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29. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

21.09. - 23.09.2012, Bonn

Stimmfeldmessungen im Vergleich unterschiedlicher kommerzieller Softwareprogramme

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Berit Schneider-Stickler - Univ.-HNO-Klinik, Klinische Abteilung Phoniatrie-Logopädie, Medizinische Universität Wien, Wien, Österreich
  • author Felicitas Feichter - Univ.-HNO-Klinik, Klinische Abteilung Phoniatrie-Logopädie, Medizinische Universität Wien, Wien, Österreich
  • author Wolfgang Bigenzahn - Univ.-HNO-Klinik, Klinische Abteilung Phoniatrie-Logopädie, Medizinische Universität Wien, Wien, Österreich
  • author Philipp Aichinger - Univ.-HNO-Klinik, Klinische Abteilung Phoniatrie-Logopädie, Medizinische Universität Wien, Wien, Österreich

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 29. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Bonn, 21.-23.09.2012. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2012. Doc12dgppV8

doi: 10.3205/12dgpp15, urn:nbn:de:0183-12dgpp152

Published: September 6, 2012

© 2012 Schneider-Stickler et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Stimmfeldmessungen werden seit Jahren in Forschung und Klinik zur Beurteilung von Stimmleistung und Stimmkonstitution sowie zur Diagnostik von Stimmstörungen verwendet. In der Vergangenheit wurde bereits auf die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen physiologischen und musikalischen Stimmfeldmessungen hingewiesen. Darüber hinaus wurden mögliche Einflussfaktoren auf die Genauigkeit von Stimmfeldmessungen, z.B. Tagesverfassungen von Probanden und Untersuchern, untersucht. Mit der zunehmenden Popularität dieser Untersuchungsmethode wurden in den vergangenen Jahren verschiedene Softwareprogramme entwickelt und kommerziell angeboten.

Material und Methoden: Ziel der vorliegenden Studie ist es, die Validität und Reliabilität von Stimmfeldmessungen bei Verwendung verschiedener kommerzieller Softwareprogramme zu untersuchen. Dreißig Probanden (n=15 Stimmgesunde und n=15 Stimmpatienten) wurden gleichzeitig Sing- und Sprechstimmfeldmessungen mit den Programmen DiVAS, lingWAVES und VidiVoice unterzogen.

Ergebnisse: Grundfrequenz (F0) und Schalldruckpegel (SPL) von leiser, indifferenter und mittellauter Sprechstimme zeigten weitgehende Übereinstimmung. Unterschiede zwischen den Programmen wurden bei F0 und SPL der Rufstimme gemessen. Die SPL-Messungen für leises und lautes Singen zeigten diffuse Messwerte. Zusätzlich zeigten sich beim Vergleich der Geschlechter Unterschiede zwischen den Programmen.

Diskussion: Die Ergebnisse dieser Studie unterstreichen die dringende Notwendigkeit, Standards für Hard- und Softwarevoraussetzungen für Stimmfeldmessungen im Sinne der Qualitätssicherung in der Medizin zu entwickeln und zu etablieren. Ohne Standardisierung von Messprogrammen sind Vergleiche von Messwerten bei Verwendung unterschiedlicher Geräte und Softwareprogramme nicht möglich.


Text

Hintergrund

Die Idee der heutigen „Stimmfeldmessung“, Tonhöhe und Lautstärke einer Stimme in einem xy-Koordinatensystem darzustellen, stammt bereits aus dem Jahre 1952 von Calvet [2]. Seitdem zählt die Stimmfeldmessung zu den wichtigen stimmdiagnostischen Untersuchungsmethoden mit routinemäßigem Einsatz in der Differentialdiagnostik pathologischer Stimmen. Seit einigen Jahren findet die Stimmfeldmessung nicht nur in klinischen und medizinisch-wissenschaftlichen Bereichen Anwendung, sondern auch in Gesangspädagogik und Pädagogik. Mit der zunehmenden Popularität dieser Untersuchungsmethode wurden in den vergangenen Jahren verschiedene Softwareprogramme entwickelt und kommerziell angeboten. Seit den Empfehlungen von Seidner und Schutte [4] konnten bereits einige kritische Messbedingungen standardisiert werden. Darüber hinaus wurden aber auch weitere Einflussfaktoren auf die Stimmfeldmessung diskutiert. Zu diesen zählen z.B. die Tagesverfassung von Probanden und Untersuchern [3], aber auch die Wahl des Aufnahmemikrophons [5], sowie raumakustische Aufnahmebedingungen und die zur Berechnung akustischer Parameter eingesetzten Algorithmen und Computerhardwarekomponenten. Eigene Studien zu Messungen des Dysphonia Severity Index (DSI) mit zwei verschiedenen Stimmfeldprogrammen haben nicht nur deutliche Abweichungen zu den Originaldaten von Wuyts ergeben, sondern auch Messabweichungen innerhalb der verwendeten Programme [1].

Für die Vergleichbarkeit von Messwerten im Rahmen von Therapieverläufen und Studien sollte sich der Untersucher auf die Validität und Reliabilität der Messergebnisse verlassen können. Ziel der vorliegenden Studie ist es daher, die Validität und Reliabilität von Stimmfeldmessungen bei Verwendung verschiedener kommerzieller Softwareprogramme zu untersuchen.

Probanden und Methodik

Dreißig Probanden (n=15 Stimmgesunde und n=15 Stimmpatienten) wurden Sing- und Sprechstimmfeldmessungen unterzogen. Dazu wurden die kommerziell erhältlichen Programme DiVAS (Fa. Xion, Berlin), lingWAVES (Fa. WEVOSYS, Forchheim) und VidiVoice (Fa. VidiVoice, Linz) parallel verwendet. Jedes Programm hat herstellerautonome Hard- und Softwarekomponenten. Die Messungen wurden jeweils von 3 Untersuchern durchgeführt, von denen einer die Untersuchung leitete.

