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16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

4. - 6. Oktober 2017, Berlin

Berücksichtigung vulnerabler Patientengruppen bei Qualitätsvergleichen von Krankenhäusern

Meeting Abstract

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  • Jürgen Stausberg - Essen, Germany
  • Thomas Jungen - Trier, Germany
  • Christoph Scheu - Straubing, Germany

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocV028

doi: 10.3205/17dkvf135, urn:nbn:de:0183-17dkvf1351

Published: September 26, 2017

© 2017 Stausberg et al.
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Hintergrund: Christliche Krankenhäuser fühlen sich in besonderer Weise vulnerablen Patientengruppen verpflichtet. So zählt die Qualität der Versorgung von Menschen mit Behinderung, dementiell Erkrankten und anderen vulnerablen Patientengruppe zu einem von 10 Qualitätsprüfsteinen der Initiative Christliche Krankenhäuser in Deutschland (CKiD). Auch ist die „Behandlung und Betreuung von besonderen Personengruppen“ eine spezifische Anforderung im Zertifizierungsverfahren nach proCum Cert. Hingegen nehmen sich weder die gesetzlichen Verfahren nach §§ 137 ff. SGB V noch Benchmarkinggruppen privater und öffentlicher Krankenhäuser dieser Herausforderung an.

Fragestellung: Der Verein Qualitätsindikatoren für Kirchliche Krankenhäuser – QKK unterstützt das Qualitätsmanagement seit 2006 durch ein einrichtungs- und trägerübergreifendes Benchmarking. Das aktuelle Indikatorenset berücksichtigt vulnerable Patientengruppen in mehreren Themenbereichen. U. a. werden Indikatoren für dementielle Erkrankungen sowie zur palliativmedizinischen Versorgung ausgewiesen. Anliegen des QKK e. V. ist es, diesen Ansatz weiter auszubauen. Insbesondere wurde überlegt, für Menschen mit Behinderung eine der risikoadjustierten Gesamtsterblichkeit (HSMR) vergleichbare Kennzahl zu definieren. Ziel ist dabei ein hohes Niveau von Patientensicherheit für Patienten mit und ohne Behinderung. Aufgabe war es nun, die Möglichkeit für eine entsprechende Kennzahl, die sich aus Routinedaten berechnen lässt, zu untersuchen.

Methode: Die Untersuchung wurde auf körperliche Funktionseinschränkungen begrenzt. Eine Identifikation betroffener Patienten ausgehend von der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit wurde mangels Abbildung auf die ICD-10-GM verworfen. Aus klinischer Sicht wurden daher folgende Einschränkungen berücksichtigt: Blindheit, Taubheit, Querschnittslähmung, zerebrale Lähmungen/Lähmungssyndrome. Patienten mit einem entsprechenden Kode als Nebendiagnose wurden als Betroffene, Patienten ohne entsprechenden Kode als Kontrollen eingeschlossen. Ausgeschlossen wurden Patienten mit einem entsprechenden Kode als Hauptdiagnose, mit einer Prä-MDC, MDC 21A oder „Fehler-DRG und sonstige DRG“ sowie mit palliativmedizinischer Komplexbehandlung. In einem Matched Pairs Design wurden Kontrollen den Betroffenen über die Merkmale Alter, Geschlecht, Notfall, ADRG sowie Risikowahrscheinlichkeit des Versterbens aus der HSMR zugeordnet. Die Anzahl der Kontrollen je Betroffenen war nicht beschränkt; Kontrollen konnten mehrfach zugeordnet werden. Als Kennzahl wurde das Verhältnis der Anzahl verstorbener Betroffener zur Summe der relativen Häufigkeit verstorbener Kontrollen je Betroffenem berechnet. Statistische Signifikanz wurde über das 95 %-Konfidenzintervall (KI) bestimmt. Datengrundlage waren anonymisierte Routinedaten von 1.004.296 Behandlungsfällen in 2015 aus 62 Krankenhäusern.

Ergebnisse: Es wurden 32.903 Betroffene identifiziert. Die Sterblichkeit lag bei 5,9 %. Mindestens eine Kontrolle konnte 31.989 Betroffenen zugeordnet werden; im Median waren es 199 Kontrollen. Insgesamt lag die Verhältniszahl bei 114,7 (95 %-KI 109,4-120,1), je Krankenhaus zwischen 28,4 (9,2-66,3) und 239,1 (163,5-337,6) mit einem Median von 113,8. Der Variationskoeffizient ergab mit 0,37 eine homogene Verteilung der Verhältniszahl. Acht Krankenhäuser waren mit erhöhten Werten, fünf mit erniedrigten Werten auffällig. Der Korrelationskoeffizient nach Pearson zwischen dieser Verhältniszahl und der HSMR lag bei 0,72.

Diskussion: Patienten mit körperlicher Funktionseinschränkung stellen eine besonders vulnerable Gruppe dar. Ihre Sterblichkeit lag höher als diejenige der Kontrollen. Allerdings war diese Gruppe so klein, dass statistisch signifikante Unterschiede nur eingeschränkt erwartet werden können. Methodisch fehlt den Routinedaten der Zusammenhang zwischen Funktionseinschränkung und Behandlungsanlass; insbesondere bei Hemiparese und Hemiplegie sind daher Verzerrungen in der Qualitätsbewertung möglich. Die Betrachtung einzelner Formen von Behinderung scheitert auf Ebene einzelner Krankenhäuser an kleinen Fallzahlen. Vor Aufnahme einer entsprechenden Kennzahl in das Benchmarking des QKK e. V. werden daher weitere Analysen angestrebt. Hingegen könnte ein entsprechender Indikator bei größeren Kollektiven Hinweise auf die Qualität im regionalen Vergleich oder bundesweit über die Zeit geben.

Praktische Implikationen: Vulnerable Patientengruppen werden jenseits der Initiativen christlicher Krankenhäuser bei Qualitätsvergleichen nicht betrachtet. Der Gesetzgeber setzt mit Themen wie Pay-for-Performance und einer qualitätsorientierten Krankenhausplanung andere Prioritäten. Für einen Krankenhausvergleich ergab sich hier allerdings noch kein Ansatz zur Abschätzung der Patientensicherheit bei Patienten mit körperlichen Funktionseinschränkung. Vorerst sollten daher bevorzugt Kennzahlen für einzelne Patientengruppen wie dementiell Erkrankte eingesetzt werden.