gms | German Medical Science

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

4. - 6. Oktober 2017, Berlin

Progression von leichter kognitiver Störung zur Demenz – eine Längsschnittanalyse bundesweiter Abrechnungsdaten

Meeting Abstract

  • Mandy Schulz - Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin, Germany
  • Maike Schulz - Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin, Germany
  • Michael Erhart - Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin, Germany
  • Jens Bohlken - Neuro-psychiatrische Praxis, Berlin, Berufsverband Deutscher Nervenärzte (BVDN), Berlin, Germany
  • Dominik von Stillfried - Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin, Germany

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocV093

doi: 10.3205/17dkvf161, urn:nbn:de:0183-17dkvf1612

Published: September 26, 2017

© 2017 Schulz et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Outline

Text

Hintergrund: Aus heutiger Sicht wird die leichte kognitive Störung (mild cognitive impairment, MCI) häufig als Prädemenz-Stadium angesehen. Jüngste Studien deuten auf eine hohe Demenz-Progressionsrate von MCI-Patienten in einer Versichertenstichprobe hin. Einer möglichst frühen Identifikation und Behandlung von Patienten mit MCI kommt eine hohe Bedeutung bei, sofern die Diagnose als Ansatzpunkt für eine präventive Therapie, mit der die Demenzentwicklung zumindest verzögert werden kann, geeignet scheint.

Fragestellung: In der vorliegenden Studie wird der Frage nachgegangen, wie hoch das Risiko einer Demenzerkrankung bei vorangegangener MCI ist und welche weiteren Einflussfaktoren auf diese Risikobeziehung wirken.

Methode: Datengrundlage bildeten die bundesweiten, kassenübergreifenden vertragsärztlichen Abrechnungsdaten gemäß § 295 SGB V sowie die Arzneiverordnungsdaten der 17 Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) gemäß § 300 Abs. 2 SGB V der Jahre 2009 bis 2014. In die Studie eingeschlossen wurden alle GKV-Patienten über 39 Jahre, die im Jahr 2010 eine vertragsärztliche Leistung in Anspruch nahmen (Baseline). Ausgeschlossen wurden Patienten mit einer MCI-Diagnose in 2009 bzw. einer Demenzdiagnose in 2009 oder 2010. Die Studienpopulation (N=37.378.957) wurde bis zum Ende des Jahres 2014 nachverfolgt. Endpunkt bildete die gesicherte Demenzdiagnose. Eine Deskription der Studienpopulation hinsichtlich verfügbarer potenzieller Einflussfaktoren sowie die Bestimmung des relativen Risikos zwischen der Exposition MCI zur Baseline und einer späteren Demenzdiagnose bilden den derzeitigen Rahmen der statistischen Analyse. Die Berücksichtigung von Arzneimittelverordnungen und die Anwendung multivariater statistischer Verfahren stehen noch an und sollen zusätzlich auf der Tagung präsentiert werden.

Ergebnisse: In der Studienpopulation wurde bei 18.184 Personen (8.337 Männer und 9.847 Frauen) im Jahr 2010 erstmalig eine MCI (ohne Demenzdiagnose im gleichen Jahr) diagnostiziert. Mehr als die Hälfte (57,2%) der Patienten mit MCI ist älter als 70 Jahre. Im Nachbeobachtungszeitraum von 2011 bis 2014 entwickelten 4.221 der MCI-Patienten eine demenzielle Erkrankung. Die Gesamtzahl der im Beobachtungszeitraum neu diagnostizierten Demenzpatienten belief sich auf rd. 1,03 Millionen (382.264 Männer und 646.377 Frauen). Fast 80% der Demenzerkrankungen insgesamt traten zwischen 70 und 89 Jahren auf. Die 4-Jahres kumulative Inzidenz betrug 27,5 je 1.000 (23,6 je 1.000 Männer und 30,5 je 1.000 Frauen). Das Vorliegen einer MCI erhöhte das Risiko einer Demenz um mehr als das 8-fache gegenüber der Kontrollgruppe (RR=8,5). In Abhängigkeit von Alter und Geschlecht zeigten sich zum Teil erhebliche Unterschiede der schichtspezifischen Risikoschätzer. Bei Männern betrug das RR=9,1 gegenüber RR=8,1 bei Frauen. In der Altersgruppe der unter 60-Jährigen erhöhte eine MCI-Diagnose die Demenz-Wahrscheinlichkeit um das 22-Fache, bei den über 80-Jährigen noch um das 2,7-Fache.

Diskussion: Die vorliegende Studie stellt erste Ergebnisse einer längsschnittlichen Analyse von Sekundärdaten im Hinblick auf den Einfluss einer MCI auf die Entwicklung einer Demenzerkrankung dar. Auch ohne Risikoadjustierung deuten die vorläufigen Ergebnisse auf erhebliche Risikounterschiede insbesondere in den verschiedenen Altersgruppen hin. Die Ergebnisse sind jedoch bezüglich weiterer Einflussfaktoren (z.B. Komorbiditäten, Behandlungsbeteiligung) und mittels multivariater statistischer Verfahren noch zu vertiefen.

Praktische Implikationen: Da insbesondere im mittleren Lebensalter eine MCI-Erkrankung ein hohes Risiko für eine spätere Demenzerkrankung birgt, kommt der möglichst frühen Diagnostik und Behandlung der MCI eine besondere Bedeutung zu. Zusätzliche Risikofaktoren für eine Demenz, wie zum Beispiel zerebrovaskuläre Ereignisse, könnten so kontrolliert und damit die Progressionswahrscheinlichkeit einer Demenz minimiert werden.