Von den euphonen Probanden waren 3 männlich und 12 weiblich (durchschnittliches Alter 36 Jahre). Von den Stimmpatienten waren 6 männlich und 9 weiblich (durchschnittliches Alter 50 Jahre).

Die Sprechstimmfeldmessung berücksichtigte vier Steigerungsstufen, für die jeweils mittlere Grundfrequenz (F0) und mittlerer Schalldruckpegel (SPL) ausgewertet wurden:

  • leises Sprechen
  • indifferente Sprechstimmlage
  • Vortragsstimme
  • Rufen

Die Singstimmfeldmessung wurde mit dem Ziel der Erfassung des physiologischen Stimmfeldes durch Messung der leisen und lauten Phonation über den gesamten Tonhöhenumfang durchgeführt. Es wurden Tonhöhenumfang, Fläche des Singstimmfeldes und die erreichten SPL-Werte für gesungene Töne ausgewertet.

Für die statistische Auswertung wurden der Wilcoxon-Test und die Passing-Bablok-Regression verwendet.

Ergebnisse

Vergleich der Singstimmfelder

In Abbildung 1 [Abb. 1] und Abbildung 2 [Abb. 2] sind die SPL-Werte für leises und lautes Singen über den gesamten Tonhöhenumfang (THU) dargestellt. Zum Programmvergleich wurde auf die Trennung zwischen den Geschlechtern verzichtet.

Die Auswertung der Stimmfeldfläche ergab nach Auswertung der Passing-Bablok-Regression zwischen den Programmen im Mittel keine wesentlichen Unterschiede (Abbildungen 1a-c [Abb. 1]). Dennoch wurden vereinzelte Ausreißer und eine kritische Messwertestreuung gefunden.

Die Auswertung des THU der Singstimme ist in Tabelle 1 [Tab. 1] zusammengefasst. Die Ergebnisse zeigen nur geringe THU-Unterschiede, und dies vorzugsweise bei dysphonen Stimmen.

Im Gegensatz dazu zeigen detaillierte Betrachtungen der leisen und lauten Singstimmfeldkurven teilweise große Abweichungen zwischen den Programmen (Abbildung 2 [Abb. 2] und Abbildung 3 [Abb. 3]).

Der Wilcoxon-Test ergab mit p-Werten <0,05 signifikante Unterschiede für die SPL-Messungen zwischen den Programmen, wobei auch die Einflüsse von Stimmklangqualität (euphon/dysphon) und Geschlecht (männlich/weiblich) berücksichtigt wurden (Tabelle 2 [Tab. 2]).

Vergleich der Sprechstimmfelder

Die F0- und SPL-Werte der Sprechstimmfeldern zeigten teilweise Übereinstimmung, teilweise jedoch auch deutliche Unterschiede zwischen den Programmen (Tabelle 3 [Tab. 3]). Die F0-Bestimmung ergab zwischen den Programmen geringere Abweichungen, als die SPL-Bestimmung. Der Wilcoxon-Test zeigte häufiger statistische Unterschiede zwischen den Programmen für die SPL-Messungen als für die F0-Bestimmung (Tabelle 4 [Tab. 4]).

Diskussion

Die Ergebnisse dieser Studie zeigen den großen Einfluss der verwendeten Programmhard- und -software auf die Ergebnisse der Sprech- und Singstimmfeldmessung.

Damit sind für die Interpretation von Stimmfeldern nicht nur bekannte Einflussfaktoren wie z.B. Tagesverfassungen von Untersucher und Patient bzw. Untersuchererfahrung zu berücksichtigen, sondern auch das jeweilige verwendete Programm.

Die Ergebnisse dieser Studie unterstreichen die dringende Notwendigkeit, Standards für Hard- und Softwarevoraussetzungen für Stimmfeldmessungen im Sinne der Qualitätssicherung in der Medizin zu entwickeln und zu etablieren. Ohne Standardisierung von Messprogrammen sind Vergleiche von Messwerten bei Verwendung unterschiedlicher Geräte und Softwareprogramme nicht möglich. Verlaufsuntersuchungen und Vergleichsstudien sollten daher möglichst mit dem gleichen Equipment durchgeführt werden.

Bis zur Standardisierung von Hard- und Softwarekomponenten ist für die Interpretation und Vergleichbarkeit von Stimmfeldmessungen die Angabe des verwendeten Gerätes erforderlich.


Literatur

1.
Aichinger P, Feichter F, Aichstill B, Bigenzahn W, Schneider-Stickler B. Inter-device reliability of DSI measurement. Logoped Phoniatr Vocol. 2012 Jun 15. DOI: 10.3109/14015439.2012.687761 External link
2.
Calvet J, Malhiac G. Courbes vocals et mue de la voix. J Franc Otorhinolaygol. 1952;1:115-24.
3.
Gramming P, Sundberg J, Akerlund L. Variability of phonetograms. Folia Phoniatr (Basel). 1991;43(2):79-92. DOI: 10.1159/000266116 External link
4.
Seidner W, Schutte HK. Empfehlung der UEP: Standardisierung Stimmfeldmessung/Phonetographie. HNO-Praxis.1982;7:305-7.
5.
Svec JG, Granqvist S. Guidelines for selecting microphones for human voice production research. Am J Speech Lang Pathol. 2010 Nov;19(4):356-68. DOI: 10.1044/1058-0360(2010/09-0091) External link