gms | German Medical Science

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

4. - 6. Oktober 2017, Berlin

Eine deutschlandweite Beratungshotline für schwer von MS betroffene Patienten zur palliativen und hospizlichen Versorgung: Ergebnisse der ersten Förderphase

Meeting Abstract

  • Heidrun Golla - Uniklinik Köln, Köln, Germany
  • Bernadette Groebe - Uniklinik Köln, Köln, Germany
  • Julia Strupp - Uniklinik Köln, Köln, Germany
  • Gabriele Grede - Uniklinik Köln, Köln, Germany
  • Michaela Mai - Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft Bundesverband e.V., Hannover, Germany
  • Raymond Voltz - Universitätsklinikum Köln, Köln, Germany

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocP185

doi: 10.3205/17dkvf319, urn:nbn:de:0183-17dkvf3196

Published: September 26, 2017

© 2017 Golla et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Outline

Text

Hintergrund: Menschen, die schwer von MS betroffen sind, haben komplexe Bedürfnisse, die derzeit noch unzureichend abgedeckt sind. Auch äußern sie den Wunsch nach offener Kommunikation zu den Themen Lebensende, Tod und Sterben sowie Krankheitsverschlechterung. Der Einbezug von Palliativmedizin mit ihrem interdisziplinären Ansatz kann eine wertvolle ergänzende Versorgungsstruktur für Menschen mit MS sein. Dennoch wird derzeit für diese Patienten eine solche komplementäre Palliativversorgung oftmals als nicht relevant angesehen. Als niederschwelliges Beratungsangebot wurde eine bundesweite Telefonhotline eingerichtet, die schwer betroffene MS-Patienten, ihre Angehörigen und Versorger zu Möglichkeiten der palliativmedizinischen und hospizlichen Versorgung (PHV) informiert und Kontakte zu entsprechenden Strukturen vermittelt.

Fragestellung: Bei der Analyse der eingegangenen Anrufe sind insbesondere die inhaltlichen Schwerpunkte der Anfragen von Interesse, um auf Bedürfnisse der Personen mit MS und deren Angehörigen schließen zu können. Zudem dienen strukturelle Informationen zu Merkmalen der Lebenssituation der Person und der Erkrankung dazu, ein genaueres Bild der Zielgruppe zu erhalten.

Methode: Die Anrufe wurden von geschulten Beraterinnen mit mehrjähriger Erfahrung im palliativen und hospizlichen Kontext entgegengenommen. Eingehende Gespräche wurden mittels strukturiertem Dokumentationsbogen erfasst und deskriptiv ausgewertet.

Ergebnisse: Zwischen 9/2014 - 11/2016 gingen 222 Anrufe (62% weibliche Anrufer) ein. 114 Anrufe kamen direkt von betroffenen MS-Patienten und 61 Anrufe von Angehörigen, meist (Ehe-)Partner (n=16), gefolgt von Freunden / Nachbarn (n=10) sowie Kindern der Betroffenen (n=9). Ein Drittel der Anrufer suchte konkret Informationen über palliative und hospizliche Versorgung (PHV) und entsprechende Versorgungsangebote, 8% hatte Fragen zur MS allgemein, 20% zur speziellen Versorgung bei MS und 13% zu Medikation / Behandlung der MS. 10% gaben ihre inadäquate Wohnsituation als Grund für den Anruf an und in 5% der Anrufe befand sich der Anrufer in einer Krisensituation. Die mittlere Erkrankungsdauer der Patienten (mittleres Alter 51 Jahre; 27 - 84 Jahre) lag bei 18 Jahren, 86% hatten eine progrediente Verlaufsform der MS, 85% lebten in der eigenen Wohnung. Patienten berichteten typische palliative Symptome (z.B. unkontrollierbarer Schmerz: 28%) und klassische Symptome der MS (z.B. Einschränkungen der Mobilität: 42%, Sprechstörungen: 14%, Störung der Harn- und Stuhlentleerung: 14%). Auch psychosoziale Probleme kamen häufig zur Sprache. So wurden für 13% der Anrufer psychische Belastungen, bei 12% eine schwierige Wohnsituation der schwer betroffenen MS-Patienten, z.B. ungewolltes Zusammenleben mit einem Ex-Partner, weil keine behindertengerechte Wohnung zu finden ist, und in 10% der Anrufe Nöte von Angehörigen, u.a. durch Überforderung mit der Pflege der erkrankten Angehörigen, als Problembereiche dokumentiert. Über diese Hauptkategorien hinaus berichten 21 Anrufer von einem erschwerten Zugang zu einer adäquaten Versorgung, u.a. Schwierigkeiten beim Hinzuziehen palliativer und hospizlicher Versorgungsangebote zu haben, weil diese als nicht zutreffend bei MS angesehen werden. In 30% der Anrufe wurde das Hinzuziehen von Strukturen der PHV als angemessene Maßnahme eingeschätzt und die Betroffenen an entsprechende allgemeine und spezialisierte palliativmedizinische und hospizliche Organisationen (u.a. SAPV, Hospizdienste) verwiesen. 8% der Anrufer wurden lediglich darüber informiert, was Palliativ und Hospizversorgung ist und wie diese bei MS unterstützend hinzugezogen werden kann (ohne konkreten Verweis). Die Hälfte der Anrufer wurde in ihren Anliegen an lokale und regionale Strukturen der DMSG weitergeleitet.

Diskussion: Die Beschreibungen der Lebenssituation von MS-Erkrankten und Angehörigen bestätigen die hohe komplexe Symptomlast schwer betroffener MS-Patienten, so dass bei einem Drittel der Anrufer eine Integration von PHV indiziert ist. Die Zahl der eingegangenen Anrufe verdeutlicht auch das rege Interesse dieser Personen an palliativmedizinischen Themen und zeigt den Bedarf an Aufklärung über den Einbezug von PHV bei MS. Mit der vermittelnden Beratungstätigkeit zwischen MS-Betroffenen und PHV deckt die Hotline diese Bedarfslücke in der Versorgung dieser Patientengruppe.

Praktische Implikationen: Trotz erkennbarem Bedarf konnten entsprechende Strukturen der PHV nicht immer vermittelt werden, was den Entwicklungsbedarf dieser Strukturen für MS-Erkrankte verdeutlicht. Die komplexen Bedürfnisse dieser Patienten lassen ferner darauf schließen, dass diese Zielgruppe von einem vermittelnden Koordinationsdienst im Sinne eines Case Managers profitieren könnte. Zudem zeigt die Belastung, die schwer betroffene MS-Patienten durch eine inadäquate Wohnsituation erleben, dass es der Entwicklung von Wohneinrichtungen bedarf, die auf die Bedürfnisse – teils noch junger – schwer betroffener MS-Patienten spezialisiert sind.