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29. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

21.09. - 23.09.2012, Bonn

Indikation zur CI-Versorgung aus Sicht des Sozialgesetzbuches und der ärztlichen Berufsordnung

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Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 29. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Bonn, 21.-23.09.2012. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2012. Doc12dgppP35

doi: 10.3205/12dgpp71, urn:nbn:de:0183-12dgpp714

Published: September 6, 2012

© 2012 Jacob et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Ein Cochlea Implantat für Schwerhörige ist ein erfolgreiches, zuverlässiges Therapieverfahren. Die Indikationsstellung zur CI Versorgung wird sehr unterschiedlich gehandhabt, die Kosten sorgen für eine sehr zurückhaltende /unzureichende Versorgungslage. Es stellt sich daher die Frage, ob diese Zurückhaltung zu einem Verstoß gegen die Berufsordnung, dem Auftrag aus dem SGB V und IX und medizinethischer Betrachtungen führt.

Material und Methoden: Aus bekannten epidemiologischen Daten kann eine Fallzahlabschätzung für Deutschland durchgeführt werden. Die Bewertung der CI Versorgung wird im internationalen Vergleich (Frankreich; USA und England) dargestellt und Kosten-Nutzenüberlegungen im Vergleich zu anderen Therapieverfahren analysiert.

Ergebnisse: Aus der Fallzahlabschätzung muss von einer massiven Unterversorgung mit CIs ausgegangen werden (<10% des Bedarfs nach konservativer Abschätzung). In der Kosten-Nutzen Analyse ist die CI Versorgung erfolgreich und schneidet besser als andere, häufige Therapieverfahren ab.

Diskussion: Die Feststellung der „medizinischen Notwendigkeit“ (SGB IX), als auch der Beratungsaufgabe aus der Berufsordnung wird z.Zt. nicht im ausreichenden Maß nachgekommen. Hierbei ist der Fehler 2 Ordnung (keine Therapie, obwohl diese geholfen hätte) aus medizinethischer Betrachtung besonders kritisch.


Text

Eine verlorene Hörfunktion durch eine Cochlea Implantat (CI) Versorgung wiederherzustellen ist heute der medizinische Standard. In Deutschland gelten ca. 1,9 Mio. Personen (RKI 2009) als stark hörbehindert. Aus solchen epidemiologischen Daten lässt sich abschätzen, dass für eine gerade ausreichende Hörrehabilitation etwa 30.000 Cochlea Implantate/Jahr indiziert wären. Eine Behinderung liegt vor, wenn mehr als 6 Monate eine Abweichung von der Normalhörigkeit vorliegt (SGB I und IX). Der Arzt ist gemäß Berufsordnung verpflichtet, einem Hilfesuchenden die notwendigen Empfehlungen für sein Hörleiden auszusprechen, mitzuteilen und zu diskutieren und den Zugang zu einer Abhilfe zeitnah zu ermöglichen. Im SGB IX und V spielen die ökonomischen Aspekte keine Rolle.

Aus dem SGB V und IX ergeben sich eine Beratungspflicht zu sämtlichen Maßnahmen, die zur Normalhörigkeit (beidseits) beitragen. Dies bedeutet, dass man sich als Arzt der unterlassenen Hilfeleistung strafbar machen kann, wenn man medizinisch notwendige Maßnahmen einem Patienten vorenthält, nur weil der Mitarbeiter der Krankenkasse eine Kostenübernahme nicht genehmigt.

Wichtig ist auch die Betrachtung von Beratungsfehlern, in Abhängigkeit von der Strenge der Indikationsstellung. Zurzeit wird die CI-Versorgung sehr zurückhaltend empfohlen. Dies führt zu einem niedrigen Fehler erster Ordnung, d.h. wenig NON-USER. Die Gefahr ist dann der Fehler zweiter Ordnung: d.h. Patienten die vom CI profitiert hätten bekommen diese Möglichkeit nicht. Da vom konservativ geschätzten Bedarf (30.000 CI/a) nur ca 10% erfüllt werden (2900 CI im Jahr 2009), muss man einen nicht mehr akzeptablen Fehler zweiter Ordnung annehmen. Die derzeitige Situation einer Unterversorgung bedarf einer klärenden Abhilfe. Hierfür sind die Fachgesellschaften in die Pflicht zu nehmen.

Aus fachlicher Sicht ist von Bedeutung, dass echtes binaurales Hören nicht oder kaum objektivierbar zu messen ist. Man kann ein gewisses Richtungshören noch darstellen, die Hörerschöpfung in Gesprächen in lauter Umgebung schon nicht mehr. Sprachtests im Störlärm erfassen nur die besser hörende Seite. Bei asymmetrischer Hörleistung wird daher der Beitrag des schlechter hörenden Ohres unterschätzt.

Interessant ist auch die derzeitige Betrachtung der CI-Therapie als REHA-Maßnahme. Die Audiotherapie; Fitting und pädagogische Begleitung sind der zentrale Therapiebaustein der CI-Versorgung. Rehabilitation ist eine fakultative Maßnahme, die der Steuerung der Krankenkassen/MDK unterliegt. Vom Grunde her handelt es sich bei der „CI-REHA“ um eine Therapie einer chronischen Erkrankung (>6 Monate). Daher wäre ein „Chroniker-Programm“ ähnlich wie bei Diabetikern, die richtige Einordnung. Damit könnte die Audiotherapie; Schulung; Fitting auf Rezept verordnet werden und bedürften im Einzelfall keiner Genehmigung durch die Krankenkassen. Für Diabetiker ist eine Ernährungsberatung rezeptierbar. Die zeitliche Begrenzung der CI-Betreuung wäre dann aufgehoben und eine lebenslange Begleitung in CI-Zentren möglich.

Die CI-Versorgung in Deutschland fällt durch Besonderheiten auf, die die notwendige Versorgung kritisch gefährden. Die Ursachen liegen in einer ungünstigen Einordnung der CI-Therapie als Rehabilitation, die gefährlich zurückhaltenden CI-Indikationsrichtlinien und CI-Indikationsstellungen, die Geringschätzung des tatsächlichen Wertes der Hörleistung, die mangelnde Messbarkeit des bilateralen Hörens. Es ist erforderlich hier gegenzusteuern und den Betroffenen die adäquate Therapie in ausreichendem Umfang und zeitnah zu ermöglichen.


Literatur

1.
SGB V.
2.
SGB IX.
3.
Ärztliche Berufsordnung.
4.
Jacob R, et al. CI Versorgung in Deutschland. HNOJ-D-11-00138R1 (accepted)