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27. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

17.09. - 19.09.2010, Aachen

Entwicklung von funktionellen MRT-Tests für Kinder mit Auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen (AVWS)

Poster

  • corresponding author presenting/speaker Sylva Bartel-Friedrich - Abt. Phoniatrie und Pädaudiologie, Univ.-HNO-Klinik, UKH (Saale), Halle/S., Deutschland
  • Yvette Broecker - Universitätsklinik und Poliklinik für Diagnostische Radiologie, UKH (Saale), Halle/S., Deutschland
  • Manfred Knoergen - Universitätsklinik und Poliklinik für Diagnostische Radiologie, UKH (Saale), Halle/S., Deutschland
  • Arno Noll - Universitätsklinik und Poliklinik für Diagnostische Radiologie, UKH (Saale), Halle/S., Deutschland
  • Sabrina Koesling - Universitätsklinik und Poliklinik für Diagnostische Radiologie, UKH (Saale), Halle/S., Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 27. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Aachen, 17.-19.09.2010. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2010. Doc10dgppP17

doi: 10.3205/10dgpp51, urn:nbn:de:0183-10dgpp515

Published: August 31, 2010

© 2010 Bartel-Friedrich et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Mit dem Begriff der AVWS werden verschiedene komplexe Störungen der zentralen Hörleistungen zusammengefasst. Ziel der Studie war es, eine Testreihe für die funktionelle MRT (fMRT) zu entwickeln, um die Diagnostik um ein bildgebendes Verfahren zu erweitern und damit die Diagnosefindung und die Überwachung der Therapiefortschritte zu unterstützen.

Material und Methoden: Die fMRT erfolgte bei 11 gesunden Kindern (7–10 Jahre) und 11 gesunden Erwachsenen (23–31 Jahre). Grundlage der benutzten Paradigmen waren drei für die AVWS-Diagnostik genutzte Tests: der Hannoversche Lautdiskriminationstest (HLDT), die Hörmerkspanne mit sinnleeren Silben (HMS, Mottier-Test) und der dichotische Test nach Uttenweiler.

Ergebnisse: Beim HLDT zeigten sich für phonematische Unterscheidungen typische Aktivierungen im dorsalen Gyrus temporalis superior (STG), im Broca-Areal und im linken Gyrus temporalis medius (MTG). Die HMS führte zu beidseitigen Aktivierungen des STG, was typisch ist für Pseudowortverarbeitung. Es kam jedoch nicht zur eigentlich erwarteten Aktivierung des linken G. supramarginalis, in dem der phonologische Speicher vermutet wird, sondern des Hippocampus. Beim dichotischen Test fanden sich Aktivierungen des STG beidseits und des G. frontalis inferior links. Die Paradigmen zeigten größtenteils typische Aktivierungsmuster für die jeweiligen untersuchten zentralen Hörleistungen. Erste Ergebnisse bei Kindern mit einer AVWS weisen auf rechtstemporal schwächere (Brodmann Areal (BA) 22 mit Wernicke-Areal) und linkstemporal fehlende Aktivierungen im BA 38 (Temporalpol) hin.

Schlussfolgerung: Die fMRT erscheint geeignet, veränderte Aktivitätsmuster bei einer AVWS zu erfassen.


Text

Hintergrund

Mit dem Begriff der AVWS werden verschiedene komplexe Störungen der zentralen Hörleistungen zusammengefasst [1], [2], [3]. Ziel der Studie war es, eine Testreihe für die funktionelle MRT (fMRT) zu entwickeln, um die Diagnostik um ein bildgebendes Verfahren zu erweitern und damit die Diagnosefindung und die Überwachung der Therapiefortschritte zu unterstützen.

