gms | German Medical Science

34. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)
Dreiländertagung D-A-CH

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Bern, 14.09. - 17.09.2017

Prävalidierung der ersten deutschen Version des Vocal Fatigue Index (VFIdt.)

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Lydia E. Stappenbeck - Abteilung Phoniatrie und Klinische Logopädie, ORL Klinik UniversitätsSpital Zürich, Zürich, Schweiz
  • Jörg E. Bohlender - Abteilung Phoniatrie und Klinische Logopädie, ORL Klinik UniversitätsSpital Zürich, Zürich, Schweiz
  • Meike Brockmann-Bauser - Abteilung Phoniatrie und Klinische Logopädie, ORL Klinik UniversitätsSpital Zürich, Zürich, Schweiz

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 34. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP), Dreiländertagung D-A-CH. Bern, Schweiz, 14.-17.09.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocV35

doi: 10.3205/17dgpp50, urn:nbn:de:0183-17dgpp501

Published: August 30, 2017

© 2017 Stappenbeck et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Patienten mit Stimmerkrankungen weisen oft eine verminderte stimmliche Belastbarkeit auf. Dieses Phänomen der vocal fatigue kann bislang nur über den patientenzentrierten englischsprachigen Fragebogen Vocal Fatigue Index (VFI) erfasst werden. Ziel dieser Arbeit ist die Übersetzung und Prävalidierung einer deutschen Version des Vocal Fatigue Index (VFIdt.).

Material und Methoden: Der Vocal Fatigue Index (VFI) wurde transkulturell ins Deutsche übersetzt und inhaltlich durch ein Expertenvoting bestätigt. Anhand kognitiver Interviews mit 7 stimmerkrankten und 8 stimmgesunden Probanden wurde die Verständlichkeit der deutschen Fassung VFIdt überprüft. Die Antworten wurden qualitativ mittels MAXQDA (Analysesoftware) von unabhängigen Analytikern ausgewertet. Im Rahmen einer Querschnittstudie wurde der VFIdt. an 20 freiwillig teilnehmenden Stimmpatienten prävalidiert. Anhand der Vergleichsbögen Voice Handicap Index (VHI9i) und Vocal Tract Dyscomfort Scale (VTD) wurde eine Rangkorrelationsanalyse sowie eine Faktorenanalyse mittels der Software SPSS durchgeführt.

Ergebnisse: Der VFIdt. wurde im Expertenvoting als verständlich beurteilt. Dies wurde in einer Prätestung (Verstehensleistung der Probanden >80%) bestätigt. Die Rangkorrelationsanalyse von VFIdt., VHI9i und VTD ergab Übereinstimmungen in Items zu emotionalen und physischen Aspekten (Konvergenzvalidität). Die Items des VFIdt. korrelierten zu 26,3% stark mit denen des VHI9i und zu 84,2% mit der VDT (Effektstärke Cohen's |d| = 2,34). Vor allem im letzten Drittel des VFIdt. finden sich Fragen, welche unabhängige Merkmale von vocal fatigue erheben (Divergenzvalidität). Die Resultate der Faktorenanalyse zeigten hohe Übereinstimmungen mit den Ergebnissen der Originalstudie.

Diskussion: Bislang sind objektive Parameter zur Messung von vocal fatigue klinisch nicht aussagekräftig belegt. Die Faktorenanalyse zeigte, dass im letzten Drittel des VFIdt. spezifische Symptome dieses Phänomens erfragt werden, welche weder direkt noch indirekt in VHI9i oder VTD enthalten sind. Der deutsche Vocal Fatigue Index (VFIdt.) ermöglicht so eine valide Erfassung subjektiver Beschwerden bei pathologischer Stimmermüdung, einen Vergleich mit objektiven Untersuchungsergebnissen sowie Rückschlüsse auf mögliche Ursachen. Besonders Patienten in stimmintensiven Berufen können davon profitieren.

Fazit: Die vorläufigen Ergebnisse deuten darauf hin, dass der deutsche Vocal Fatigue Index (VFIdt.) pathologische Stimmermüdung bei Stimmpatienten valide erkennt. Dies sollte in einer Validierungsstudie an unterschiedlichen Patientengruppen geprüft werden.


