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16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

4. - 6. Oktober 2017, Berlin

Einstellungen zum Sterbeprozess – Ein Systematic Review zu Erhebungsverfahren

Meeting Abstract

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  • Bernadette Groebe - Universität zu Köln, Köln, Germany
  • Julia Strupp - Uniklinik Köln, Köln, Germany
  • Christian Rietz - Universität zu Köln, Köln, Germany
  • Raymond Voltz - Universitätsklinikum Köln, Köln, Germany

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocV163

doi: 10.3205/17dkvf148, urn:nbn:de:0183-17dkvf1489

Published: September 26, 2017

© 2017 Groebe et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


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Text

Hintergrund: Einstellungen zum Lebensende, z.B. zu Sterben, Tod, Endlichkeit und dem Danach, werden als multidimensionales Konstrukt aufgefasst. Es zeigt sich, dass sich diese Einstellungen über den Lebenslauf einer Person verändern können. Während sich mit zunehmendem Alter tendenziell eine neutral akzeptierende Haltung gegenüber Sterben und Tod entwickelt, treten in bestimmten Versorgungskontexten, wie der Palliativmedizin oder der Altenhilfe, vermehrt Ängste vor dem Tod und stärker noch vor dem Sterbeprozess auf. Einstellungen zum Lebensende werden bereits seit einigen Jahrzehnten mittels einer breiten Vielfalt an Erhebungsverfahren erforscht. Die Literatur bietet derzeit keinen aktuellen Überblick über Instrumente, die neben weiteren Dimensionen auch die Einstellung zum Sterbeprozess erfassen.

Fragestellung: Dieses Systematic Review gibt einen Überblick über Erhebungsverfahren zur Erfassung der Einstellung zum Sterben, die Hintergründe für deren Entwicklung sowie den Fokus ihrer Anwendung. Berichtet wird über deren Design und die Facetten der Einstellungen (u.a. emotionale Evaluation, Gedanken), die in den jeweiligen Instrumenten fokussiert werden.

Methode: Die Suche wurde in den Datenbanken MEDLINE, PsycInfo, PSYNDEXplus Tests und Health and Psychosocial Instruments durchgeführt, erweitert durch die Sichtung der Referenzen identifizierter Studien. Eingeschlossen wurden Studien, die über die Entwicklung und/oder Validierung eines Erhebungsverfahrens berichteten, das eine oder mehrere Dimensionen von Einstellungen zum Sterbeprozess misst. Verfahren wurden hinsichtlich der folgenden Punkte ausgewertet: Eigenschaften des Verfahrens (u.a. Entwicklungsstichprobe, Methode der Messung, psychometrische Eigenschaften) und die bei der Operationalisierung berücksichtigten Dimensionen der Einstellungen zum Sterben.

Ergebnisse: Die Suche in den Datenbanken ergab 4586 Studien, von denen 152 Studien (veröffentlicht: 1963 - 2016) die Einschlusskriterien erfüllten. In den eingeschlossenen Studien wurden 79 Instrumente zur Erfassung der Einstellung zum Lebensende beschrieben, von denen 37 Instrumente sich insbesondere den Einstellungen zum Sterbeprozess widmeten. 30 dieser 37 Verfahren wurden als Fragebogen konzipiert und nutzten als Antwortformat meist mehrstufige Likert-Skalen. Fragebögen hatten zwischen 10 - 144 Items, die sich bei den 29 multidimensionalen Instrumenten auf 2 - 20 Subskalen verteilten. Sieben Instrumente nutzten alternative Erhebungsmethoden, z. B. projektive Verfahren und inhaltsanalytische Ansätze. Die meisten Instrumente wurden an studentischen Stichproben zum Einsatz im Forschungskontext, nur fünf Verfahren an altersrepräsentativen oder klinischen Stichproben entwickelt. In sieben Fällen basierte die Entwicklung des Verfahrens auf expliziten theoretischen Überlegungen, meist lag eine Analyse bisheriger Forschung und Erhebungsverfahren zu Grunde. Der inhaltliche Fokus der meisten Verfahren lag auf der emotionalen Evaluation (u.a. Ängste) von „Sterben im Allgemeinen“, von einzelnen Aspekten des Sterbeprozesses oder aber dem Umgang mit Sterbenden. Mit sechs dieser Instrumente wurde zusätzlich die kognitive Dimension (u.a. Grad der gedanklichen Beschäftigung mit dem Sterben), in vier Verfahren zusätzlich eine Verhaltensdimension (u.a. Vermeidung und Annäherung) erfasst. Das Concerns about dying instrument (Mazor et al 2004) und der Fragebogen zu Einstellungen zu Sterben, Tod und Danach (Klug 1996) sind Verfahren, die sich allen drei Dimensionen zugleich widmeten, wobei sich der Verhaltensaspekt jeweils auf den Umgang mit Sterbenden richtete.

Diskussion: Die Analysen zeigten, dass Einstellungen zum Sterbeprozess in gut der Hälfte aller Erhebungsverfahren zu Themen des Lebensendes enthalten waren. Die Operationalisierung erfolgte entweder als Sterben im Allgemeinen (z.B. „I am afraid to die.“) oder aber auf detaillierte Weise durch Items zu speziellen Aspekten des Sterbens (z.B. Schmerz und Leid) und zum Umgang mit Sterbenden. Im Hinblick auf die Entwicklung der Verfahren zeigte sich, dass eine theoretische Einordnung nicht konsequent vorgenommen wurde und die Überprüfung der psychometrischen Eigenschaften in altersrepräsentativen bzw. klinischen Stichproben ausbaufähig scheint.

Praktische Implikationen: Im palliativmedizinischen Kontext, in dem u.a. Ängste vor dem Sterben vermehrt auftreten, lassen sich durch den Einsatz valider Erhebungsverfahren vulnerable Personen und deren Ressourcen identifizieren. Geeignete Interventionen lassen sich entsprechend anschließen, um das Wohlbefinden der Betroffenen und die Kompetenz im Umgang mit dem Sterben zu stärken. Dieses Systematic Review zeigt, dass bisher nur wenige verfügbare Erhebungsverfahren für den Einsatz im klinischen Alltag entwickelt bzw. validiert wurden. Es bedarf der (Weiter-)entwicklung von Instrumenten hinsichtlich ihrer Validität in klinischen Stichproben, sowie ihrer Anwendbarkeit in speziellen Versorgungskontexten, z.B. Versorgung am Lebensende.