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27. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

17.09. - 19.09.2010, Aachen

Stimmumfangsmaß (SUM) als Parameter der Therapieverlaufskontrolle

Vortrag

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  • corresponding author presenting/speaker Andreas Möller - Ernst Moritz Arndt Universität Greifswald, Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen-, Ohrenkrankheiten, Kopf- und Halschirurgie, Greifswald, Deutschland
  • author Tadeus Nawka - Charité – Universitätsmedizin Berlin, Klinik für Audiologie und Phoniatrie, Berlin, Deutschland
  • author Ute Gonnermann - Ernst Moritz Arndt Universität Greifswald, Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen-, Ohrenkrankheiten, Kopf- und Halschirurgie, Greifswald, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 27. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Aachen, 17.-19.09.2010. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2010. Doc10dgppV27

doi: 10.3205/10dgpp36, urn:nbn:de:0183-10dgpp366

Published: August 31, 2010

© 2010 Möller et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Apparative Messverfahren stützen und erweitern die Möglichkeiten der Stimmdiagnostik, indem sie den Stimmzustand quantifizieren. Für eine umfassende Therapiedokumentation ist es darüber hinaus erforderlich, dass Änderungen in der Stimmqualität ausreichend gut detektiert werden. Ziel war es, die Änderungen des SUM und des Dysphonie-Schweregrad-Index (DSI) im Therapieverlauf zu untersuchen und an der auditiven Heiserkeitsbestimmung zu messen.

Material und Methoden: Es wurden bei 152 Patienten beider Geschlechter (Altersspanne: 16–75 Jahre) vor und nach einer Therapie die Befunde DSI, SUM, RBH (Gruppenurteile) sowie VHI-12 erhoben, jeweils verglichen und untereinander in Beziehung gesetzt.

Ergebnisse: Alle erfassten Parameter haben sich durch die Therapie verbessert. So sank der Heiserkeitsgrad um durchschnittlich 0,51, der VHI-12 um 4,73, während der DSI um 1,48 und das SUM um 18,75 stiegen. Änderungen der Stimme wurden jedoch unterschiedlich gut detektiert. So korrelieren die Veränderungen zwischen RBH und DSI mit r=–0,26 sowie mit r=–0,4 zwischen RBH und SUM jeweils hoch signifikant.

Diskussion: Es konnte gezeigt werden, dass sowohl DSI als auch SUM eine Veränderung durch die Therapie belegen können. Allerdings konnten die Änderungen des Heiserkeitsgrades als Goldstandard mit dem SUM besser nachvollzogen werden. Der allgemein eher schwache Zusammenhang zum Heiserkeitsgrad weist auf einen zusätzlichen Informationsgehalt der apparativen Parameter hin.


Text

Einleitung und Hintergrund

Eine umfassende Beurteilung der Stimmfunktion besteht nach dem Basisprotokoll der European Laryngological Society auch aus apparativen Messverfahren [1]. Diese können die Diagnostik stützen und sinnvoll erweitern, indem sie den momentanen Stimmzustand des Patienten objektiv quantifizieren. Im Sinne einer Therapiedokumentation müssen die verwendeten Messwerte gegenüber kleinsten Veränderungen der Stimmqualität empfindlich sein und diese detektieren. Um die Eignung der Parameter Dysphonie-Schweregrad-Index (DSI) und Stimmumfangsmaß (SUM) für die Beurteilung einer stimmlichen Entwicklung zu untersuchen, wurden die Veränderungen der genannten Messwerte während einer Therapie beobachtet und mit denen der auditiven Einschätzung laut RBH-System sowie dem Ergebnis des VHI-12 als subjektives Kriterium verglichen.

Material

Für die Studie wurden 152 Patienten – 102 weiblich (17–70 Jahre, Median 48) und 50 männlich (16–75 Jahre, Median 42) – vor und nach einer Therapie untersucht. Es entstanden demnach 304 Datensätze. Die erhobenen stimmdiagnostischen Befunde umfassten die auditive Beurteilung nach dem RBH-System anhand einer Tonaufnahme des Standardtextes „Der Nordwind und die Sonne“, die subjektive Selbsteinschätzung durch den VHI-12 sowie eine Stimmfeldaufnahme in Verbindung mit der Messung des DSI. Außerdem wurde das SUM erhoben

Die Patienten wiesen verschiedene Störungsbilder auf. Es erfolgten sowohl Therapien in Form phonochirurgischer Eingriffe als auch im Rahmen von Stimmübungsbehandlungen.

Methode

Sämtliche Aufnahmen des Standardtextes wurden von mehreren Untersuchern unabhängig nach dem RBH-System klassifiziert. Der so ermittelte Heiserkeitsgrad soll als Goldstandard den Therapieerfolg indizieren. Die apparative Untersuchung erfolgte mit dem Programm LingWaves, das SUM wurde nachträglich durch das Programm AVA erhoben.

Es wurde geprüft, ob sich durch die Therapie ein signifikanter Unterschied der erhobenen Parameter ergeben hat. Darüber hinaus wurden die Messwerte vor und nach der Therapie untereinander, sowie auch die jeweiligen Veränderungen miteinander korreliert. Statistisch kamen die Korrelationen nach Pearson und Spearman, sowie der t-Test für verbundene Stichproben zur Anwendung.