Methoden

Die fMRT erfolgte bei 11 gesunden Kindern (7–10 Jahre, 4 weiblich) und 11 gesunden Erwachsenen (23–31 Jahre, 7 weiblich). Grundlage der benutzten Paradigmen waren drei für die AVWS-Diagnostik genutzte Testverfahren: der Heidelberger Lautdiskriminationstest (HLDT) zur Überprüfung der Phonemdifferenzierung, die Hörmerkspanne mit sinnleeren Silben (HMS, Mottier-Test) zur Überprüfung von phonologischem Arbeitsgedächtnis und Sequenzierungsfähigkeit und der dichotische Test nach Uttenweiler zur Überprüfung der Fähigkeit, gleichzeitig eingehende, aber unterschiedliche Signale zu unterscheiden. Die Datenaquisition wurde an einem 1,5 Tesla Siemens-Scanner (Magnetom Sonata) durchgeführt. Zuerst erfolgte ein transversaler T1-gewichteter 3D-Datensatz (MPRAGE – magnetization-prepared rapid-acquired gradient echoes) zur Darstellung der individuellen Anatomie. Für die folgende fMRT mit Hilfe des BOLD-(Blood Oxygenation Level Dependent)-Kontrastes wurden Echoplanar Imaging (EPI)-Sequenzen verwendet. Die Schichten wurden so platziert, dass der auditorische Kortex des Temporallappens und inferiore Anteile des Frontallappens erfasst wurden. Insgesamt dauerte eine Testreihe knapp 30 Minuten. Beim experimentellen Design wurden die drei Hörtests mit Hilfe des Programms Presentation den Anforderungen der fMRT angepasst. Sie wurden im Blockdesign präsentiert, das heißt Ruheblöcke, in denen kein Stimulus präsentiert wurde, wechselten sich ab mit aktiven Blöcken, in denen Stimuli präsentiert wurden, worauf die Probanden dann reagierten (HLDT: Tasterdruck, HMS und dichotischer Test: leises Nachsprechen). Begonnen wurde immer mit dem HLDT, dann folgte der Test zur HMS, beendet wurde die fMRT-Messung mit dem dichotischen Test. Die Ruheblöcke waren jeweils so lang wie die aktiven Blöcke. Für jeden Test ergaben sich so mit den zwei vorher durchgeführten Leermessungen 62 EPI-Aufnahmen. Zur Datenanalyse wurden die MRT-Daten mit Hilfe der Programme Osiris und MRIcro [4] in das Analyse-Format konvertiert, das vom Programm Statistical Parametric Mapping (SPM) gelesen werden kann. Die statistische Vorverarbeitung (Realignment, Normalisation, Smoothing) und Analyse wurde mit Hilfe des Programms SPM2 (Version von 2002) durchgeführt. Nach der statistischen Auswertung der Aufnahmen der einzelnen Probanden (first level analysis) erfolgten die Gruppenanalysen (second level analysis), wobei einzelne Probanden bei manchen Tests nicht mit einbezogen wurden, wenn sich kein auswertbares Muster ergeben hatte. Es ergaben sich so sechs Gruppen: HLDT-Erwachsene/Kinder, HMS-Erwachsene/Kinder, dichotischer Test-Erwachsene/Kinder (je nach Aktivierungsstärke wurden unterschiedliche statistische Level gewählt; Korrektur der Falsch-Positiven mit Hilfe der False Discovery Rate (FDR) oder keine Korrektur).

Mit Hilfe der anatomischen Karte Automatic Anatomical Labeling (AAL) [5] und des Programms MRIcro [4] erfolgte die anatomische Zuordnung der Cluster, wobei ein Cluster eine Mindestgröße von 30 Voxel umfasste. Die SPM Anatomy Toolbox von Eickhoff et al. [6] wurde zur genaueren Lokalisation von Clustern hinzugezogen.

Ergebnisse

HLDT-Erwachsene (auswertbar bei 11/11 Erwachsenen): Es ergaben sich insgesamt fünf Cluster (Abbildung 1 [Abb. 1]). Linke Hemisphäre: Aktiviert waren der obere Temporalgyrus (STG) mit dem primären auditorischen Kortex, der G. frontalis inferior (IFG) mit dem Brodmann-Areal (BA) 44 und Ausläufern bis in die Insula sowie der Vermis cerebelli. Rechte Hemisphäre: Die zwei Cluster zeigten Aktivierungen des STG und mittleren Temporalgyrus (MTG). Der größere von ihnen lag weiter dorsal.

HMS-Erwachsene (auswertbar bei 10/11 Erwachsenen): Es zeigten sich insgesamt vier Cluster. Linke Hemisphäre: Der größere Cluster lag im STG mit Ausläufern in den MTG, den Temporalpol, die Insula und den IFG. Der kleinere Cluster lag in der Capsula interna. Rechte Hemisphäre: Der größere erstreckte sich über den STG, MTG und die Insula. Der kleinere Cluster befand sich im Thalamus.

Dichotischer Test-Erwachsene (auswertbar bei 11/11 Erwachsenen): Es zeigten sich vier Cluster. Linke Hemisphäre: Der größte Cluster befand sich im STG mit Ausläufern in den Temporalpol und die Insula, die beiden kleineren Cluster lagen in der linken Kleinhirnhemisphäre sowie im IFG. Rechte Hemisphäre: Hier lag der Cluster im MTG und STG.

