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29. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

21.09. - 23.09.2012, Bonn

Stimmlippenlähmungen – Untersuchungen zur Häufigkeit, Ursache und Auswirkung auf die Stimmfunktion

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Roswitha Berger - Phoniatrie und Pädaudiologie, Marburg, Deutschland
  • Almut Goeze - Phoniatrie und Pädaudiologie, Marburg, Deutschland
  • Sabrina Doallo Kramer - Phoniatrie und Pädaudiologie, Marburg, Deutschland
  • Jan Kastell - Phoniatrie und Pädaudiologie, Marburg, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 29. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Bonn, 21.-23.09.2012. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2012. Doc12dgppV27

doi: 10.3205/12dgpp45, urn:nbn:de:0183-12dgpp452

Published: September 6, 2012

© 2012 Berger et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Zu den organisch bedingten Ursachen einer Glottisschlussinsuffizienz gehören u. a. Schleimhautveränderungen der Stimmlippen, Operationsfolgen auf glottaler Ebene und auch Schädigungen im Verlauf des Nervus Vagus. Stimmlippenlähmungen beeinträchtigen die Stimmfunktion in besonderer Weise, da sie fast immer mit einer geringen Stimmlautstärke, einer Sprechanstrengung und einer schnellen Stimmermüdung verbunden sind.

Material und Methoden: Patientendaten des Zeitraumes 01.01.2000 bis 01.01.2010 mit der Diagnose „Stimmlippenlähmung“ wurden hinsichtlich der Seite und der Position der Lähmung, der Ursache, dem Alter und Geschlecht ausgewertet. Zusätzlich erfolgte die Bewertungen der Schwingungsanalyse und der stimmlichen Parametern aus dem Göttinger Heiserkeitsdiagramm und aus dem Stimmfeld (Software Lingwaves). Auch die subjektive Beschwerdesymptomatik wurde erfasst und zusätzlich der Voice handicap index (VHI12) eingesetzt. Die statistische Berechnung erfolgte mit dem IBM SPSS Statistics 18.0.

Ergebnisse: 140 Patienten (80 Frauen, 60 Männer) einer einseitigen Stimmlippenparese und kompletten Datensätzen wurden in die Untersuchung eingeschlossen. Die Strumektomie war mit 40% die häufigste Ursache. In 64% ergab sich eine Lähmung der linken Stimmlippe und die meisten Patienten wiesen eine paramediane Stellung der gelähmten Stimmlippe auf. 70% aller Patienten hatten in der Stroboskopie keinen Stimmlippenschluss, 80% aller Lähmungen wiesen eine Phasenasymmetrie auf. Die Hälfte der Patienten schätzte mittels VI 12 die Stimme als mittelgradig gestört ein, 26% haben die Stimme als hochgradig gestört empfunden.

Diskussion: Stimmlippenlähmungen führen zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Stimmfunktion und werden als eine Leistungseinschränkung empfunden. Zur Einleitung einer adäquaten Therapie und der Erfassung der stimmlichen Leistungsparameter wird eine phoniatrische Diagnostik bei allen Stimmlippenlähmungen angeraten. Wünschenswert wäre eine regelmäßige Einbindung nach Operationen wie Strumektomien, HWS-Operationen von ventral oder Carotis Thrombendarteriektomie um den Zeitpunkt der Erstvorstellung zu verbessern.


Text

Hintergrund

Eine wichtige Voraussetzung für eine dauerhafte lautsprachliche Kommunikation ist die Fähigkeit, die Stimme mit der notwendigen Lautstärke und ohne Anstrengung einsetzen zu können. Als Hauptursache einer stimmlichen Leistungseinschränkung kann der unvollständige Glottisschluss angesehen werden. Ursachen einer Glottisschlussinsuffizienz sind vielschichtig. Sie können sowohl primär organisch, entwicklungsbedingt sein oder als Kompensationsmechanismen durch unphysiologischen Stimm-Gebrauch entstehen. Zu den organisch bedingten Ursachen gehören u. a. Schleimhautveränderungen der Stimmlippen, Operationsfolgen auf glottaler Ebene und auch Schädigungen im Verlauf des Nervus vagus. Stimmlippenlähmungen beeinträchtigen die Stimmfunktion in besonderer Weise, da sie fast immer mit einer geringen Stimmlautstärke, einer Sprechanstrengung und einer schnellen Stimmermüdung verbunden sind.

