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29. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

21.09. - 23.09.2012, Bonn

Eignet sich das Sing- und Sprechstimmprofil in der Bevölkerungsepidemiologie? Eine Machbarkeitsstudie

Vortrag

  • author presenting/speaker Thomas Langbein - Universitätsmedizin Leipzig, Sektion Phoniatrie und Audiologie, Leipzig, Deutschland
  • author Christoph Engel - Universität Leipzig, Institut für Medizinische Informatik, Statistik und Epidemiologie, Leipzig, Deutschland
  • author Sebastian Dippold - Universitätsmedizin Mainz, Hals-, Nasen- und Ohrenklinik und Poliklinik, Mainz, Deutschland
  • corresponding author Michael Fuchs - Universitätsmedizin Leipzig, Sektion Phoniatrie und Audiologie, Leipzig, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 29. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Bonn, 21.-23.09.2012. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2012. Doc12dgppV16

doi: 10.3205/12dgpp28, urn:nbn:de:0183-12dgpp286

Published: September 6, 2012

© 2012 Langbein et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Eine erste Machbarkeitsstudie im Vorfeld einer bevölkerungsbezogenen Studie des Leipziger Forschungszentrums für Zivilisationserkrankungen (LIFE) an 51 Logopädieschülerinnen zeigte, dass es nach Anleitung und unter Verwendung von Standardarbeitsanweisungen (SOP) gemäß UEP-Norm auch unerfahrenen Untersuchern gelingt, ein adäquates Sing- und Sprechstimmprofil zu erstellen. Weiterhin war die manuelle Aufzeichnungsmethode der automatischen überlegen. Um Daten für beide Geschlechter und eine größere Altersspanne zu gewinnen, wurde eine Folgestudie durchgeführt.

Material und Methoden: Es wurden 110 stimmgesunde, freiwillige Erwachsene (je 55 weiblich und männlich, medianes Alter: 58 J.) eingeschlossen und in zwei direkt aufeinander folgenden Durchgängen untersucht. In jedem Durchgang wurden das Sprech- und Singstimmprofil, die maximale Tonhaltedauer und der DSI ermittelt. Beide Durchgänge unterschieden sich hinsichtlich der Art der Messmethodik der Singstimme (manuell vs. automatisch) unter Verwendung eines Cross-over-Designs. Alle Probanden wurden vom gleichen Untersucher und entsprechend einer SOP untersucht.

Ergebnisse: Die durchschnittliche Messdauer einer Untersuchung unabhängig von der Messmethode sank vom ersten zum zweiten Durchgang von 6:35 min auf 6:05 min signifikant. Die automatisierte Messung war signifikant kürzer (5:48 min) als die manuelle (6:51 min). Insgesamt benötigten weibliche Teilnehmer signifikant länger für beide Messdurchgänge. In der manuellen Messung erreichten weibliche Probanden signifikant höhere Maximalfrequenzen und männliche Probanden signifikant niedrigere Lautstärken. Ebenso war der DSI für beide Geschlechter in der manuellen Messung signifikant höher.

Diskussion: Auch bei einer hinsichtlich Alter und Geschlecht erweiterten Probandenstichprobe bestätigte sich, dass die Messdauer bei Wiederholungen und bei der automatischen Messung geringer war. Bei manueller Messung zeigten sich erneut größere Frequenz- und Intensitätsumfänge der Sing- und Sprechstimme sowie höhere DSI-Werte, so dass diesem Verfahren für die Bevölkerungsstudie der Vorzug gegeben wird.


Text

Hintergrund

Das Sing- und Sprechstimmprofil als zentrales diagnostisches Instrument der Stimmleistung und -qualität wurde bisher im epidemiologischen Kontext nur wenig beurteilt. In einer vorangegangen Machbarkeitsstudie zum Einfluss von Untersuchungsmethode und Untersucher auf ausgewählte Parameter des Sing- und Sprechstimmprofils im Vorfeld einer bevölkerungsbezogenen Studie des Leipziger Forschungszentrums für Zivilisationskrankheiten (LIFE) wurde an einer Probandengruppe von 51 Logopädieschülerinnen bereits belegt, dass es hinsichtlich der beobachteten Werte keinen signifikanten Unterschied zwischen erfahrenen und unerfahrenen Untersuchern gibt. Weiterhin konnte in dieser Probandengruppe eine signifikante Überlegenheit der im klinischen Alltag gebräuchlicheren manuellen Messmethode gegenüber einer automatischen nachgewiesen werden [1]. Eine Übertragbarkeit dieser Ergebnisse auf beide Geschlechter und eine größere Altersspanne der Probanden wurde nun in einer Folgestudie untersucht.

