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16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

4. - 6. Oktober 2017, Berlin

Medizinische Fachangestellte mit Migrationshintergrund – Analyse einer Auszubildendenstichprobe

Meeting Abstract

  • Karola Mergenthal - Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Frankfurt a. Main, Germany
  • Ferdinand M. Gerlach - Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Frankfurt am Main, Germany
  • Corina Güthlin - Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Frankfurt am Main, Germany

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocP104

doi: 10.3205/17dkvf263, urn:nbn:de:0183-17dkvf2636

Published: September 26, 2017

© 2017 Mergenthal et al.
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Text

Hintergrund: 2015 wurden in Deutschland 17,1 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund (MH) gezählt. Zusätzlich suchten in den letzten beiden Jahren mehr als eine Million Menschen Zuflucht in Deutschland. Neben der Akutversorgung stellt auch die Zunahme der chronischen Erkrankungen in der Gesamtbevölkerung und entsprechend auch in der Gruppe der Migranten eine Herausforderung für das deutsche Gesundheitssystem dar. Es ist absehbar, dass der Bedarf an kulturübergreifenden Kompetenzen bei der medizinischen Versorgung wächst.

In der ambulanten Versorgung sind Medizinische Fachangestellte (MFA) eine wichtige Berufsgruppe. Ob und wie Fachkräfte mit MH spezifische Potentiale in den Berufsalltag einbringen, wurde in Deutschland bislang kaum untersucht. Die wenigen Studienergebnisse zeigten, dass MFA mit MH Sprachbarrieren und kulturellen Hindernissen ausländischer Patienten unter anderem durch muttersprachliche Kompetenz kulturintegrierend begegnen können. Dies ist nicht auf Patienten aus dem gleichen Kulturkreis der MFA begrenzt, sondern bezieht sich auf ausländische Patienten im Allgemeinen. Bevor über eine spezifische Stärkung dieser Potentiale nachgedacht werden kann, muss zunächst identifiziert werden, wie hoch der Anteil an MFA mit MH ist und aus welchen Kulturkreisen diese kommen.

Fragestellung: Wie hoch ist der Anteil an Auszubildenden zur Medizinischen Fachangestellten mit Migrationshintergrund in den Ausbildungskohorten an 20 Berufsschulen in Hessen und aus welchen Kulturkreisen kommen diese Auszubildenden?

Methode: In einer quantitativen Querschnittstudie wurden 2011 an 20 (83%) der 24 Berufsschulen in Hessen alle Auszubildenden zum Beruf der Medizinischen Fachangestellten mit einem Fragebogen befragt. Die Befragung fand in den Berufsschulen statt, den Auszubildenden wurde während der Unterrichtseinheiten Zeit für das Ausfüllen der Fragebogen zur Verfügung gestellt.

Zum Einsatz kam ein selbst entwickelter Fragebogen, in dem neben der Erhebung von soziodemographischen Daten (u. a. der Migrationsstatus und Religionszugehörigkeit), die Motivation zur Ausbildung zur MFA, sowie die Zufriedenheit mit der Berufswahl im Fokus stand.

Die Auswertung der Daten erfolgte deskriptiv unter Angabe von prozentualen Anteilen, Mittelwerten und Standardabweichungen.

Ergebnisse: Von 931 MFA lagen Datensätze vor; der Rücklauf betrug je nach Klasse 81% bis 92%. 89 % (n=826) der MFA hatten die deutsche Staatsangehörigkeit, in Deutschland geboren waren 84 % (n=781). Insgesamt hatten 38 % (n=350) einen Migrationshintergrund. Am häufigsten bestand ein türkischer MH bei 21 % (n=74). Es folgte die Herkunft aus Kasachstan mit 18 % (n=62) und Russland (11 %; n=37) vor Polen mit 7 % (n=23), Italien mit 5 % (n=18) und Marokko mit 3 % (n=11).

Von den 350 MFA mit Migrationshintergrund gehörten 34 % (n=116) der muslimischen Glaubensgemeinschaft an, je ca. ein Viertel waren evangelisch oder katholisch. Einer orthodoxen Religionsgemeinschaft gehörten 8 % (n=26) der MFA an.

30 % (n=282) der MFA gaben an, dass Deutsch nicht ihre Muttersprache sei. Davon schätzten 80% (n=213) ihre muttersprachlichen Kenntnisse und 88 % (n=239) ihre deutschsprachlichen Kenntnisse als sehr gut bis gut ein.

In städtischen Praxen war der Anteil der MFA mit Migrationshintergrund mit 61 % (n=210) besonders hoch.

Diskussion: In den drei Ausbildungsjahrgängen der 20 hessischen Berufsschulen zeigte sich, dass vier von zehn Auszubildende einen Migrationshintergrund hatten, d. h. in einem Praxisteam mit fünf MFA hatten statistisch gesehen zwei MFA einen MH. Man kann also davon ausgehen, dass es in vielen Praxen eine MFA mit MH gibt. Etwa ein Drittel der MFA mit MH kam aus einer muslimischen Glaubensgemeinschaft. Geht man davon aus, dass diesen MFA die kulturellen Gepflogenheiten aus beiden Kulturkreisen bekannt sind und sie sich sowohl in ihrer Muttersprache als auch der deutschen Sprache sehr gut zurechtfinden, können sie einen wichtigen Beitrag bei der Vermittlung von kulturspezifischen Werten und Herausforderungen leisten.

Mit einem hohen Anteil an MFA in städtischen Praxen liegt das Ergebnis noch über der Verteilung von Personen mit MH in der städtischen Gesamtbevölkerung in Frankfurt am Main (Anteil an Personen mit MH bei 43%).

Praktische Implikation: Angesichts eines absehbaren Versorgungsbedarfes erscheint es empfehlenswert, die kulturintegrierenden Kompetenzen der MFA mit MH als mögliche Ressource zu fördern. Kulturvermittelnde Tätigkeiten werden bisher im Alltag genützt, ohne dass diese Potentiale Beachtung finden und ohne dass die MFA, die sich für kulturvermittelnde Tätigkeiten interessieren, (etwa in der Berufsschule) entsprechend qualifiziert werden. Bisher kann man davon ausgehen, dass ein MH vermutlich ad hoc in der Praxis adressiert wird, ohne dass die MFA entsprechende Unterstützung und Beachtung erfährt.