Ziel der Untersuchung war es anhand einer 10 Jahresstatistik den Anteil von Patienten mit Stimmlippenlähmungen zu ermitteln und damit eine prospektive Studie zu planen.

Methode

Patientendaten des Zeitraumes 01.01.2000 bis 01.01.2010 mit der Diagnose „Stimmlippenlähmung“ wurden hinsichtlich der Seite und der Position der Lähmung, der Ursache, dem Alter und Geschlecht ausgewertet. Bei vielschichtiger Ätiologie der Paresen wurden 5 Gruppen gebildet: 1. Strumektomie, 2. idiopathisch, 3. andere Operationen, 4. Tumoren, 5. Andere. Zusätzlich erfolgte die Bewertung der Schwingungsanalyse und der stimmlichen Parametern aus dem Göttinger Heiserkeitsdiagramm und aus dem Stimmfeld (Software Lingwaves). Auch die subjektive Beschwerdesymptomatik wurde mit dem Voice handicap index (VHI12) erfasst. Die statistische Berechnung erfolgte mit dem IBM SPSS Statistics 18.0.

Ergebnisse

Von insgesamt 212 Patienten wurden 140 Patienten (80 Frauen, 60 Männer) mit kompletten Datensätzen mit einer einseitigen Stimmlippenparese in die Untersuchung eingeschlossen. Die Strumektomie war mit 40% die häufigste Ursache einer Lähmung. 26 Patienten (19%) erlitten eine Lähmung durch „andere Operationen“, wie Spondylodese oder Bandscheiben Op der HWS von ventral, Carotis Thrombendarteriektomie, Herzklappen-, Aortenaneurysma Op, Neck dissektion, Hypopharynx Tumor, Trachealplastik, Notfall Op bei Oesophagus-Varizenblutung. Infolge eines Tumors z.B. Mediastinum kam es bei 16 Patienten (11%) zu einer Lähmung. 37 Patienten (26%) wiesen eine idiopathische Genese auf und bei 6 Patienten war eine Lähmung durch Kehlkopftrauma entstanden (Abbildung 1 [Abb. 1]). Der Anteil der Frauen mit Lähmungen überwiegt nur bei den Strumektomien, bei den anderen Ursachen sind häufiger Männer betroffen. 64% aller Lähmung bestanden auf der linken Seite. Im Vergleich zu den unterschiedlichen Ursachen ergab sich eine Seitenhäufigkeit bei der durch Strumektomie bedingten Lähmung zwischen rechts und links von 43% zu 53%, bei anderen Operationen von 64% zu 36% und nur bei den idiopathischen Ursachen beträgt das Verhältnis rechts zu links 16% zu 84%. 66 Patienten wiesen eine paramediane Stellung der gelähmten Stimmlippe auf, 50 Patienten eine intermediäre Position und bei 24 Patienten zeigte sich die gelähmte Stimmlippe in medianer Position. Die mediane Position kam häufiger bei Lähmungen nach Strumektomie als bei den idiopathischen Ursachen und nach anderen Operationen vor (Signifikanz 0.425) (Abbildung 2 [Abb. 2]). 86% aller Patienten bemerkten sofort eine Heiserkeit und 32% klagten über eine geringe Stimmlautstärke. 40% aller Patienten erreichte bei der Erstuntersuchung eine Lautstärke von 70 dB, 23% der Patienten kam auf unter 64 dB. Die 26% der Patienten schätzten mittels VI 12 die Stimme als hochgradig gestört ein, 50% empfanden ihre Stimme mittelgradig gestört.

