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16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

4. - 6. Oktober 2017, Berlin

Merkmale von Patienten, die in mehreren Disease-Management-Programmen gleichzeitig betreut werden. Befunde aus den DMP in der Region Nordrhein

Meeting Abstract

  • Bernd Hagen - Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland, Köln, Germany
  • Sabine Groos - Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland, Köln, Germany
  • Christine Macare - Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland, Köln, Germany
  • Jens Kretschmann - Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland, Köln, Germany
  • Arne Weber - Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland, Köln, Germany

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocP093

doi: 10.3205/17dkvf253, urn:nbn:de:0183-17dkvf2536

Published: September 26, 2017

© 2017 Hagen et al.
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Text

Hintergrund: Die Bedeutung des Themas Multimorbidität nimmt sowohl in der Versorgungsforschung wie auch in der Diskussion um die Weiterentwicklung klinischer Behandlungsleitlinien in jüngerer Zeit einen zunehmend breiteren Raum ein. Studien haben gezeigt, dass ein großer Teil der älteren, hausärztlich betreuten Patienten multimorbid ist. Hierbei bestehen auch Zusammenhänge mit der sozialen Deprivation der Patienten und es ließ sich feststellen, dass sich eine Kombination mehrerer Erkrankungen, vor allem wenn hierbei neben körperlichen auch psychische Erkrankungen eine Rolle spielen, negativ auf Outcome-Indikatoren ebenso wie auf das Selbstmanagement der Patienten auswirkt. Daneben ist das unmittelbar mit der Multimorbidität verbundene Problem der Polypharmazie in den Fokus gerückt, was sich auch bereits in einer entsprechenden hausärztlichen Behandlungsleitlinie zur Multimedikation erwachsener bzw. geriatrischer Patienten niedergeschlagen hat. In diesem Zusammenhang ist auch innerhalb der implementierten DMP für chronische Erkrankungen festzustellen, dass der Anteil mehrfach betreuter Patienten bereits jetzt hoch ist. Vor dem Hintergrund der zukünftigen Weiterentwicklung der DMP und der Einführung neuer indikationsspezifischer Programme ist von einem weiteren Wachstum dieser Patientengruppe auszugehen.

Fragestellung: Untersucht wurde, wie groß die Patientengruppe ist, die gleichzeitig in den DMP Diabetes mellitus Typ 2, Koronare Herzkrankheit und COPD betreut werden. Abhängig von der Mehrfachbetreuung sollten außerdem die beiden Fragen beantwortet werden, welche besonderen Erkrankungsmerkmale solche Patienten aufweisen und in welchem Ausmaß sich eine Mehrfachbetreuung als ein unabhängiger Risikofaktor für das Auftreten kardiovaskulärer erweist.

Methode: Alle, im Jahr 2015 in der Region Nordrhein parallel in den DMP Diabetes mellitus Typ 2 (D2), Koronare Herzkrankheit (KH) und COPD (CO) betreuten Patienten wurden hinsichtlich ihrer soziodemografischen Merkmale, ihrer Befundindikatoren, der Prävalenz von Begleiterkrankungen sowie der dokumentierten Verordnungsraten der jeweiligen indikationsspezifischen Medikationen querschnittlich deskriptiv-statistisch untersucht. Für das Auftreten eines nicht tödlichen Herzinfarkts oder Schlaganfalls in dem Zeitraum seit 2011 wurde innerhalb separater, multivariater logistischer Regressionsmodelle die Bedeutung der genannten Indikatoren als Risikofaktoren geschätzt.

Ergebnisse: Fast ein Fünftel (19,5 %) der 528.064, im DMP D2 betreuten Patienten wurden zeitgleich auch im DMP KH betreut und 7 % parallel in den DMP D2 und CO. Eine Teilgruppe von insgesamt 13.313 (2,5 %) Patienten wurde in allen drei DMP betreut. Gegenüber ausschließlich im DMP D2 betreuten Patienten wiesen die mehrfach betreuten Patienten ein deutlich höheres Durchschnittsalter auf (D2: 67,4; D2+KH: 73,2; D2+KH+CO: 72,5 Jahre), wurden deutlich seltener in einer diabetologischen Schwerpunktpraxis betreut (D2: 8 %; D2+KH: 5,9 %; D2+KH+CO: 4,6 %) und häufiger stationär eingewiesen (D2: 1,6 %; D2+KH: 2,2 %; D2+KH+CO: 2,4 %). Mehrfachbetreute Patienten litten zudem wesentlich häufiger unter diabetischen Folgekomplikationen wie einer Neuro-, Nephro- oder Retinopathie (D2: 30,7 %; D2+KH: 40,7 %; D2+KH+CO: 39,7 %), einer arteriellen Hypertonie (D2: 80,9 %; D2+KH: 93,4 %; D2+KH+CO: 92,9 %) bzw. weiteren kardiovaskulären Begleiterkrankungen, z. B. einer chronischen Herzinsuffizienz (D2: 5,3 %; D2+KH: 19,3 %; D2+KH+CO: 26,7 %) oder einer arteriellen Verschlusskrankheit (D2: 6,8 %; D2+KH: 17,1 %; D2+KH+CO: 20,5 %). Während hinsichtlich der Verordnung von Antidiabetika bzw. Insulin nur vergleichsweise geringe Unterschiede zwischen diesen Patientengruppen bestanden, waren die Raten der verordneten Thrombozyten-Aggregationshemmer / oralen Antikoagulanzien, Beta-Blocker, ACE-Hemmer / Sartane, Diuretika und Statine teilweise bei den mehrfach betreuten Patienten mehr als doppelt so hoch wie bei den Patienten, die nur im DMP D2 betreut wurden. Das Risikoverhältnis für einen neuen Herzinfarkt (D2+KH: OR 7,9 (7,4–8,4); D2+KH+CO: OR 6,7 (6,0–7,6) oder Schlaganfall (D2+KH: OR 1,4 (1,3–1,5); D2+KH+CO: OR 1,5 (1,4–1,7) seit 2011 war gegenüber D2-Patienten stark erhöht.

Diskussion: In mehreren DMP betreute Patienten sind im Vergleich mit den nur im DMP D2 betreuten Patienten älter und leiden in beträchtlich höherem Ausmaß an diabetischen Folgekomplikationen, gleichzeitig werden sie häufiger hausärztlich betreut. Infolge des nachweisbaren hohen Grades an Multimorbidität zeigen sich auch im Hinblick auf die Begleitmedikation sehr hohe Verordnungsraten, was in vielen dieser Fälle zu Polypharmazie führt. Mehrfach betreute Patienten weisen zudem ein erhöhtes Risiko für einen neu auftretenden Herzinfarkt oder Schlaganfall auf.

Praktische Implikationen: Sowohl auf Ebene der zukünftigen DMP-Ausgestaltung als auch hinsichtlich der Weiterentwicklung nationaler Versorgungsleitlinien ist diese wachsende Patientengruppe stärker zu berücksichtigen.