Einwohner liegt bei ca. 500 Fällen und ist deutlicher höher als die des akuten Myokardinfarkts (vgl. ca. 300 Fälle). Patienten mit einer AKI haben eine mehr als verdoppelte Verweildauer im Krankenhaus im Vergleich zu Patienten ohne diese Komplikation. 15-20% der betroffenen Patienten müssen innerhalb von 30 Tagen nach Krankenhausentlassung erneut stationär behandelt werden. Ein signifikanter Anteil dieser Patienten (10-20%) entwickelt als Folge eine chronische Niereninsuffizienz bis hin zur Dialysepflichtigkeit. Der aktuelle Versorgungsstand dieser Patienten wurde in Deutschland noch nicht beschrieben. Es ist unbekannt, wie hoch der Anteil von Patienten mit AKI ist, die ein fachspezifisches Konsil erhalten, welche Ursachen zum Verzicht auf ein fachspezifisches Konsil führen und welchen Effekt die Versorgung mit und ohne Konsil auf Patienten- und Prozess-relevante Endpunkte hat.

Fragestellung: Wie ist der aktuelle Versorgungsstand betroffener Patienten? In welchen Bereichen der Versorgung bestehen Defizite? Ist eine zeitnahe fachspezifisch konsiliarische Behandlung von Patienten mit AKI mit einer verbesserten Versorgung und besseren Patienten-bezogenen Endpunkten assoziiert?

Methode: Ziel dieser retrospektiven Analyse war es, aus den Daten des Krankenhaus- und Laborinformationssystems den Versorgungsstand und den klinischen Verlauf von 150 Patienten mit vorbestehender chronischer Niereninsuffizienz und zusätzlichem Auftreten einer AKI (akut-auf-chronische Nierenschädigung) während des stationären Aufenthaltes zu analysieren. Verglichen wurden Patienten mit vs. ohne konsiliarische Mitbetreuung. Diagnostische und therapeutische Maßnahmen und der Entlass-Status von Patienten (Nierenfunktionserholung, Dialysepflichtigkeit, Grad der Versorgung nach Entlassung, Überleben) wurden erfasst.

Ergebnisse: 25% (N=38/150) der Patienten mit AKI wurden konsiliarisch behandelt. Patienten mit oder ohne konsiliarische Mitbetreuung waren vergleichbar hinsichtlich soziodemographischer Variablen, Aufnahmestatus ins Krankenhaus, Vorerkrankungen sowie der Anzahl der AKI-auslösenden Ursachen. Die Anforderung eines fachspezifischen Konsils erfolgte mit der Fragestellung nach Einleitung einer Dialysetherapie und der Behandlung renaler Komplikationen im Mittel 71,2 h (SD±90h) nach Entwicklung der AKI. Eine zeitnahe Umsetzung (innerhalb von <12 h nach Diagnosestellung) zumindest einer in konsentierten Leitlinien empfohlenen therapeutischen oder diagnostischen Maßnahme erfolgte in der Konsilgruppe bei 66% der Patienten im Vergleich zu 24% der Patienten ohne Konsil, p<0,001. Bei der Mehrzahl der Patienten ohne fachspezifisches Konsil waren keine spezifischen Maßnahmen ersichtlich (72,3%). Bei jedem 4.-5. von Patienten ohne fachspezifisches Konsil wurden AKI-assoziierte Komplikationen und eine gesteigerte Krankenhausletalität im Vergleich zur durchschnittlichen KH-Letalität aller stationären Patienten (13,4% vs. ca. 2%) beobachtet.

AKI war bei 63,1% der Patienten mit Konsil und bei 15,2% ohne Konsil in der Patientenakte dokumentiert, p<0,001. Trotz eines höheren Kreatinin-Maximalwerts während des Krankenhausaufenthaltes (274 [196-363] µmol/l vs. 154 [129-219] µmol/l, p<0,001) und einer höheren AKI-Progressionsrate (77,3% versus 14,3%, p<0,001) unterschied sich die Nierenfunktion von Patienten mit konsiliarischer Behandlung zum Zeitpunkt der Krankenhausentlassung und der Anteil der überlebenden Patienten, welcher nach dem Krankenhausaufenthalt direkt in die Häuslichkeit entlassen wurde, nicht von Patienten ohne Konsil (129 [74-237] µmol/l vs. 112 [81-148 µmol/l, p=0,993; bzw. mit Konsil: 73,9% versus ohne Konsil: 70,1%, p=0,71). Die Rate der Rehospitalisierung innerhalb von 30 Tagen nach Entlassung lag bei beiden Patientengruppen bei 17%.

Diskussion: Die Komplikationsrate von Patienten mit AKI ist hoch, die Wahrnehmung gemessen an der Letalität gering. Die Anforderung eines Konsils erfolgt spät, dennoch scheint der Verlauf durch fachspezifische Maßnahmen günstig beeinflussbar zu sein. Patienten ohne Konsil weisen einen niedrigen Versorgungsstand und eine schlechtere Prognose als Krankenhauspatienten ohne AKI (im Vgl. zu Lit.daten) auf. Die vorliegenden Daten stützen die Hypothese, dass alle Patienten mit einer AKI ein zeitnahes fachspezifisches Konsil erhalten sollten.

Praktische Implikationen: Im Vordergrund künftiger Untersuchungen sollten die Kontextanalyse für den Status quo der Versorgung von Patienten mit AKI und die Implementierung neuer Versorgungselemente zur Unterstützung der Diagnosestellung (z.B. AKI-Alarmsysteme) und Therapieeinleitung (z.B. Maßnahmenbündel) stehen.