70% aller Patienten hatten einen auffälligen Stroboskopie-Befund. 80% aller Lähmungen wiesen eine Phasenasymmetrie in der Schwingungsanalyse auf und hatten keinen Glottis-Schluss. Die stroboskopischen Befunde spiegeln sich im Stimmklang wider. Im Göttinger Heiserkeitsdiagramm zeigte sich die Rauschkomponente im Durchschnitt bei 2,75 und die Irregularität bei 5,2. Diese Parameter belegen einen Heiserkeitsgrad zwischen 2 und 3. Eine Therapie wurde bei 82% aller Patienten eingeleitet. Mit 74% stand ein konservatives Vorgehen im Vordergrund. Bei 8% der Patienten erfolgte eine phonochirurgische Behandlung. Bei 12% aller durch Strumektomie bedingten Lähmungen kam es im Verlauf nach 6 Monaten zu einer Rückbildung der Lähmung, bei den idiopathischen Ursachen bei 11% und bei „anderen Operationen“ in 21%.

Diskussion

Stimmlippenlähmungen führen zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Stimmfunktion und werden als eine deutliche stimmliche Leistungseinschränkung empfunden. Dies spiegelt sich in der Selbsteinschätzung der Patienten, unabhängig von der Ursache der Lähmung, dem Alter oder Geschlecht der Patienten wider. Die erhobenen Untersuchungsbefunde, wie Stroboskopie, Schallanalysen und Stimmfeldmessung belegen die deutlichen stimmlichen Auffälligkeiten. Demgegenüber steht die Tatsache, dass eine Zuweisung von Patienten mit Stimmlippenlähmungen im Verhältnis zu anderen Stimmerkrankungen noch immer nicht zeitnah und systematisch erfolgte. Dieser Rückschluss ergibt sich, aus der im Verhältnis zu anderen Stimmerkrankungen, eher geringen Anzahl an Stimmlippenlähmungen im Untersuchungszeitraum. Die retrospektive Analyse der Daten ermöglichte keine statistische Berechnung über Zusammenhängen zwischen Stimmverbesserung, Positionswechsel oder Rückbildung der gelähmten Stimmlippe, Zeitpunkt der Therapieeinleitung und Dauer. Die Planung einer prospektiven Studie ist deshalb vorgesehen. Dennoch war aus der Datenanalyse eine Aussage zur Stimmfunktion oder Rückbildung der Lähmung möglich. Die Rückbildungstendenz ist im Vergleich zu anderen Autoren in unserem Kollektiv mit ca. 10–21% je nach Ursache eher gering. Dies kann am kürzeren Erfassungszeitpunkt liegen, denn andere Autoren haben einen Nachbeobachtungszeitraum von 2–18 Monaten beschrieben [1], [2]. Unabhängig von der Rückbildung der Lähmung ergaben sich durch die Therapie Verbesserungen im Stimmklang und in der Stimmlautstärke. Zur Bewertung eines Therapieerfolges ist die Erfassung der stimmlichen Leistungsparameter, also eine phoniatrische Diagnostik, bei allen Stimmlippenlähmungen angeraten. Wünschenswert wäre eine regelmäßige Einbindung in die Nachkontrolle bei Operationen am Hals, wie Strumektomie, HWS-Operationen von ventral oder Carotis Thrombendarteriektomie. Damit könnte auch der Zeitpunkt der Erstvorstellung verbessert werden.


Literatur

1.
Joo D, Duarte VM, Ghadiali MT, Chhetri DK. Recovery of vocal fold paralysis after cardiovascular surgery. Laryngoscope. 2009 Jul;119(7):1435-8. DOI: 10.1002/lary.20525 External link
2.
Netterville JL, Koriwchak MJ, Winkle M, Courey MS, Ossoff RH. Vocal fold paralysis following the anterior approach to the cervical spine. Ann Otol Rhinol Laryngol. 1996 Feb;105(2):85-91.