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16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

4. - 6. Oktober 2017, Berlin

Einflussfaktoren auf die Adhärenz von Patienten mit Schizophrenie, schizoaffektiven und bipolaren Störungen

Meeting Abstract

  • Ulrike Stentzel - Universitätsmedizin Greifswald, Greifswald, Germany
  • Lara Schulze - Universitätsmedizin Greifswald, Greifswald, Germany
  • Thea Schwaneberg - Institut für Community Medicine, Universität Greifswald, Universitätsmedizin Greifswald, Körperschaft des öffentlichen Rechts, Greifswald, Germany
  • Harald J. Freyberger - Universitätsmedizin Greifswald, Greifswald, Germany
  • Wolfgang Hoffmann - Universitätsmedizin Greifswald, Greifswald, Germany
  • Hans J. Grabe - Universitätsmedizin Greifswald, Greifswald, Germany
  • Neeltje van den Berg - Universitätsmedizin Greifswald, Greifswald, Germany

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocP029

doi: 10.3205/17dkvf291, urn:nbn:de:0183-17dkvf2913

Published: September 26, 2017

© 2017 Stentzel et al.
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Text

Hintergrund: In Deutschland beträgt die 12-Monats-Prävalenz für die psychiatrischen Erkrankungen Schizophrenie und schizoaffektiven Störungen 2,6 % und 1,5 % für bipolare Störungen. Die medikamentöse Behandlung ist ein zentraler Baustein in der Behandlung dieser Krankheiten sowohl in akuten Stadien als auch häufig ein Leben lang. Aber nur 35 – 50 % der Patienten mit Schizophrenie und bipolaren Störungen verhalten sich adhärent. Häufig sinkt die Adhärenz über die Zeit betrachtet weiter ab.

Fragestellung: Das Ziel dieser Analyse war es, Determinanten für die Medikamentenadhärenz von Patienten mit Schizophrenie und bipolaren Störungen zu identifizieren.

Methode: Die verwendeten Daten wurden der Baseline Erhebung einer prospektiven, randomisiert-kontrollierten Studie entnommen (Tecla-Studie), in der untersucht wird, ob telemedizinische Interventionen (Telefon- und SMS-Kontakte) die Medikamentenadhärenz von schizophrenen und bipolaren Patienten verbessern können. Die Patienten wurden im Anschluss an eine stationäre Behandlung in die Studie eingeschlossen. Die Adhärenz wurde mit der deutschen Version des Medication Adherence Report Scale (MARS-D, Score: 5-25) gemessen. Als weitere Faktoren flossen Alter, Geschlecht, Bildung, Erwerbstätigkeit, das Funktionsniveau (Global Assessment of Functioning (GAF)), Soziale Unterstützung (F-SozU), soziale Erwünschtheit (KSE-G) und die Anzahl der schweren und sehr schweren Nebenwirkungen in eine logistische Regression ein. Der Mars-D wurde dafür dichotomisiert in adhärentes Verhalten (Score von 25) und nicht-adhärentes Verhalten (Score < 25). Zuvor wurde eine multiple Imputation für fehlende Werte durchgeführt.

Ergebnisse: 127 Patienten mit einem Durchschnittsalter von 42,4 Jahren (SD 12,9 Jahre) wurden in die Analyse eingeschlossen, davon waren 57,7 % Männer (n = 73). 106 Patienten hatten eine Diagnose aus dem Spektrum Schizophrenie und schizoaffektive Störungen und 27 hatten die Diagnose bipolare Störung; dabei gab es auch Patienten mit mehreren Diagnosen. Der MARS-D Score beträgt im Durchschnitt 23,4 (SD 2,5, Median 24). Einen Score von < 25 hatten 53,5 % der Patienten (n = 68) und sind damit als nicht adhärent einzustufen. Ein höheres Alter (OR 1,02, p<0,0001), ein höheres Level des Funktionsniveaus (OR 1,02, p<0,0001) und ein höherer Score bei der Sozialen Unterstützung (OR 1,02, p<0,0001) zeigten eine positive und signifikante Assoziation zur Medikamentenadhärenz. Das Geschlecht (weiblich versus männlich OR 0,64, p<0,0001), Erwerbstätigkeit (OR 0,63, p<0,0001) und Soziale Erwünschtheit (hier der Aspekt der Minimierung der negativen Qualitäten der eigenen Person (je höher der Score, desto stärker werden negative Qualitäten minimiert) OR 0,615, p < 0,0001) sind negative Determinanten für die Adhärenz. Ein höherer Bildungsgrad (OR 1,036, p = 0,6826) und Nebenwirkungen (OR 1,002, p = 0,9396) zeigten positive, aber nicht signifikante Einflüsse. Außerdem wurden Sensitivitätsanalysen berechnet (eine logistische Regression mit einem Cut off von 24 und eine lineare Regression in einem Generalisiertem Linearen Modell (GLM) mit einer Poisson-Verteilung), die zeigten, dass die Ergebnisse für GAF, Soziale Erwünschtheit und Soziale Unterstützung belastbar sind.

Diskussion: Es ist bekannt, dass Messungen der Adhärenz mit self-reporting-Instrumenten dazu neigen, dass adhärentes Verhalten überschätzt wird. Die Originalversion des MARS-D, der MARS-5, ist jedoch mit Fokus darauf entwickelt worden, nicht-adhärentes Verhalten zu entdecken. Die Art der Befragung soll die Patienten dazu ermutigen, wahrheitsgemäß auf die Fragen zu antworten, die in einer nicht bedrohlichen und nicht-beurteilenden Weise gestellt werden. Der Bias aufgrund von sozialer Erwünschtheit soll so minimiert werden. Die Zweifel an der Richtigkeit zu den Aussagen non-adhärenten Verhaltens können als geringer angesehen werden, wenn der Patient sagt, sich nicht adhärent zu verhalten. Die negative Assoziation der Minimierung der negativen Qualitäten als Faktor der sozialen Erwünschtheit auf die Adhärenz bestätigt, dass Patienten, die eine Non-Adhärenz zugeben, ihre negativen Qualitäten weniger minimieren.

Praktische Implikationen: Patienten dieses Krankheitsspektrums haben eine hohe Krankheitslast und bedürfen einer kontinuierlichen Behandlung und Nachbetreuung. Insbesondere eine auch dauerhafte Adhärenz zur medikamentösen Behandlung ist wichtig, um diese Erkrankungen unter Kontrolle zu halten. Daher ist es wichtig, Faktoren, die die Medikamentenadhärenz negativ beeinflussen, zu minimieren und Faktoren, die sie positiv beeinflussen zu stärken. Die Ergebnisse dieser Analyse haben gezeigt, dass die soziale Unterstützung einen positiven Einfluss hat. Daher sollte in der Behandlung schizophrener, schizoaffektiver und bipolarer Patienten auch das soziale Umfeld, Angehörige und Betreuer, in die Behandlung einbezogen werden und ihre Kenntnis, ihr Verständnis und ihre Unterstützung für die medikamentöse Behandlung gestärkt werden.