gms | German Medical Science

28. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.
2. Dreiländertagung D-A-CH

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.
Schweizerische Gesellschaft für Phoniatrie; Sektion Phoniatrie der Österreichischen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie

09.09. - 11.09.2011, Zürich, Schweiz

Früherkennung von Spezifischen Sprachentwicklungsstörungen (SSES): Ergebnisse zur diagnostischen Güte des Screenings mit ELFRA-2 Kurzform

Vortrag

Search Medline for

  • corresponding author presenting/speaker Delia Möller - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hör-, Stimm- u. Sprachheilkunde, Hamburg, Deutschland
  • author Markus Hess - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hör-, Stimm- u. Sprachheilkunde, Hamburg, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 28. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP), 2. Dreiländertagung D-A-CH. Zürich, 09.-11.09.2011. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2011. Doc11dgppV01

doi: 10.3205/11dgpp01, urn:nbn:de:0183-11dgpp013

Published: August 18, 2011

© 2011 Möller et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution License (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.en). You are free: to Share – to copy, distribute and transmit the work, provided the original author and source are credited.


Zusammenfassung

Hintergrund: Kinder mit SSES frühzeitig erkennen zu können, ist das Ziel von Elternfragebögen, die für den Einsatz bei den kinderärztlichen Untersuchungen (U7) vorgeschlagen werden. Bisher liegt jedoch keine oder nur schwache Evidenz für die diagnostische Güte dieser Screenings vor [1].

Material und Methoden: Zweijährige (N=2598) wurden zunächst bei der U7 mit dem ELFRA-2 Kurzform untersucht. Eltern mit screeningpositiven Kindern wurde vom Kinderarzt die Abklärung des Hörens und Sprechens in der Poliklinik für Hör-, Stimm- und Sprachheilkunde angeboten. 212 Kinder wurden mit verschiedenen Testverfahren zu mehreren Messzeitpunkten untersucht. In einer Fall-Kontroll-Studie (N=94) wurden die Screeningergebnisse testauffälliger Kinder (N=51) mit einer Kontrollgruppe sprachunauffälliger Kinder (N=43) verglichen. Außerdem wurden prospektiv in einer Kohorte aus einem Quartal (N=52) Sprachleistungen auffälliger Kinder (N=9) mit denen screeningunauffälliger Kinder (N=43) verglichen.

Ergebnisse: Insgesamt 19,0% (N=322) aller einsprachigen Kinder im Alter zwischen 22 und 26 Monaten (n=1706) hatten ein positives Screeningergebnis (produktiver Wortschatz <50) In der Fall-Kontroll-Gruppe liegt die Sensitivität des ELFRA-2 bei 82,1% und die Spezifität beträgt 57,6%. Der Ratzindex liegt bei 61% und kann im Sinne einer guten prognostischen Validität interpretiert werden. In der Kohorte ist bei niedrigerer Grundrate die Sensitivität dagegen nicht besonders hoch (44,4%), dafür ist die Zahl falsch positiver Diagnosen im Verhältnis deutlich geringer (Spezifität 88,4%).

Diskussion: Ergebnisse zur diagnostischen Güte sind in hohem Maße vom Studiendesign abhängig. In Fall-Kontrollstudien wird die Sensitivität überschätzt.


Text

Hintergrund

Kinder mit SSES frühzeitig erkennen zu können, ist das Ziel von Elternfragebögen, die für den Einsatz bei den kinderärztlichen Untersuchungen (U7) vorgeschlagen werden [2]. Bisher liegt jedoch keine oder nur schwache Evidenz für die diagnostische Güte dieser Screenings vor [1]. Die Kennzahlen aus den bisher vorliegenden Studien zur prognostischen Validität des ELFRA -2 zeigen aufgrund unterschiedlicher Studiendesigns, Störungsdefinitionen, Ein- und Ausschlusskriterien sehr heterogene Befunde und beziehen sich zudem auf die Langform des ELFRA- 2 [3]. Um Aussagen darüber machen zu können, wie zuverlässig die Früherkennung von SSES-Kindern zum Zeitpunkt der U7 mit ELFRA-2 in der Kurzform ist, sollte das Screening in einem prospektiven Kohortendesign, mit möglichst validen Referenzkriterien und auf SSES bezogenen Ein- und Ausschlusskriterien geprüft werden [4].

Fragestellung

Wie ist die prognostische Validität des ELFRA-2 in der Kurzform in einem prospektiven Kohortendesign anhand definierter Diagnosekriterien für die Feststellung einer SSES im Alter von drei Jahren?

