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28. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.
2. Dreiländertagung D-A-CH

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.
Schweizerische Gesellschaft für Phoniatrie; Sektion Phoniatrie der Österreichischen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie

09.09. - 11.09.2011, Zürich, Schweiz

Der Entwicklungstest ET6-6 als Bestandteil der begleitenden Diagnostik bei Cochlea implantierten Kindern

Poster

  • corresponding author Katharina Florek - Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden, Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen- und Ohrenheilkunde, Sächsisches Cochlear Implant Centrum Dresden, Deutschland
  • D. Haensel - Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden, Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen- und Ohrenheilkunde, Sächsisches Cochlear Implant Centrum Dresden, Deutschland
  • A. Siebenmark - Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden, Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen- und Ohrenheilkunde, Sächsisches Cochlear Implant Centrum Dresden, Deutschland
  • D. Mürbe - Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden, Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen- und Ohrenheilkunde, Sächsisches Cochlear Implant Centrum Dresden, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 28. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP), 2. Dreiländertagung D-A-CH. Zürich, 09.-11.09.2011. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2011. Doc11dgppP20

doi: 10.3205/11dgpp66, urn:nbn:de:0183-11dgpp667

Published: August 18, 2011

© 2011 Florek et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Studien zum Rehabilitationsverlauf bei Kindern nach Cochlea Implantation fokussieren überwiegend auf die Entwicklung der sprachlichen Fähigkeiten. Andere Dimensionen der kindlichen Entwicklung wurden dagegen bisher wenig untersucht, obwohl die Konsequenzen einer hochgradigen Hörschädigung für sämtliche Lebensbereiche als relevant postuliert werden. Ziel der vorliegenden Studie war es, ein mehrdimensionales Profil des Entwicklungsstandes bei Kindern mit Cochlea Implantat zu erstellen, um 1) zusätzliche Einschränkungen (neben der Hörminderung) zu identifizieren und 2) den Einfluss der weiteren Entwicklung auf den Verlauf der Hörrehabilitation zu erfassen.

Material/Methoden: 23 uni- bzw. bilateral Cochlea implantierte Kinder im Alter von 11 bis 65 Monaten wurden fortlaufend mit Beginn der CI-Rehabilitation (t1) und 12 Monate nach Erstanpassung (t2) mit dem Entwicklungstest ET 6-6 [1] untersucht. Der ET 6-6 ermöglicht die Darstellung des allgemeinen Entwicklungstandes im Vergleich zu Altersnormwerten in den Bereichen Körpermotorik, Handmotorik, Kognitive Entwicklung, Sprachentwicklung, Sozial- und Emotionale Entwicklung. Das resultierende Entwicklungsprofil zeigt an, ob die erreichten Testwerte unter, im oder über dem Normbereich der entsprechenden Altersgruppe liegen.

Ergebnisse: 21 von 23 Kindern unterschritten die Altersnorm zum 1. Testzeitpunkt (t1) in mindestens einem Entwicklungsbereich zusätzlich zum Sprachentwicklungsstand. Auch 12 Monate (t2) nach Erstanpassung zeigten noch mehr als die Hälfte der Kinder unterdurchschnittliche Testwerte in nicht sprachlichen Entwicklungsdimensionen. Im Vergleich zu t1 erreichten weniger Kinder die Altersnorm in den Kategorien Handmotorik (18 vs. 14) und Kognitive Entwicklung (8 vs. 4). Eine Verbesserung von t1 zu t2 konnte dagegen in der Sozialen (8 vs. 14) und Emotionalen Entwicklung (10 vs. 14) beobachtet werden.

Fazit: Die vorliegenden Ergebnisse belegen die Notwendigkeit eines Entwicklungsscreenings im Rahmen der CI-Rehabilitation bei Kindern zusätzlich zur Prüfung sprachlicher Leistungen. Nur durch ein interdisziplinäres Rehabilitationskonzept können Maßnahmen nach individuellen Möglichkeiten der Kinder erfolgreich gestaltet und eine gezielte Einflussnahme auf Entwicklungsschwächen in Abstimmung mit dem Fördernetzwerkes außerhalb der CI-Rehabilitation initiiert werden. Die Eignung des ET 6-6 für die Fragestellung wird diskutiert. Der prognostische Wert des allgemeinen Entwicklungsstandes zu Beginn der CI Versorgung für eine möglicherweise eingeschränkte Sprachentwicklung trotz guter Hörleistungen sollte in weiterführenden Studien genauer untersucht werden.


