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16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

4. - 6. Oktober 2017, Berlin

Gesundheitskompetenz im Lebensverlauf und Nutzung des Gesundheitssystems

Meeting Abstract

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  • Eva-Maria Berens - Universität Bielefeld, Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Bielefeld, Germany
  • Doris Schaeffer - Universität Bielefeld, Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Bielefeld, Germany
  • Dominique Vogt - Universität Bielefeld, Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Bielefeld, Germany

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocV067

doi: 10.3205/17dkvf065, urn:nbn:de:0183-17dkvf0654

Published: September 26, 2017

© 2017 Berens et al.
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Hintergrund: Gesundheitskompetenz ist im englischsprachigen Raum ein seit vielen Jahren diskutiertes Konzept, zu dem bereits eine Reihe an empirischen Daten vorliegt. Internationale Studien deuten an, dass Menschen mit niedriger Gesundheitskompetenz häufiger Dienste der Akutversorgung in Anspruch nehmen. Bislang ist das empirische Wissen über die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland noch gering.

Fragestellung: Wie ist die Gesundheitskompetenz verschiedener Altersgruppen in Deutschland mit der Versorgungsnutzung verknüpft?

Methode: Die Ergebnisse basieren auf der repräsentativen Querschnitterhebung zur Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland (HLS-GER), bei der 2000 Personen ab 15 Jahren mit Hilfe computer-assistierter-persönlicher Interviews befragt wurden. Zur Messung der Gesundheitskompetenz wurde die Langversion des HLS-EU-Q47 eingesetzt, der die Schwierigkeit bei der Durchführung ausgewählter gesundheitsrelevanter Aufgaben oder Tätigkeiten erfragt. Der Zusammenhang zwischen Gesundheitskompetenz und Arztkontakten in den letzten 12 Monaten sowie Nutzung des ärztlichen Notfalldienstes in den letzten 2 Jahren in verschiedenen Altersgruppen wurde mittels chi-quadrat Tests und logistischen Regressionen erfasst. Die multivariaten logistischen Regressionen berücksichtigen die soziodemografischen Faktoren selbsteingeschätzter Sozialstatus, Geschlecht, Bildung, Migrationshintergrund und funktionale gesundheitliche Literalität.

Ergebnisse: 54,3 Prozent der Deutschen verfügen über eine eingeschränkte Gesundheitskompetenz. Die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung unterliegt einem deutlichen Altersgefälle. Während etwa 47 Prozent der Befragten im Alter von 15 bis 29 und 30 bis 45 Jahren eine eingeschränkte Health Literacy haben, sind es bei Personen im Alter von 46 bis 64 Jahren bereits 55,2 Prozent. Menschen ab 65 Jahren weisen zu 66,5 Prozent eine geringe Gesundheitskompetenz auf. In der jüngsten Altersgruppe weisen über 60 Prozent der Befragten mit mehr als drei Arztkontakten im Jahr eine geringe Gesundheitskompetenz auf. Befragte mit maximal zwei Arztkontakten haben zu 43 Prozent eine geringe Gesundheitskompetenz. Der ärztliche Notfalldienst wird von 72,7 Prozent der Befragten im Alter von 46 bis 64 Jahren mit limitierter Gesundheitskompetenz genutzt, dagegen nur von 52,2 Prozent der Befragten mit ausreichender Health Literacy. Diese Tendenzen ziehen sich durch alle Altersgruppen. Dabei zeigen die Ergebnisse multivariater Regressionen unter Berücksichtigung soziodemografischer Variablen, dass eine geringe Gesundheitskompetenz in allen Altersgruppen mit einer hohen Anzahl an Arztbesuchen assoziiert ist. Befragte aller Altersgruppen mit mehr als zwei Arztbesuchen haben eine mindestens 2-mal so hohe Chance für geringe Gesundheitskompetenz als Befragte mit maximal zwei Arztbesuchen im Jahr. Personen in der Altersgruppe 46 bis 64 Jahre, die in den letzten 2 Jahren den ärztlichen Notfalldienst genutzt haben, weisen – unabhängig von soziodemografischen Faktoren – eine 2-mal so Chance auf eine limitierte Gesundheitskompetenz zu haben als Personen, die keinen Notfalldienst aufsuchen.

Diskussion: Health Literacy wurde anhand der selbsteingeschätzten Schwierigkeiten im Umgang mit Gesundheitsinformationen erfragt. Ein Grund für den Zusammenhang zwischen geringer Gesundheitskompetenz und häufigerer Nutzung des Versorgungssystems könnte daher sein, dass Befragte, die mit Entscheidungen zu Gesundheit und Gesundheitsversorgung konfrontiert sind, mehr Schwierigkeiten bei der Verarbeitung von Gesundheitsinformationen empfinden als Befragte die nur hypothetisch über Anforderungen im Umgang mit Informationen nachdenken. Ein anderer Grund könnte sein, dass Befragte mit geringer Health Literacy häufiger Hilfe und Leistungen in Anspruch nehmen als Befragte mit ausreichender Gesundheitskompetenz. Die Ergebnisse könnten zudem durch den Gesundheitszustand beeinflusst sein, der nicht in die Analyse eingeschlossen werden konnte. Dass die Ergebnisse für den ärztlichen Notfalldienst keinen deutlichen Zusammenhang in der multivariaten logistischen Regression zeigen, könnte der geringen Fallzahl geschuldet sein. Jedoch könnte auch die Kontrolle für beispielsweise den Migrationshintergrund den Effekt der Gesundheitskompetenz überlagern, denn es ist bekannt, dass sie ärztliche Notfalldienste häufig nutzen und zugleich eine geringe Health Literacy aufweisen.

Praktische Implikationen: Die Ergebnisse zeigen, dass geringe Gesundheitskompetenz in allen Altersgruppen eng mit der Versorgungsnutzung verknüpft ist. Interventionen sollten daher zum einen auf der individuellen Ebene ansetzen und die persönliche Gesundheitskompetenz in allen Altersgruppen fördern. Zum anderen sind strukturelle Interventionen erforderlich, die auf die Verbesserung kommunikativer Kompetenzen der Gesundheitsprofessionen und der Nutzerfreundlichkeit des Versorgungssystems zielen.