gms | German Medical Science

28. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.
2. Dreiländertagung D-A-CH

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.
Schweizerische Gesellschaft für Phoniatrie; Sektion Phoniatrie der Österreichischen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie

09.09. - 11.09.2011, Zürich, Schweiz

Konzept zur Verbesserung des Neugeborenen-Hörscreenings im Freistaat Sachsen aus medizinischer und gesundheitsökonomischer Sicht

Vortrag

  • corresponding author M. Kühn - Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus der TU Dresden, Deutschland
  • M. Albrecht - Universitätsklinikum Carl Gustav Carus der TU Dresden, Deutschland
  • T. Zahnert - Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus der TU Dresden, Deutschland
  • D. Mürbe - Sächsisches Cochlear Implant Center, Abteilung Phoniatrie und Audiologie, Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus der TU Dresden, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 28. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP), 2. Dreiländertagung D-A-CH. Zürich, 09.-11.09.2011. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2011. Doc11dgppV51

doi: 10.3205/11dgpp73, urn:nbn:de:0183-11dgpp734

Published: August 18, 2011

© 2011 Kühn et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution License (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.en). You are free: to Share – to copy, distribute and transmit the work, provided the original author and source are credited.


Zusammenfassung

Hintergrund: Seit 01.01.2009 wird nach einem Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) das Neugeborenen-Hörscreening (NHS) bundesweit durchgeführt. In Sachsen wurde nach Gründung dreier NHS-Zentren ein Trackingsystem NHS flächendeckend etabliert.

Material und Methoden: Im Rahmen der Erstellung einer Master Thesis des Studienganges MBA Health Care Management der Dresden International University wurde anhand der Daten für den Zeitraum 01.01.–30.06.2010 die Umsetzung des Stufenkonzeptes in den Direktionsbezirken (DB) Chemnitz und Dresden dargestellt. Die Erfassung der Daten wurde anschließend für weitere 6 Monate bis 30.12.2010 fortgeführt. Unter Einbeziehung der Organisation des NHS in anderen Bundesländern wurde ein Konzept zur Verbesserung des diagnostischen Pfades NHS erarbeitet.

Ergebnisse: Das vom G-BA geforderte Qualitätsniveau wird für 2010 mit ca. 93,3% einem Primärscreening (PS) zugeführter Neugeborener (24.279/26.036) noch nicht erreicht. Der Anteil auffälliger Befunde (PS) lag bei 5,5%, für Risikokinder bei 9,5%. Erforderliche Schulungen und qualitätssichernde Maßnahmen können kostenbedingt nur unzureichend durchgeführt werden, da die Overhead-Kosten von den Kostenträgern nicht finanziert werden. In Anlehnung an die Durchführung in Bayern und Hessen sind für das NHS in Sachsen neben der notwendigen Strukturfinanzierung auch entsprechende Sach- und Personalkosten zu berücksichtigen.

Diskussion: Für ein qualitätsgesichertes NHS sind die Etablierung einer Qualitätskultur sowie ein Qualitätsmanagement essentiell. Die Prozessqualität wird durch die Qualifikation des Untersuchers und ein überregionales Tracking positiv beeinflusst. Neben einer engeren Vernetzung der NHS-Zentren sollte das NHS im Landesrecht verankert werden. Die Koordination von Früherkennungsmaßnahmen angeborener Erkrankungen sollte unter Einbindung des NHS in einem Sächsischen Kindervorsorgezentrum gebündelt werden.


Text

Einleitung und Hintergrund

Die häufigste sensorische Schädigung im Kindesalter sind permanente Hörstörungen. In Deutschland wird derzeit eine angeborene beidseitige Hörstörung bei 1–2 von 1.000 Neugeborenen diagnostiziert. Nach Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) hat jedes Neugeborene seit dem 01.01.2009 Anspruch auf ein Neugeborenen-Hörscreening (NHS) [1] . In Sachsen wurde nach Gründung dreier NHS-Zentren in Chemnitz, Dresden und Leipzig ein Trackingsystem NHS flächendeckend etabliert.

Material und Methode

Die NHS-Zentren der Direktionsbezirke (DB) Chemnitz und Dresden sind seit 2009 über einen Kooperationsvertrag zwischen dem Audiologisch Phoniatrischen Zentrum Chemnitz und dem Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden verbunden. Im Rahmen der Erstellung einer Master Thesis des Studienganges MBA Health Care Management der Dresden International University wurde anhand der Daten für den Zeitraum 01.01.–30.06.2010 die Umsetzung des Stufenkonzeptes (Abbildung 1 [Abb. 1]) in beiden Direktionsbezirken analysiert. Die Erfassung der Daten wurde anschließend für weitere 6 Monate bis 30.12.2010 fortgeführt. Für das Jahr 2010 liegen Daten von 26.036 Neugeborenen der kooperierenden NHS-Zentren vor und wurden durch Daten des Statistischen Landesamtes des Freistaates Sachsen in Kamenz ergänzt. Weiterhin wurden die NHS-Beauftragten aller beteiligten ambulanten und stationären Einrichtungen hinsichtlich der aktuellen Umsetzung des NHS-Stufenkonzeptes befragt. Unter Einbeziehung der Organisation des NHS in anderen Bundesländern wurde ein Konzept zur Verbesserung des diagnostischen Pfades NHS erarbeitet.

Ergebnisse

Das vom G-BA geforderte Qualitätsniveau wird für 2010 mit ca. 93,3% einem Primärscreening (PS) zugeführter Neugeborener (24.279/26.036) noch nicht erreicht. Der Anteil auffälliger Befunde (PS) lag bei 5,5%, für Risikokinder bei 9,5%.

