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16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

4. - 6. Oktober 2017, Berlin

Kultursensibel arbeiten – Zur psychiatrischen Versorgung von Asylsuchenden unter Zuhilfenahme von Dolmetscherdiensten

Meeting Abstract

  • Marlene Haupt - Hochschule Ravensburg-Weingarten, Weingarten, Germany
  • Margitta Borrmann-Hassenbach - kbo-Kliniken des Bezirks Oberbayern, München, Germany
  • Peter Zwanzger - kbo-Inn-Salzach-Klinikum gGmbH, Wasserburg am Inn, Germany

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocP103

doi: 10.3205/17dkvf262, urn:nbn:de:0183-17dkvf2624

Published: September 26, 2017

© 2017 Haupt et al.
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Text

Im Zeitraum von 2014 bis 2016 wurden in Deutschland 1.337.341 Asyl-Erstanträge gestellt. Seit 2017 sind diese Zahlen stark rückläufig. Das zugangsstärkste Herkunftsland war im betrachteten Zeitraum mit Abstand Syrien (464.239 Erstanträge), gefolgt von Afghanistan (167.509), Irak (131.245) und Albanien (76.523). Trotz der Relevanz für das öffentliche Gesundheitswesen gibt es bisher keine systematischen wissenschaftlichen Untersuchungen über den Gesundheitszustand und zur Gesundheitsversorgung von Asylsuchenden in Deutschland. Zur Prävalenz psychischer Störungen bei Asylsuchenden und Flüchtlingen sind selbst international nur wenige Untersuchungen durchgeführt worden und die Prävalenzraten variieren erheblich, z.B. für Depression zwischen 3% und 80% und für Posttraumatische Belastungsstörungen zwischen 4,4% und 86% (Sieberer/Machleidt 2015).

Bei der medizinischen Versorgung liegt ein strukturelles Hauptproblem in den Limitationen des Asylbewerberleistungsgesetzes. So beschränkt sich die medizinische Versorgung von Asylsuchenden ausschließlich auf akute Erkrankungen, Schmerzzustände oder lebensbedrohliche Gesundheitsstörungen. Der Erhalt einer angemessenen psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung ist damit besonders schwierig. Aufgrund mangelnder bzw. fehlender Kostenübernahmen von Dolmetschern und Kulturmittlern kommen zusätzlich erschwerend Sprach- und Verständigungsprobleme hinzu.

Da Deutschland eines der bevorzugten Zielländer von Asylsuchenden und Flüchtlingen ist, sind sowohl Länder, Städte und Kommunen als auch das gesamte Gesundheitssystem mit dem Thema einer angemessenen Gesundheitsversorgung konfrontiert, selbst dann, wenn der Zustrom wie aktuell gegeben eher rückläufig ist. Eine besondere Herausforderung im Bereich der psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgung liegt in der kultursensiblen Arbeit und dem Einsatz von Dolmetschern sowie Sprach- bzw. Kulturmittlern. Hierbei leisten verschiedene Maßnahmen und Angebote von kultursensibler Arbeit und der Einsatz von Dolmetscherdiensten per Telefon wichtige Unterstützungsleistungen für die adäquate Versorgung. Im Beitrag soll zunächst die Frage beantwortet werden, welche Patientenstruktur Asylsuchende und Flüchtlinge in einer psychiatrischen Einrichtung aufweisen. Anschließend soll die Frage beantwortet werden, wie sich die Nachfrage nach telefonischen Dolmetscherdiensten entwickelt, wenn diese in einer psychiatrischen Einrichtung mit geringem Verwaltungsaufwand zur Verfügung gestellt werden. Insbesondere die Frage nach der Anzahl der Gesprächszahlen und -einheiten, angeforderten Sprachen und Gesprächszahlen nach Sprachen soll detailliert erläutert werden.

Im ersten Teil der Untersuchung wird unter Verwendung von administrativen Daten zunächst ein Überblick über die absolute Gesamtzahl und den relativen Anteil der Gruppe an der Gesamtpatientenzahl gegeben. Weiterhin werden Informationen zur Herkunft, dem Geschlecht, Alter und der durchschnittlichen Verweildauer aufbereitet. Im nächsten Schritt werden die Hauptdiagnosen im Bereich der psychiatrischen Erkrankungen analysiert. Ein Hauptaugenmerk liegt hier auf den Posttraumatischen Belastungsstörungen. Im zweiten Teil des Beitrags steht der Einsatz eines telefonischen Dolmetscherdienstes im Mittelpunkt. Es werden Daten zur Anzahl der Gespräche und Gesprächseinheiten, angeforderten Sprachen und Gesprächszahlen nach Sprachen aufbereitet.

Im Rahmen der Analyse wird deutlich, dass die Gruppe der Asylsuchenden und Flüchtlinge überaus heterogen ist. Ähnlich der steigenden Zahl von Erstanträgen ist auch in den psychiatrischen Einrichtungen eine absolute Zunahme der Gruppe zu verzeichnen (2015: 1.178 und 2016: 1.438 Aufnahmen von Erwachsenen nach AsylbLG). Ihr Anteil an der Gesamtpatientenzahl ist ebenfalls gestiegen (2015: 1,3%, 2016: 1,6%). Die Analyse der Herkunftsländer ist nur zum Teil deckungsgleich mit den Antragszahlen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (am weitaus häufigsten werden Patienten aus Afghanistan versorgt). Der Männeranteil unter den Patienten überwiegt signifikant, das Durchschnittsalter der behandelten Männer und Frauen ist ähnlich, die Patienten sind allerdings eher jünger. Die Verweildauer ist im Vergleich zur durchschnittlichen Verweildauer in psychiatrischen Einrichtungen eher niedrig. Die Hauptdiagnosen finden sich überwiegend im Bereich der Suchterkrankungen, psychotischen und affektiven Störungen sowie im Bereich von Belastungsstörungen. Der Anteil der Posttraumatischen Belastungsstörungen ist vergleichsweise gering. Die Nachfrage nach Dolmetscherdiensten ist hoch, die mit Abstand am häufigsten nachgefragte Sprache ist Farsi/Dari (49,5% der Gesprächseinheiten).

Die Ergebnisse liefern eine fundierte Grundlage für die Debatte um eine angemessene psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgung von Asylsuchenden und Flüchtlingen in Deutschland. Zum Abbau von Sprachbarrieren sind Dolmetscherdienste ein wichtiges Instrument.