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16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

4. - 6. Oktober 2017, Berlin

Inanspruchnahme von Rehabilitation bei chronischen Rückenschmerzen

Meeting Abstract

  • Julia Dannenmaier - IFR Ulm, Bad Buchau, Germany
  • Rainer Kaluscha - Institut für Rehabilitationsmedizinische Forschung an der Universität Ulm, Bad Buchau, Germany
  • Gert Krischak - IFR Ulm, Bad Buchau, Germany

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocP097

doi: 10.3205/17dkvf257, urn:nbn:de:0183-17dkvf2578

Published: September 26, 2017

© 2017 Dannenmaier et al.
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Hintergrund: Chronische Rückenschmerzen stellen aufgrund ihrer hohen Prävalenz und der damit verbundenen Krankheitskosten ein großes Problem für das Gesundheitssystem dar. Aufgrund des demografischen Wandels werden die Ausgaben im Gesundheitssystem in Zukunft weiter steigen. Rehabilitation kann dazu beitragen, diese Kosten zu senken und die Betroffenen länger im Erwerbsleben zu integrieren.

Fragestellung: Die vorliegende Arbeit ging der Frage nach, inwiefern Kriterien aus Routinedaten einen möglichen Rehabilitationsbedarf abbilden können und welche Versichertengruppen eine Rehabilitation in Anspruch nehmen.

Methodik: Grundlage für die Sekundärdatenanalyse waren Routinedaten der Deutschen Rentenversicherungen Bund und Baden-Württemberg sowie der AOK Baden-Württemberg.

Für die Auswertungen wurden 18- bis 63-jährige AOK-Versicherte ausgewählt, die zwischen 2005 und 2010 über mindestens drei Quartale aufgrund von Rückenschmerz behandelt wurden.

Die Behandlungsverläufe von Rehabilitanden und Versicherten mit abgelehnten Rehabilitationsanträgen (Grund für die Ablehnung: Rehabilitation nicht notwendig) wurden mit einem Hidden Markov Modell (HMM) untersucht. Das HMM teilte die Verläufe anhand Arbeitsunfähigkeitsdauer (AU-Dauer), der Anzahl Behandlungen sowie der Anzahl Verordnungen von Heil- und Hilfsmitteln und Medikamenten in zwei Gruppen ein. Daraus wurden anschließend Kriterien für einen potentiellen Rehabilitationsbedarf abgeleitet. Versicherte, die diese Kriterien erfüllten und keinen Rehabilitationsantrag stellten, werden als Unterinanspruchnehmer definiert. Zur Validierung der Kriterien, wurde überprüft, wie häufig Rehabilitanden und Versicherte mit abgelehnten Rehabilitationsanträgen die Kriterien für Rehabilitationsbedarf erfüllten.

Mit einer logistischen Regression (Backward-Selection) wurden Merkmale identifiziert, die die Inanspruchnahme von Rehabilitationen (Rehabilitanden vs. Unterinanspruchnehmer) beeinflussten.

Ergebnisse: Insgesamt erfüllten 30.553 Versicherte die Ein- und Ausschlusskriterien. Davon stellten 13,6% einen Rehabilitationsantrag, der zu 95,8% bewilligt wurde.

Das HMM nahm eine Einteilung in eine hohe und niedrige Behandlungsintensität vor. Rehabilitanden hatten vom Quartal vor der Rehabilitation bis zum Quartal nach der Rehabilitation sehr häufig eine hohe Behandlungsintensität, während Versicherte mit abgelehnten Rehabilitationsanträgen überwiegend eine niedrige Behandlungsintensität aufwiesen. Anhand dieser Einteilung wurde ein möglicher Rehabilitationsbedarf bei einem Versicherten definiert, falls dieser in jeweils zwei aufeinanderfolgende Quartale mindestens 20 Tage arbeitsunfähig war, 8 mal behandelt wurde und 1 Medikament verordnet bekam. Diese Kriterien wurden von 769 Versicherten, die keinen Rehabilitationsantrag stellten, erfüllt. Die Validierung der Kriterien ergab eine Sensitivität von 0,91 und eine Spezifizität von 0,65.

Mit steigendem Alter oder einer ausländischen Staatangehörigkeit nahmen die Versicherten seltener Rehabilitationsmaßnahmen in Anspruch. Degenerative Gelenkerkrankungen, eine längere Erkrankungsdauer, eine längere AU-Dauer sowie mehr Behandlungen bei chronischen Schmerzen und höhere Kosten für Heil- und Hilfsmittel im Quartal vor der Rehabilitation führten zu einer vermehrten Inanspruchnahme. Dagegen wirkten sich die Komorbiditäten Diabetes mellitus, somatoforme Störungen, höhere Kosten für schwache Opioide, mehr Behandlungen beim Hausarzt und eine höhere Anzahl psychotherapeutischer/psychosomatischer Behandlungen im Quartal vor der Rehabilitation hemmend auf die Inanspruchnahme aus.

Diskussion und praktische Implikationen: Versicherten mit abgelehnten und bewilligten Rehabilitationsanträgen unterscheiden sich in ihrer Behandlungsintensität deutlich voneinander. Dadurch lassen sich Kriterien für einen möglichen Rehabilitationsbedarf ableiten. Die Inanspruchnahme einer Anschlussrehabilitation wird sowohl von soziodemografischen Merkmalen (Alter, Geschlecht, Staatsangehörigkeit) als auch von Komorbiditäten, Behandlungen sowie Medikamentenverordnungen beeinflusst. Mögliche Gründe für die geringere Rehabilitationsinanspruchnahme durch ausländische Patienten könnten u.a. Informationsdefizite oder Sprachbarrieren sein. Die höhere Anzahl psychosomatischer Behandlungen könnte einer Chronifizierung der Rückenschmerzen entgegen wirken oder den Umgang mit der Erkrankung verbessern, dadurch würde sich die geringere Inanspruchnahme erklären. Auf der anderen Seite könnte sich die psychische Komorbidität negativ auf die Antragsstellung auswirken.

Die Ergebnisse von Rehabilitanden und Unterinanspruchnehmern sollten verglichen werden, um die Auswirkungen der Nicht-Inanspruchnahme zu erörtern.

Einschränkend ist zu beachten, dass subjektive Angaben z.B. Motivation nicht in den Routinedaten enthalten sind.

Die sektorenübergreifende Analyse liefert wertvolle Hinweise, welche Patientengruppen den Weg in die Rehabilitation finden.