Text

Hintergrund

Studien zum Rehabilitationsverlauf bei Kindern nach Cochlea Implantation fokussieren überwiegend auf die Entwicklung der sprachlichen Fähigkeiten [2], [3], [4]. Der Einfluss anderer Dimensionen der kindlichen Entwicklung wurden dagegen bisher wenig untersucht, obwohl die Konsequenzen einer hochgradigen Hörschädigung für sämtliche Lebensbereiche als relevant postuliert werden [5]. Weiterhin zeigte sich, dass ca. 30–40% aller hörgeschädigten Kinder zusätzliche Einschränkungen aufweisen [6], [7]. Diese können im Rahmen eines Syndroms oder als Teilleistungsstörung in Erscheinung treten. Insbesondere leichte Ausprägungen sind oft zum Zeitpunkt der Indikationsstellung für die Cochlea Implantation noch nicht erfassbar und werden erst im Verlauf der weiteren Entwicklung deutlich. Ziel der vorliegenden Studie war es, ein mehrdimensionales Profil des Entwicklungsstandes bei Kindern mit Cochlea Implantat (CI) zu erstellen, um 1) zusätzliche Einschränkungen (neben der Hörminderung) zu identifizieren und 2) den Einfluss der weiteren Entwicklung auf den Verlauf der Hörrehabilitation zu erfassen.

Material/Methoden

23 uni- bzw. bilateral Cochlea implantierte Kinder im Alter von 11 bis 65 Monaten wurden fortlaufend mit Beginn der CI-Rehabilitation (t1) und 12 Monate nach Erstanpassung (t2) mit dem Entwicklungstest ET 6-6 [1] untersucht. Der ET 6-6 ermöglicht die Darstellung des allgemeinen Entwicklungstandes im Vergleich zu Altersnormwerten in den Bereichen Körpermotorik, Handmotorik, Kognitive Entwicklung, Sprachentwicklung, Soziale und Emotionale Entwicklung. Das resultierende Entwicklungsprofil zeigt an, ob die erreichten Testwerte unter, im oder über dem Normbereich (Mittelwert +/- eine Standardabweichung) der entsprechenden Altersgruppe liegen.

Ergebnisse

Die Mehrheit der untersuchten Kinder erreichte zum 1. Testzeitpunkt (t1) in den sprachrelevanten Dimensionen (Expressive und Rezeptive Sprache) Testwerte deutlich unter dem Altersnormwert (Abbildung 1 [Abb. 1]). Dagegen zeigten zu t2 12 von 23 Kindern altersgerechte Leistungen im Bereich Rezeptive Sprache, während 19 von 23 Kindern auch 12 Monate nach Erstanpassung (t2) den Altersnormwert im Bereich Expressive Sprache noch unterschritten.

Zu t1 unterschritten 21 von 23 Kindern den Altersnormbereich in mindestens einem Entwicklungsbereich zusätzlich zum Sprachentwicklungsstand. Der größte Anteil entfiel dabei auf die Dimensionen Soziale und Emotionale Entwicklung (15/23 bzw. 13/23). Motorische Fähigkeiten waren bei der Mehrheit der Kinder altersgerecht entwickelt (18/23 Handmotorik; 17/23 Körpermotorik).

12 Monate nach Erstanpassung (t2) zeigten noch mehr als die Hälfte der Kinder (15 von 23) unterdurchschnittliche Testwerte in nicht sprachlichen Entwicklungsdimensionen (Abbildung 2 [Abb. 2]). Der größte Anteil entfiel auf die Dimension Kognitive Entwicklung (12/23).

Im Vergleich zu t1 erreichten weniger Kinder die Altersnorm in den Kategorien Handmotorik (t1/18 vs. t2/14) und Kognitive Entwicklung (t1/15 vs. t2/11). Eine Verbesserung des Anteils altersgerechter Testwerte von t1 zu t2 konnte dagegen beim Stand der Sozialen (t1/8 vs. t2/14) und Emotionalen Entwicklung (t1/10 vs. t2/14) beobachtet werden.

Diskussion

Erwartungsgemäß lag die Mehrheit der Testwerte in den explizit sprachrelevanten Dimensionen (Rezeptive /Expressive Sprache) unter dem Altersnormwert. Eine positive Entwicklung 12 Monate nach Cochlea Implantation in den rezeptiven Fähigkeiten ist erkennbar.

