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27. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

17.09. - 19.09.2010, Aachen

Kasseler Stottertherapie (KST) für Kinder – Langzeitevaluation der Therapie für 9- bis 12-Jährige und Behandlungskonzept für 6- bis 9-Jährige (FranKa)

Vortrag

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  • corresponding author presenting/speaker Harald A. Euler - Institut für Psychologie, Universität Kassel, Deutschland; Schwerpunkt für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universität Frankfurt/Main, Deutschland
  • Katja Hente - Institut der Kasseler Stottertherapie, Bad Emstal, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 27. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Aachen, 17.-19.09.2010. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2010. Doc10dgppV41

doi: 10.3205/10dgpp59, urn:nbn:de:0183-10dgpp592

Published: August 31, 2010

© 2010 Euler et al.
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Zusammenfassung

Nachfolgedaten drei Jahre nach Intensivkurs zeigen für 9- bis 12-jährige Kinder, die stottern, die gleichen Behandlungserfolge wie für Erwachsene: Sehr guter Erfolg für die Hälfte der Kinder, gute bis akzeptable Erfolge für ein Viertel der Kinder, und unzureichende Erfolge für die restlichen Kinder.

Das Behandlungsverfahren FranKa für 6- bis 12-jährige Kinder wird seit über einem Jahr in einer Pilotstudie erprobt. Wesentliche Elemente des Konzepts sind Folgende: In einer 8-tägigen stationären Intensivtherapie mit strukturierter Nachsorgephase wird ein kindgerechtes Biofeedbackprogramm zum Erlernen und Aufrechterhalten des weichen Sprechens eingesetzt. Die Eltern werden ganztägig mit einbezogen und zu Co-Therapeuten ausgebildet. Dabei lernen sie selbst die weiche Sprechweise und Strategien, um das weiche und flüssige Sprechen dauerhaft zu verstärken.

Die Nachsorgephase erstreckt sich über ein halbes Jahr und beinhaltet die Teilnahme an drei 2-tägigen Auffrischungskursen sowie dem regelmäßigen Üben zu Hause. Dies wird auch durch einen Vertrag zwischen Patienten und Krankenkassen unterstützt, was bedeutet, dass nur bei Nachweis der vereinbarten Übungszeiten von Eltern und Kind die Kostenübernahme der Software durch die Krankenkasse erfolgt.

Neben der Vorstellung der FranKa-Therapie werden folgende Punkte behandelt: Diagnostik und Auswahlkriterien; Argumente für ein frühzeitiges direktes Arbeiten mit Kindern in der Stottertherapie; Umsetzung der erlernten weichen Sprechweise in Alltagssituationen.


Text

Einleitung und Hintergrund

Die Kasseler Stottertherapie (KST) ist ein computergestütztes Fluency-Shaping-Verfahren für Jugendliche und Erwachsene, also ein systematisches, intensives, fest strukturiertes sprechmotorisches Übungsprogramm, das mit einem neuartigen, extrem verlangsamten Sprechmuster mit weichen Stimmeinsätzen beginnt, welches allmählich an ein natürlich klingendes Sprechmuster angeglichen und in außerklinische Sprechsituationen übertragen wird [2], [3]. Das Programm wirkt längerfristig mit hohen Effektstärken hinsichtlich objektiver Stotterhäufigkeiten und subjektiver Stotterbewertungen und erfüllt fast ausnahmslos die 12 methodischen Kriterien, die an eine als nachhaltig erfolgreich zu bezeichnende Stottertherapie gestellt werden sollten [1]. Die Therapiewirkung konnte außerdem hirnfunktionell belegt werden [4]. Die verfahrenstreu durchführbare standardisierte Behandlungsform ermöglicht evidenzbasierten Fortschritt in der Stottertherapie und stellt eine Alternative zu gängigen subjektiv-eklektisch zusammengestellten Therapiepaketen mit nicht belegter langfristiger Wirksamkeit dar. Seit einigen Jahren wird die KST leicht verändert auch für 9- bis 12-jährige Kinder [7] und seit kurzem kindgerecht angepasst auch für jüngere Kinder angeboten. Für die älteren Kinder liegen mittlerweile erste Nachfolgedaten für 1 Jahr nach Intensivkurs vor.

Material und Methode

400 Patienten (313 männlich, 87 weiblich; Alter bei Therapiebeginn 9 bis 65 Jahre, Median 20 Jahre) absolvierten die KST mit Intensivkurs (3 bzw. 2 Wochen, täglich 11 Stunden) und 1-jähriger Nachsorgephase mit zwei 3-tägigen Auffrischungskursen. Ein Computerprogramm führt durch Übungslektionen mit steigenden Sprechanforderungen. Einzelübungen am PC wechseln mit Gruppenübungen (1 Therapeut auf 4 Klienten) ab, in denen verschiedene therapeutische Verfahren zur Anwendung kommen. Regelmäßige Übung am Heimcomputer ist bis zum Ende des ersten Jahres nach einer Komplianzvereinbarung mit den Krankenkassen obligat. Die Übungssoftware registriert die abgearbeitete Übungszeit, die turnusmäßig eingeschickt wird und so verlässlich überprüfbar ist. Am PC wird in schrittweisen Lektionen die Stimmführung visuell rückgemeldet und eingeschleift. Objektive Redeflussparameter (% gestotterter Silben (%SS) und Sprechgeschwindigkeit in 4 verschiedenen Sprechsituationen) und verschiedene subjektive Redeflussbewertungen wurden vor Intensivkurs, nach Kurs, 1 Jahr (N=238), 2 Jahre (N=69) und 3 Jahre (N=69) später erhoben.

