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16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

4. - 6. Oktober 2017, Berlin

The complex phenomenon of “stability of home-based care arrangements for people living with dementia” – an innovative meta-study to synthesize qualitative and quantitative evidence

Meeting Abstract

  • Kerstin Köhler - Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE), Witten, Germany
  • Jan Dreyer - Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE), Witten, Germany
  • Milena von Kutzleben - Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE), Witten, Germany
  • Bernhard Holle - Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE), Witten, Germany

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocV128

doi: 10.3205/17dkvf013, urn:nbn:de:0183-17dkvf0136

Published: September 26, 2017

© 2017 Köhler et al.
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Text

Hintergrund: Die Analyse komplexer Versorgungssituationen mit dem Ziel, evidenzbasierte Versorgungskonzepte zu entwickeln, ist eine zentrale Aufgabe der Versorgungsforschung (Badura et al. 2004, Pfaff & Schrappe 2011). Ein komplexes Phänomen ist die „Stabilität häuslicher Versorgungsarrangements für Menschen mit Demenz“. Im Verlauf einer Demenz ist die Herstellung und Aufrechterhaltung einer stabilen Versorgungssituation sowohl ein handlungsleitendes Motiv betroffener Familien als auch ein gesundheitspolitisches Ziel. Was Stabilität konstituiert und wodurch sie im Versorgungsverlauf beeinflusst wird, ist jedoch unklar. Dieser Beitrag präsentiert eine innovative Evidenzsynthese zur Konzeptualisierung von Stabilität.

Fragestellung: Wie kann man sich dem komplexen Phänomen der Stabilität von häuslichen Versorgungsarrangements für Menschen mit Demenz im Rahmen einer Evidenzsynthese methodisch annähern?

Methode: Zunächst wurde eine Arbeitsdefinition von Stabilität konsentiert (von Kutzleben et al. 2015). Aktuell wird verfügbares Wissen zu Stabilität im Rahmen einer Meta-Study (Paterson et al. 2001) exploriert und integriert. Meta-Studies analysieren Forschungsergebnisse (Meta-Data), Theorien (Meta-Theory) und Methoden (Meta-Method) und führen diese Analysen in einer Synthese zusammen. Es wird eine flexible Suchstrategie in hermeneutischen Zirkeln entwickelt (Boell & Cecez-Kecmanovic 2010, 2014), in der Berry-Picking, systematische Datenbankrecherchen (Medline, CINAHL, PsycINFO), theoretisches Sampling und Forward-/Backward-Citation-Tracking kombiniert werden. Die Suchstrategie wird auf acht thematische Suchstränge angewendet, die sich aus zentralen Konzepten der Arbeitsdefinition ableiten. Über Paterson et al. (2001) hinausgehend werden sowohl qualitative als auch quantitative Studien eingeschlossen. Im Anschluss an eine Datenextraktion und eine inhaltsanalytische Auswertung (Schreier 2012, 2014), folgt eine vertiefende Analyse zentraler Themen nach Prinzipien der Meta-Ethnografie (Noblit & Hare 1988). Zur Methode vgl. auch PROSPERO (CRD42016041727).

Ergebnisse: In die Meta-Study sind n=142 Studien eingeschlossen. Ein Großteil der Publikationen fokussiert Prädiktoren für den Abbruch häuslicher Versorgung; nur wenige Studien beschäftigen sich explizit mit Stabilität. Dennoch konnte eine Vielzahl von Faktoren identifiziert werden, die Stabilität konstituieren und beeinflussen. Stabilität wird neben der Demenz selbst maßgeblich vom Handeln des versorgenden Umfelds, dem Gesundheitssystem sowie gesellschaftlichen und kulturellen Prozessen geprägt. Zum Verständnis des Zielphänomens tragen Studien mit heterogenen Designs bei. Quantitative Studien fokussieren meist auf Risikofaktoren für Institutionalisierung, können die dahinter liegenden dynamischen Prozesse aber nicht erklären. Qualitative Studien zielen häufig darauf ab, informelles Versorgungshandeln zu verstehen, benennen aber selten konkrete stabilisierende Einflüsse. Bei den (wenigen) Studien, die eine klare theoretische Fundierung erkennen lassen, dominieren stresstheoretische Ansätze (Pearlin 1990). Es ist jedoch der Trend zu beobachten, Ressourcen und positive Aspekte des Versorgens stärker zu beforschen.

Diskussion: Für das beschriebene Forschungsvorhaben bietet die Meta-Study einen passenden methodischen Rahmen; sie muss jedoch spezifisch weiterentwickelt werden. Eine große Herausforderung ergibt sich daraus, dass kaum Evidenz verfügbar ist, die explizit Stabilität beforscht, sondern dass zahlreiche Studien eher implizit Erkenntnisse zum Zielphänomen beitragen. Bewährt haben sich vor diesem Hintergrund die aufwändige Konsentierung einer Arbeitsdefinition und die flexible, hermeneutisch angelegte Suchstrategie. In Bezug auf die Zusammenstellung des Review-Samples orientieren wir uns an Dixon-Woods (2005), die interpretative Synthesen grundsätzlich für alle Formen der Evidenz anregt. Mit einer Öffnung unserer Meta-Study für quantitative und mixed-methods Designs konnten erfolgreich Erkenntnisse zu Stabilität generiert werden, die wir bei einer Beschränkung auf qualitative Designs per se ausgeschlossen hätten. Sinnhaft war ebenfalls das zweistufige Analyseverfahren (inhaltsanalytisch und meta-ethnografisch), um das Review forschungspraktisch handhabbar zu gestalten.

(Forschungs-)praktische Implikationen: Da sich komplexe Phänomene in der Versorgung unserer Auffassung nach nicht ausschließlich mit Hilfe klassischer Review-Techniken erschließen lassen, folgen wir dem Ruf nach einem kreativen Umgang mit Forschungsmethoden (Page 2016, Thorne 2017). Wir begrüßen einen kritischen Austausch zu innovativen Ansätzen, die Forschung zu komplexen Phänomenen erleichtern, um damit langfristig passgenauere Interventionen für Patienten und deren soziales Umfeld entwickeln zu können.