Zusätzlich zu den sprachlichen Leistungen zeigten die untersuchten Kinder zum Zeitpunkt der Erstanpassung insbesondere in den Bereichen Soziale und Emotionale Entwicklung nicht altersgerechte Testwerte. Diese ergeben sich v.a. in den jüngeren Altersgruppen hauptsächlich aus den Angaben der Eltern in einem Elternfragebogen, die in den jeweiligen Testwert einfließen. 12 Monate nach Erstanpassung erreichten deutlich mehr Kinder den Normbereich. Dieser Befund ist konform mit früheren Studien [6], [7].

Zum 2. Testzeitpunkt erreichten weniger Kinder altersgerechte Werte in der Dimension Kognitive Entwicklung. Dies bildet möglicherweise die zunehmende Relevanz dieser Fähigkeiten mit steigendem Lebensalter und die erhöhte Komplexität der Anforderungen innerhalb des Tests ab.

Die Bewertung der Ergebnisse muss insgesamt mit Vorbehalt erfolgen, da die Instruktion während der Testdurchführung auch bei Items außerhalb der Dimensionen Rezeptive/Expressive Sprache nicht sprachfrei gestaltet werden kann. Somit fließt die Sprachkompetenz in die Leistung ein und diese kann nicht unabhängig bewertet werden.

Fazit

Die vorliegenden Ergebnisse belegen die Notwendigkeit eines Entwicklungsscreenings im Rahmen der CI-Rehabilitation bei Kindern zusätzlich zur Prüfung sprachlicher Leistungen. Nur durch ein interdisziplinäres Rehabilitationskonzept können Maßnahmen nach individuellen Möglichkeiten der Kinder erfolgreich gestaltet und eine gezielte Einflussnahme auf Entwicklungsschwächen in Abstimmung mit dem Fördernetzwerk außerhalb der CI-Rehabilitation initiiert werden. Die Eignung des ET 6-6 als Screening Instrument im Rahmen der Rehabilitation hörgeschädigter Kinder ist fraglich, da mit zunehmender Komplexität der Items auch in den nicht sprachrelevanten Dimensionen eine Instruktion unabhängig von der Sprachkompetenz des Probanden nicht mehr möglich ist. Der prognostische Wert des allgemeinen Entwicklungsstandes zu Beginn der CI Versorgung für eine möglicherweise eingeschränkte Sprachentwicklung trotz guter Hörleistungen sollte in weiterführenden Studien genauer untersucht werden.


Literatur

1.
Petermann F, Stein IA, Macha T. Entwicklungstest ET 6-6. (2., veränderte Auflage). Frankfurt/M: Harcourt Test Services; 2004.
2.
Johnston JC, Durieux-Smith A, Angus D, O'Connor A, Fitzpatrick E. Bilateral paediatric cochlear implants: a critical review. Int J Audiol. 2009;48(9):601-17. DOI: 10.1080/14992020802665967 External link
3.
Tajudeen BA, Waltzman SB, Jethanamest D, Svirsky MA. Speech perception in congenitally deaf children receiving cochlear implants in the first year of life. Otol Neurotol. 2010;31(8):1254-60. DOI: 10.1097/MAO.0b013e3181f2f475 External link
4.
Vlastarakos PV, Proikas K, Papacharalampous G, Exadaktylou I, Mochloulis G, Nikolopoulos TP. Cochlear implantation under the first year of age--the outcomes. A critical systematic review and meta-analysis. Int J Pediatr Otorhinolaryngol. 2010;74(2):119-26. DOI: 10.1016/j.ijporl.2009.10.004 External link
5.
Hauser PC, O'Hearn A, McKee M, Steider A, Thew D. Deaf epistemology: Deafhood and Deafness. Am Ann Deaf. 2010;154(5):486-92; discussion 493-6.
6.
Berrettini S, Forli F, Genovese E, Santarelli R, Arslan E, Chilosi AM, Cipriani P. Cochlear implantation in deaf children with associated disabilities: challenges and outcomes. Int J Audiol. 2008;47(4):199-208. DOI: 10.1080/14992020701870197 External link
7.
Filipo R, Bosco E, Mancini P, Ballantyne D. Cochlear implants in special cases: deafness in the presence of disabilities and/or associated problems. Acta Otolaryngol Suppl. 2004;(552):74-80.