Material und Methoden

Zweijährige (N=2598) wurden zunächst bei der U7 mit dem ELFRA-2 Kurzform untersucht. In die Studienpopulation wurden alle einsprachig deutschen Kinder im Alter von 22–26 Monaten (N=1706) eingeschlossen. Eltern mit screeningpositiven Kindern (N=322) wurde vom Kinderarzt die Abklärung des Hörens und Sprechens in der Poliklinik für Hör-, Stimm- und Sprachheilkunde angeboten. Die Diagnose einer SSES wurde im Alter von 36–38 Monaten gestellt, wenn die Leistungen im Sprachverstehen (SETK 3-5 Untertest: Verstehen von Sätzen) mindestens 1,25 SD unterhalb der Altersnorm (T-Wert ≤38) lagen und/oder eine Leistung in mindestens einem von zwei Sprachproduktionstests im SETK 3-5 (Untertest: Enkodieren semantischer Relationen oder Morphologische Regelbildung) mind. 1,5 Standardabweichungen unterhalb der Altersnorm (T-Wert ≤35) vorlagen.

In einer Kohorte aus einem Quartal (N=52) wurden prospektiv Sprachleistungen auffälliger Kinder (N=9) mit denen screeningunauffälliger Kinder (N=43) verglichen. und Sensitivität, Spezifität, Prädiktive Werte und der Ratz-Index berechnet. Vierfeldertafeln wurden erstellt. Diese Ergebnisse wurden den Befunden aus einer Fall-Kontroll-Gruppe (N=94) mit testauffälligen Kindern (N=51) und einer Kontrollgruppe sprachunauffälliger Kinder (N=43) gegenüber gestellt.

Ergebnisse

Insgesamt 19,0% (N=322) aller einsprachigen Kinder im Alter zwischen 22 und 26 Monaten (N=1706) hatten ein positives Screeningergebnis im ELFRA-2 Kurzform (produktiver Wortschatz <50). 212 Kinder wurden im Verlauf mit verschiedenen Testverfahren zu mehreren Messzeitpunkten untersucht. Im Kohortendesign ist die Sensitivität nicht besonders hoch (44%), d.h. Kinder, bei denen später mit drei Jahren eine SSES festgestellt wurde, werden nicht einmal zur Hälfte bereits bei der U7 mit dem Screening erkannt. Die Zahl falsch positiver Diagnosen ist allerdings gering (Spezifität 88%). In der Fall-Kontroll-Gruppe liegt die Sensitivität des ELFRA-2 bei 82% und die Spezifität beträgt 58%.

Die prädiktiven Werte zeigen sowohl in der Kohorte, als auch in der Fall-Kontroll-Gruppe, dass die Risikodiagnose bei Kindern im Alter von 22–26 Monaten nur in ca. der Hälfte der Fälle richtig ist. Kinder mit einem negativen Screeningergebnis haben zu ca. 90% später tatsächlich keine SSES. Der Ratzindex liegt für beide Studiengruppen im Bereich guter prognostischer Validität, ist aber in der Kohorte mit 34% deutlich niedriger als in der Fall-Kontroll-Gruppe (61%).

Diskussion

Ergebnisse zur diagnostischen Güte sind in hohem Maße vom Studiendesign abhängig. Die Ergebnisse der Kohortenstudie zeigen, dass die Früherkennung von SSES-Kindern mit dem ELFRA-2 Kurzform zum Zeitpunkt der U7 nur bedingt möglich ist. Das Screening ist vor allem als Ausschlussdiagnostik geeignet. In Fall-Kontrollstudien wird die Sensitivität dagegen überschätzt.


Literatur

1.
Kasper J, Kreis J, Scheibler F, Möller D, Skipka G, Lange S, von dem Knesebeck O. Population-Based Screening of Children for Specific Speech and Language Impairment in Germany: A Systematic Review. Folia Phoniatr Logop. 2011;63(5):247-263. DOI: 10.1159/000321000 External link
2.
Rosenfeld J, Kiese-Himmel C. Evaluation of Current Assessment Tools in the Early Detection of Language Retardation in the German Preventive Paediatric Examinations (Kindervorsorgeuntersuchung U7/U7A). Gesundheitswesen. 2010. DOI: 10.1055/s-0030-1265192 External link
3.
Möller D, Ritterfeld U, Hess M. Die diagnostische Güte des Screenings mit ELFRA 2 Kurzform im medizinischen Versorgungskontext; 2011 (in Vorbereitung).
4.
von Suchodoletz W. Früherkennung von Sprachentwicklungsstörungen. Stuttgart: Kohlhammer; 2011 (in Druck).