Ergebnisse

Die objektiven Unflüssigkeiten wurden von 'vor' zu 'nach Kurs' von 12,6 auf 1,6 %SS reduziert und blieben in den folgenden 3 Jahren zwischen 3,2 und 3,8 %SS. Die Veränderungen von 'vor Kurs' zu '1 Jahr später' oder danach zeigten Effektstärken von d>1,1. Rückfälle waren meist vorübergehend und traten gehäuft in den ersten 6 Monaten auf. Subjektive Stotterdaten (Einschätzung der Stotterschwere; Vermeiden von Sprechen/Sprechsituationen) zeigten etwas abgeschwächt über die Messzeitpunkte den gleichen annähernd L-förmigen Verlauf. Sprechgeschwindigkeit und -natürlichkeit erhöhten sich leicht. Die Hälfte der Patienten zeigte damit sehr gute bis gute langfristige Erfolge, ein Viertel der Patienten befriedigende und ein letztes Viertel unbefriedigende langfristige Erfolge.

Die 9- bis 12-jährigen Kinder (N=71) unterschieden sich in den objektiven Redeflussdaten nicht signifikant von den älteren Patienten. Bei den subjektiven Redeflussbewertungen gaben die Kinder insgesamt geringere Werte an als die älteren Patienten, der Therapieerfolg war diesbezüglich jedoch gleichwertig.

Diskussion

Das in der KST angewendete computerunterstützte Fluency Shaping Verfahren zeigt, bei Anlegung strenger methodischer Kriterien, insgesamt gute langfristige Erfolge, auch für ältere Kinder. Mit Ausnahme der Freiheit von bewusster Selbstkontrolle des Sprechens werden alle 12 methodischen Kriterien von Bloodstein und Bernstein Ratner [1] durch die KST erfüllt.

Für jüngere Kinder liegen noch keine längerfristigen Daten vor. Das Behandlungsprogramm für diese Kinder beinhaltet eine spezielle kindgerechte Software, den Einbezug der Eltern als Ko-Therapeuten über den gesamten Behandlungszeitraum, ein dichteres Therapeut-Patient-Verhältnis (3 Therapeuten sowie 1 Praktikant auf 6 Kinder) sowie den Einsatz materieller Verstärker („Muggelsteine“).

Im Frühjahr 2010 wurde das Erhebungsverfahren verbessert. Die objektiven Stotterdaten werden nunmehr mit dem Stuttering Severity Instrument 4 (SSI-4; [5]) erfasst. Damit gehen physische Begleiterscheinungen von Stotterereignissen sowie die besondere Beachtung langer Sprechblockaden in die Feststellung des Stotterschweregrades mit ein. Die subjektiven Stotterbewertungen werden mit dem Overall Assessment of the Speaker's Experience of Stuttering erfasst (OASES; [8]), der in drei Altersversionen mit je nach Alterskategorie zwischen 60 und 100 Items vorliegt und auf bislang umfassendste Weise die persönlichen Aspekte des Stotterns darstellt (allgemeine Perspektive hinsichtlich Stottern; affektive, behaviorale und kognitive Reaktionen auf Stottern; funktionale Kommunikationsschwierigkeiten; Auswirkung des Stotterns auf die Lebensqualität).


Literatur

1.
Bloodstein O, Bernstein Ratner N. A handbook on stuttering. 6th ed. Clifton Park, NY: Delmar; 2008.
2.
Euler HA, Wolff v Gudenberg A. Die Kasseler Stottertherapie (KST): Ergebnisse einer computergestützten Biofeedbacktherapie für Erwachsene. Sprache Stimme Gehör. 2000;24:71-9. DOI: 10.1055/s-2000-11084 External link
3.
Euler HA, Wolff v. Gudenberg A, Jung K, Neumann K. Computergestützte Therapie bei Redeflussstörungen: Die langfristige Wirksamkeit der Kasseler Stottertherapie (KST). Sprache Stimme Gehör. 2009;33:193-201. DOI: 10.1055/s-0029-1242747 External link
4.
Kell CA, Neumann K, von Kriegstein K, Posenenske C, Wolff von Gudenberg A, Euler HA, Giraud AL. How the brain repairs stuttering. Brain. 2009;132:2747-60. DOI: 10.1093/brain/awp185 External link
5.
Riley GD. SSI-4: Stuttering Severity Instrument. 4th ed. Austin, TX: PRO-ED, Inc; 2009.
6.
Webster RL. The Precision Fluency Program: Speech reconstruction for stutterers (Clinician's Program Guide). Roanoke, VA: Communications Development Corporation; 1980.
7.
Wolff v. Gudenberg A, Neumann K, Euler HA. Kasseler Stottertherapie für ältere Kinder schließt eine Behandlungslücke. Forum Logopädie. 2006;20:24-9.
8.
Yaruss JS, Quesal RW. Overall Assessment of the Speaker's Experience of Stuttering (OASES): Documenting multiple outcomes in stuttering treatment. J Fluency Disord. 2006;31:90-115. DOI: 10.1016/j.jfludis.2006.02.002 External link