Material und Methoden

Die Messungen wurden an 110 Freiwilligen, je 55 weiblich und männlich durchgeführt. Die Probanden waren alle stimmgesund, hatten ein medianes Alter von 58 Jahren (Spannweite 21 bis 82 Jahre) und wurden alle vom gleichen Untersucher entsprechend einer Standardarbeitsanweisung (SOP) gemäß UEP-Norm [2] untersucht. Bei jedem Teilnehmer wurden an einem Tag zwei unmittelbar aufeinanderfolgende Messungen durchgeführt. Ein Durchgang bestand dabei aus der Erhebung eines Sprechstimmprofils mit vier vorgegebenen Lautstärkeniveaus gefolgt von einem Singstimmprofil. Im Anschluss wurden die maximale Phonationsdauer und der Jitter bestimmt sowie der DSI berechnet. Die beiden Durchgänge unterschieden sich lediglich in der Messmethode des Singstimmprofils. Dabei wurden unter Verwendung eines Cross-over-Designs einmal eine manuelle und einmal eine automatische Aufzeichnung der gesungenen Töne vorgenommen. Bei der manuellen Methode gab der Untersucher den zu singenden Ton vor und legte den Zeitpunkt der Aufzeichnung des reproduzierten Tons durch den Probanden per Tastendruck fest. Die automatische Messung erfolgte im Gegensatz dazu immer nach 0,5 Sekunden, wobei der Proband entsprechend motiviert wurde, die Grenzen seines Tonumfangs zu erreichen. Für beide Arten der Messung wurde das gleiche Maß an Korrekturmöglichkeiten zugelassen. Es wurde wiederum das Stimmprofil-Modul aus DiVAS (Digital Video Archive Software®, Version 2.4) sowie ein eigenkalibrierendes Mikrofon der Firma XION medical GmbH, Berlin verwendet.

Ergebnisse

Unabhängig von der Messmethode verkürzte sich die durchschnittliche Untersuchungszeit signifikant von 6:35 min auf 6:05 min vom ersten zum zweiten Durchgang (p=0,002). Die Untersuchungszeit pro Durchgang war zudem signifikant abhängig von der Messmethode der Singstimme zu Gunsten der automatischen Messungen (5:48 min vs. 6:51 min, p<0,001). Weibliche Teilnehmer benötigten für die Durchführung beider Durchgänge insgesamt signifikant mehr Zeit (Median 13:04 min vs. 12:06 min). Im Vergleich der Messmethoden zeigten weibliche gegenüber männlichen Probanden unterschiedliche Resultate. In den manuellen Messungen erreichten Frauen signifikant höhere Maximalfrequenzen, während Männern bei dieser Methode signifikant niedrigere Lautstärken gelangen. Hinsichtlich des DSI-Wertes zeigte sich neben einer geschlechtsübergreifenden signifikanten Überlegenheit der manuellen Messmethode ebenfalls eine signifikante Altersabhängigkeit unabhängig von der Methode. Die Lautstärkewerte der Sprechstimme zeigten für beide Geschlechter eine gerichtete signifikante Tendenz zu höheren Werten im zweiten Durchgang (p<0,001). Für männliche Teilnehmer konnte weiterhin eine signifikante Altersabhängigkeit des Dynamikumfangs der Sprechstimme nachgewiesen werden.

Diskussion

Es bestätigten sich die Ergebnisse hinsichtlich der Messdauer aus der vorangegangenen Studie. Neben der zeitlichen Überlegenheit der automatischen Messmethode zeigten sich wiederum methodenunabhängige Lerneffekte zwischen den beiden Durchgängen. Ebenso sprechen die beschriebenen Resultate erneut für eine Überlegenheit der manuellen gegenüber der automatischen Messmethode. Neben dem in der Praxis als nachrangig einzuordnenden Zeitnachteil konnten die Probanden erneut höhere Maximalfrequenzen als auch niedrigere Lautstärken erzeugen, wenngleich diese Tendenzen einer Geschlechtsabhängigkeit unterlagen. Eine Erklärung der mutmaßlichen Gründe dieser Effekte wurde bereits früher dargelegt [1]. Die interessanten neuen Aspekte der Geschlechts- und Altersabhängigkeit einiger beobachteter Werte deuten darauf hin, dass die Ergebnisse der Sprech- und Stimmprofilmessungen gerade im epidemiologischen Kontext einer differenzierten Auswertungsstrategie unterzogen werden müssen.

Anmerkung

Diese Publikation wurde gefördert durch LIFE – Leipziger Forschungszentrum für Zivilisationserkrankungen. LIFE wird finanziert aus Mitteln der Europäischen Union durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und aus Mitteln des Freistaates Sachsen im Rahmen der Landesexzellenzinitiative.


Literatur

1.
Dippold S, Engel C, Langbein T, Fuchs M. Einfluss von Untersuchungsmethode und Untersucher auf das Sing- und Sprechstimmprofil. In: Gross M, am Zehnhoff-Dinnesen A, eds. Aktuelle phoniatrisch-pädaudiologische Aspekte 2011. Münster: Darpe; 2011. S. 118-120. Online available from: http://www.egms.de/en/meetings/dgpp2011/11dgpp36.shtml External link
2.
Schutte HK, Seidner W. Recommendation by the Union of the European Phoniatrics (UEP) standardizing voice area measurement / phonetography. Folia Phoniatr Logop. 1983;35:286-8