Text

Hintergrund

Pathologische Stimmermüdung (vocal fatigue) ist ein im klinischen Alltag bei Patienten mit Stimmstörungen (Dysphonien) häufig beschriebenes Phänomen. Dabei weisen die Betroffenen oft eine verminderte stimmliche Belastbarkeit auf, welche lange als bloßes Symptom einer Dysphonie angesehen wurde. Erst seit rund 20 Jahren wird die pathologische Stimmermüdung auch als möglicherweise von Stimmstörungen unabhängiges Phänomen beschrieben, so dass zum jetzigen Zeitpunkt noch keine international allgemein anerkannte Definition vorliegt [1]. Eine der bislang wenigen standardisierten Möglichkeiten das Phänomen der vocal fatigue zu erfassen, ist der patientenzentrierte englischsprachige Fragebogen „Vocal Fatigue Index (VFI)“ [1]. Ziel dieser Arbeit ist die Übersetzung und Prävalidierung einer deutschen Version des Vocal Fatigue Index (VFIdt.). Hierdurch kann a) eine Perspektive zur wissenschaftlichen Erarbeitung einer Definition von pathologischer Stimmermüdung eröffnet und b) die klinische Versorgung von Stimmpatienten mit vocal fatigue verbessert werden.

Material und Methoden

Der Vocal Fatigue Index (VFI) wurde transkulturell durch vier unabhängige Übersetzter ins Deutsche übertragen [2]. Der so generierte VFIdt. wurde inhaltlich durch ein Expertenvoting bestätigt. Anhand kognitiver Interviews mit 7 stimmerkrankten und 8 stimmgesunden Probanden wurde die Verständlichkeit der deutschen Fassung VFIdt. überprüft. Die Antworten wurden qualitativ mittels MAXQDA (Analysesoftware) von drei unabhängigen Analytikern ausgewertet.

Im Rahmen einer Querschnittstudie wurde der VFIdt. an 20 freiwillig teilnehmenden Personen von 17 Jahren bis 84 Jahren (50,2/20,37) prävalidiert. Alle Teilnehmer gaben subjektiv empfundene Stimmbeschwerden an. Die Probanden füllten im Zeitraum von Dezember 2016 bis Februar 2017 die symptombezogenen patientenzentrierten Fragebögen Vocal Fatigue Index (VFIdt.), Voice Handicap Index (VHI9i) und Vocal Tract Dyscomfort Scale (VTD) einmalig aus. Die Konstruktvalidität des VFIdt. wurde anhand der Vergleichsbögen VHI und VTD mittels Spearman Rangkorrelationskoeffizient in SPSS überprüft. Folgendes Interpretationsmaß wurde für die Koeffizienten herangezogen: starke positive Korrelation bei 1>r>0.6; schwache positive Korrelation bei 0.6>r>0.3; keine Korrelation bei 0.3>r [3]. Negative Korrelationen wurden in ähnlicher Weise interpretiert. Es wurde jeweils die Software SPSS genutzt.

Ergebnisse

Der VFIdt. wurde im Expertenvoting als verständlich beurteilt. Dieses Ergebnis wurde über die Auswertung kognitiver Interviews bestätigt. Die Verstehensleistung der Probanden lag jeweils über 80%. Die Rangkorrelationsanalyse von VFIdt., VHI9i und VTD zur Prüfung der Konvergenzvalidität ergab, dass der VHI9i in der Lage ist 26,3% der VFIdt.-Items widerzuspiegeln (Effektstärke Cohen's |d| = 0.353) und der VDT 84,2% (Effektstärke Cohen's |d| = 0.231). Rund 35% der Items können jedoch vom VHI9i nicht abgebildet werden. Bei der VDT sind es 5,26%. Dies bezieht sich vor allem auf das letzte Drittel des VFIdt.. In diesem werden demnach unabhängige Merkmale von vocal fatigue erhoben (Divergenzvalidität). Die Faktorenanalyse ergab, dass der VFIdt. zeigt sehr hohe Übereinstimmungen mit den Ergebnissen der Originalstudie [1] aufwies, z.B. stimmte Faktor 1 des VFIdt. zu 91%, Faktor 2 zu 100% und Faktor 3 zu 100% mit den Faktoren des englischsprachigen VFI überein. Dies lässt vermuten, dass die vielfältigen Symptome der pathologischen Stimmermüdung auf wenigstens drei zugrundeliegende Variablen zurückführbar sind.