HLDT-Kinder (auswertbar bei 10/11 Kindern): Es zeigten sich sieben Cluster (Abbildung 1 [Abb. 1]). Linke Hemisphäre: Der größte Cluster lag im MTG und schloss den primären auditorischen Kortex ein. Der zweite Cluster lag im IFG und der linken Insula und aktivierte Teile von BA 44 und 45. Der dritte Cluster befand sich im STG. Rechte Hemisphäre: Hier lagen vier Cluster. Zwei der Cluster befanden sich im STG, die zwei anderen lagen in der weißen Substanz. Der Cluster mit dem lokalen Maximum in der Capsula interna erstreckte sich bis auf die Insula.

HMS-Kinder (auswertbar bei 9/11 Kindern): Es ergaben sich 14 Cluster. Linke Hemisphäre: Im Temporallappen fanden sich zwei Cluster, und zwar im STG und MTG. Im Frontallappen lagen drei Cluster, die jeweils Teile des IFG aktivierten, was auch die Brodmann-Areale 44 und 45 einschloss. Ein Cluster lag im Tegmentum mesencephali, ein weiterer im linken Pallidum. Daneben war durch einen weiteren Cluster der Hippocampus aktiviert. Rechte Hemisphäre: Ein großer Cluster (1440 Voxel) lag im STG und MTG, ein weiterer im Temporalpol. Auch rechts waren durch jeweils einen Cluster das Tegmentum mesencephali, das Pallidum und der Hippocampus aktiviert. Daneben lag ein Cluster in der rechten Kleinhirnhemisphäre.

Dichotischer Test-Kinder (auswertbar bei 6/11 Kindern): Es zeigten sich zwei Cluster, einer im linken und einer im rechten STG.

Diskussion/Schlussfolgerung

Beim HLDT zeigten sich für phonematische Unterscheidungen typische Aktivierungen im dorsalen STG, im Broca-Areal und im linken MTG. Der HMS-Test führte zu beidseitigen Aktivierungen des STG, was typisch ist für Pseudowortverarbeitung, allerdings nicht zu der eigentlich erwarteten Aktivierung des linken G. supramarginalis, in dem der phonologische Speicher vermutet wird [7], [8], [9], sondern des Hippocampus. Beim dichotischen Test fanden sich Aktivierungen des STG beidseits und des IFG links. Die Paradigmen zeigten größtenteils typische Aktivierungsmuster für die jeweiligen untersuchten zentralen Hörleistungen. Die Ergebnisse können somit als Referenz für zukünftige Untersuchungen an Kindern mit AVWS dienen.


Literatur

1.
Nickisch A, Gross M, Schönweiler R, Uttenweiler V, am Zehnhoff-Dinnesen A, Berger R, Radü HJ, Ptok M. Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen: Konsensus-Statement der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. HNO. 2007;55:61-72.
2.
Ptok M, am Zehnhoff-Dinnesen A, Nikisch A. Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen – Definition: Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. HNO. 2010;58(6):617-20. DOI 10.1007/s00106-010-2116-8
3.
American Speech-Language-Hearing Association. (Central) Auditory Processing Disorders; 2005. Available from: http://www.asha.org/members/deskref-journals/deskref/default External link
4.
Rorden C, Brett M. Stereotaxic display of brain lesions. Behav Neurol. 2000;12:191-200.
5.
Tzourio-Mazoyer N, Landeau B, Papathanassiou D, Crivello F, Etard O, Delcroix N, Mazoyer B, Joliot M. Automated anatomical labeling of activations in SPM using a macroscopic anatomical parcellation of the MNI MRI single-subject brain. Neuroimage. 2002;15 (1):273-89. DOI: 10.1006/nimg.2001.0978 External link
6.
Eickhoff SB, Stephan KE, Mohlberg H, Grefkes C, Fink GR, Amunts K, Zilles K. A new SPM toolbox for combining probabilistic cytoarchitectonic maps and functional imaging data. Neuroimage. 2005;25(4):1325-35. DOI: 10.1016/j.neuroimage.2004.12.034 External link
7.
Baddeley AD. The episodic buffer: A new component of working memory? Trends in Cognitive Sciences. 2000;4:417-23. DOI: 10.1016/S1364-6613(00)01538-2 External link
8.
Paulesu E, Frith CD, Frackowiak RS. The neural correlates of the verbal component of working memory. Nature. 1993;362:342-5. DOI: 10.1038/362342a0 External link
9.
Hartley AA, Speer NK. Locating and fractionating working memory using functional neuroimaging: Storage, maintenance, and executive functions. Microsc Res Tech. 2000;51(1):45-53. DOI: 10.1002/1097-0029(20001001)51:1<45::AID-JEMT5>3.0.CO;2-O External link