Auffällig war die Anwendung von TEOAE statt der geforderten AABR-Messung bei Risikokindern in 11,5% der Fälle beim Primärscreening und in 30,0% der Fälle beim Kontrollscreening. Bei 44 Kindern wurde mittels Konfirmationsdiagnostik eine Hörstörung ausgeschlossen, die in der Konfirmationsdiagnostik bestätigten hörgestörten Kinder wurden einer pädaudiologischen Betreuung zugeführt. Die Ergebnisse der Prozessanalyse zeigten, dass erforderliche Schulungen und qualitätssichernde Maßnahmen kostenbedingt nur unzureichend durchgeführt werden, da die Overhead-Kosten (Tracking, Qualitätskontrolle, Schulungsmaßnahmen) von den Kostenträgern nicht finanziert werden. Daraus ergeben sich für eine erfolgreiche Verbesserung des NHS: 1. Die Etablierung eines Qualitätsmanagements (QM) mit einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KP) und die Erfassung der Prozessqualität. 2. Die bessere Vernetzung von NHS mit dem Stoffwechselscreening. 3. Neben der vorhandenen Vollzeitstelle „Projektkoordinator NHS“ zwei weitere Vollzeitstellen für die DB Chemnitz und Dresden 4. Einheitliche Anschaffung von Kombinationsgeräten zur elektronischen Datenübermittlung.

Diskussion

Die im Rahmen der Master Thesis durchgeführte Analyse ergab, dass die kooperierenden NHS-Zentren eine erfolgreiche Initiierung des NHS-Stufenkonzeptes mit Primär- und Kontrollscreening und der ggf. notwendigen Konfirmationsdiagnostik sowie der Etablierung einer funktionierenden Trackingstruktur gelungen ist. Dies erfolgte in Abstimmung mit der Sächsischen Ärztekammer und insbesondere der Arbeitsgruppe Perinatologie/Neonatolgie sowie unter Einbindung der beteiligten Facharztgruppen (Kinder- und Jugendmedizin, Frauenheilkunde und Geburtshilfe, HNO-Heilkunde, Sprach-, Stimm- und kindliche Hörstörungen).

Die erforderliche Verbesserung des NHS im Freistaat Sachsen kann mittelfristig mit einer stärkeren Vernetzung der 3 regionalen NHS-Zentren erreicht werden. Erfahrungen aus der Kooperation zwischen den NHS-Zentren am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden (UKD) und am Audiologisch Phoniatrischen Zentrum Chemnitz (APZC) können dafür genutzt werden. Insbesondere Tracking, Qualitätsmanagement und Schulungsmaßnahmen sind geeignete Bereiche für eine engere Zusammenarbeit. Langfristig sollte das NHS wie in anderen Bundesländern in das Landesrecht (z.B. SächsKiSchG) implementiert werden. In Anlehnung an das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit sollte die Koordination von Früherkennungsmaßnahmen von angeborenen Erkrankungen im Kindesalter unter Einbindung des NHS in einem zu gründenden Sächsischen Kindervorsorgezentrum nach Abstimmung mit dem Sächsischen Staatsministerium für Verbraucherschutz und Soziales gebündelt werden. Tracking, Qualitätsmanagement und Schulungsmaßnahmen für das NHS könnten so von einer Trackingstelle des Screeningszentrums Sachsen am Sächsischen Kindervorsorgezentrum unter Einbindung der Gesundheitsämter bzw. des Statistischen Landesamtes koordiniert werden. Neben einer notwendigen Strukturfinanzierung durch den Freistaat Sachsen sind die jährlichen Personal- und Sachkosten für das NHS in Anlehnung an die vom Bayrischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit zur Verfügung gestellten Daten ebenfalls zu berücksichtigen [2]. Weiterhin sollte die Zusammenarbeit auch mit Trackingstellen und Kindervorsorgezentren der angrenzenden Bundesländer intensiviert werden, um ein überregionales bzw. bundesweites Tracking mit der Möglichkeit des Datenaustausches zu ermöglichen [3]. Begleitend sollten Kinder mit einer diagnostizierten permanenten Hörstörung bis möglichst ins junge Erwachsenenalter in Langzeitstudien aufgenommen werden, um die langfristigen Effekte des NHS auf Schulleistungen, die Berufswahl und die soziale Kompetenz erfassen zu können.


Anmerkungen

Weitere Literatur ist bei den Autoren erhältlich.

Ein Teil der vorgestellten Daten wurde als Master Thesis des Studienganges MBA Health Care Management 2010 publiziert und auf dem Deutschen HNO-Kongress in Freiburg 2011 vorgestellt.


Literatur

1.
Bundesministerium für Gesundheit. Bekanntmachung eines Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Kinderrichtlinien: Einführung eines Neugeborenen Hörscreenings. BAnz. 2008;(146 vom 29.09.2008):3484. Available from: http://www.g-ba.de/downloads/39-261-681/2008-06-19-Kinder-H%C3%B6rscreening_BAnz.pdf External link
2.
Nennstiel-Ratzel U, Brockow I, Wildner M, Koch-Dlouhy E, Gantner V, Schneider I, Strutz J, Richter E, von Kries R. Neugeborenen Hörscreening. Abschlussbericht zum Modellprojektion in der Oberpfalz und Oberfranken. Erlangen-Nürnberg: Bayrisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit; 2009. Available from: http://www.lgl.bayern.de/publikationen/doc/hoerscreening_abschluss.pdf External link
3.
Neumann K, Nawka T, Wiesner T, Hess M, Böttcher P, Gross M; Autorengruppe im Auftrag der DGPP. Qualitätssicherung eines universellen Neugeborenen-Hörscreenings. Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. HNO. 2009;57(1):17-20. DOI: 10.1007/s00106-008-1878-8 External link