Diskussion

Bislang sind objektive Parameter zur Messung und Beschreibung von vocal fatigue klinisch nicht aussagekräftig belegt. Ein valides subjektives Instrument zur Differenzierung von Personen mit/ohne pathologische Stimmermüdung bei Dysphonie ist der englischsprachige Vocal Fatigue Index (VFI). Aufgrund seiner Ausrichtung beinhaltet er Items zur Erfassung von Stimmstörungen sowie Schmerzempfindungen. Aus diesem Grund wurden in der Prävalidierungsstudie einer deutschen Version des Vocal Fatigue Index (VFIdt.) Vergleichsbögen mit selben Schwerpunkten genutzt (VHI9i, VDT). Die Rangkorrelationsanalyse zeigte, dass der VFIdt. in seinen ersten Parts deutliche Übereinstimmungen mit dem VHI9i und der VDT aufwies. Das letzte Drittel des VFIdt. zeigte wenig Korrelationen mit den Items der anderen Bögen auf. Es ist daher zu vermuten, dass im VFIdt. spezifische Symptome der vocal fatigue erfragt werden, welche weder direkt noch indirekt in den Vergleichsbögen enthalten sind. Der deutsche Vocal Fatigue Index (VFIdt.) ermöglicht so eine gezielte, valide Erfassung subjektiver Beschwerden bei pathologischer Stimmermüdung. Die ermittelten Faktoren des VFIdt. waren vergleichbar mit denen der originalen englischen Version. Es ist zu vermuten, dass hierüber Rückschlüsse auf mögliche Ursachen der pathologischen Stimmermüdung gezogen werden könnten. Besonders Patienten in stimmintensiven Berufen können davon profitieren, da mit dem VFIdt. Therapiemethoden auf ihre Effektivität evaluiert werden könnten. In einer umfassenden Studie werden die Ergebnisse der Prävalidierungsstudie derzeit geprüft.

Fazit/Schlussfolgerung

Die vorläufigen Ergebnisse deuten darauf hin, dass vor allem der dritte Teil des deutschen Vocal Fatigue Index (VFIdt.) pathologische Stimmermüdung bei Stimmpatienten valide erkennt. Dies sollte in einer klinischen Validierungsstudie an unterschiedlichen Patientengruppen überprüft werden.


Literatur

1.
Nanjundeswaran C, Jacobson BH, Gartner-Schmidt J, Verdolini Abbott K. Vocal Fatigue Index (VFI): Development and Validation. J Voice. 2015 Jul;29(4):433-40. DOI: 10.1016/j.jvoice.2014.09.012 External link
2.
Sousa VD, Rojjanasrirat W. Translation, adaptation and validation of instruments or scales for use in cross-cultural health care research: a clear and user-friendly guideline. J Eval Clin Pract. 2011 Apr;17(2):268-74. DOI: 10.1111/j.1365-2753.2010.01434.x External link
3.
Kronthaler F. Statistik angewandt. Datenanalyse ist (k)eine Kunst. Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag; 2010.
4.
Milbrath RL, Solomon NP. Do vocal warm-up exercises alleviate vocal fatigue?. J Speech Lang Hear Res. 2003 Apr;46(2):422-36. DOI: 10.1044/1092-4388(2003/035) External link
5.
Solomon NP. Vocal fatigue and its relation to vocal hyperfunction. Int J Speech Lang Pathol. 2008;10(4):254-66. DOI: 10.1080/14417040701730990 External link
6.
Titze IR. Vocal fatigue: some biomechanical considerations. In: Van Lawrence L, editor. Transcripts of the Twelfth Symposium: Care of the professional voice; Part 1: Scientific Papers. New York: The Voice Foundation; 1983. p. 97-104.
7.
Welham NV, Maclagan MA. Vocal fatigue: current knowledge and future directions. J Voice. 2003 Mar;17(1):21-30. DOI: 10.1016/S0892-1997(03)00033-X External link