Ergebnisse

Alle Parameter haben sich im Mittel therapiebedingt verbessert. Der DSI verbesserte sich hoch signifikant von 2,22 um 1,48 auf 3,7, bleibt damit aber im Schweregrad „geringgradig gestört“. Der Heiserkeitsgrad verringerte sich hoch signifikant um 0,51 von 1,18 auf 0,67 und verringert sich somit von „geringgradig“ auf „nicht gestört“. Der VHI-12 verringerte sich im Mittel um 4,73 von 15 auf 10,27, ebenfalls hoch signifikant. Dies bedeutet eine Verbesserung von „mittelgradig gestört“ auf „geringgradig“. Das SUM verbesserte sich um 18,75 von 60,1 auf 78,85. Auch diese Verbesserung lag hoch signifikant vor. Für das SUM liegen allerdings derzeit keine den Heiserkeitsgraden entsprechenden Bereiche vor.

Untereinander korrelierten die einzelnen Parameter eher schwach bis mittel, wobei sich die Stärke des Zusammenhangs durch die Therapie nur unwesentlich änderte.

Eine Ausnahme bildet hier der DSI. Korrelierten die Werte vor der Therapie mit dem Heiserkeitsgrad bei r=–0,44 und dem SUM bei r=0,55, so nahm der gemessene Zusammenhang nach der Therapie deutlich ab. Für den Heiserkeitsgrad ergab sich dann ein Koeffizient von r=–0,3 sowie r=–0,32 für das SUM. Lediglich der Zusammenhang zwischen DSI und VHI-12 veränderte sich nur unwesentlich und lag bei etwa r=0,22.

Das SUM korrelierte unabhängig vom Therapiestatus mit dem VHI-12 bei r=0,35 und dem Heiserkeitsgrad bei r=0,68. Heiserkeitsgrad laut RBH-System und VHI-12 korrelierten bei r=0,41. All diese Korrelationen konnten hoch signifikant ermittelt werden.

Die Korrelation therapiebedingter Veränderungen der einzelnen Messwerte miteinander ergab eher kleine Koeffizienten. Der Zusammenhang zwischen den Änderungen von DSI und Heiserkeitsgrad lag bei r=–0,26. Zur VHI-12-Veränderung zeigte die DSI-Änderung keinen signifikanten Zusammenhang. Änderungen des Heiserkeitsgrades wurden vom SUM mit r=–0,4 nachvollzogen; die Entwicklung des VHI-12 mit r=–0,21. Änderungen des Heiserkeitsgrades korrelierten mit denen des VHI-12 bei r=0,29.

Der Zusammenhang der Entwicklung von DSI und SUM fiel mit r=0,55 vergleichsweise hoch aus. Die für die Messwertänderungen genannten Korrelationskoeffizienten konnten ebenfalls hoch signifikant ermittelt werden.

Eine Zusammenfassung der Ergebnisse kann Abbildung 1 [Abb. 1] entnommen werden.

Diskussion

Es konnte gezeigt werden, dass alle untersuchten Parameter auf die Therapie reagierten, sich im Mittel verbesserten und somit geeignet sind, den Verlauf einer Therapie zu dokumentieren.

Der DSI stellt eine gewichtete Summe der objektiven Parameter minimale Phonationsintensität, höchste Grundfrequenz, Jitter sowie der maximalen Phonationszeit dar. In der untersuchten Patientenpopulation konnten sich die gemessenen Werte zwar im Mittel nicht um einen Schweregrad verbessern, zeigten jedoch trotzdem eine Steigerung.

Anstatt eine Kombination mehrerer objektiver Parameter heranzuziehen, orientiert sich das SUM an der Größe und Form des Stimmfeldes, wobei ein größeres, von wenigen Intensitätssprüngen gekennzeichnetes und demnach „glatt“ begrenztes Stimmfeld höhere Werte erzielt [2]. Die so quantifizierte Stimmleistung zeigte im Therapieverlauf einen sehr deutlichen Zuwachs.

Die auditive Perzeption des Untersuchers stellte für diese Untersuchung den Hauptindikator für den Erfolg einer Therapie dar. In diesem Zusammenhang gilt das RBH-System als reliabel, insbesondere, wenn es sich bei der Einschätzung um Gruppenurteile handelt [3]. Abbildung 2 [Abb. 2] stellt den Zusammenhang des Heiserkeitsgrades mit dem SUM und dem DSI dar.

Korrelationen zwischen den Veränderungen einzelner Parameter können zeigen, wie gut die Verbesserung eines Messwertes von einem anderen Messverfahren nachvollzogen werden kann.

Die allgemein eher schwachen Korrelationen in dieser Betrachtung erklären sich durch die unterschiedlichen Ansätze der einzelnen Parameter und sind gleichfalls Ausdruck des zusätzlichen Informationsgehaltes der jeweiligen Messmethode. Eine relativ hohe Korrelation zwischen Parametern weist jedoch auch auf einen insgesamt umfassenderen Therapieerfolg hin bzw. auf die erhöhte Möglichkeit, diesen anhand mehrerer Parameter zu dokumentieren.

Der DSI korrelierte nur schwach negativ mit dem Heiserkeitsgrad. Zum VHI-12 konnte kein signifikanter Zusammenhang ermittelt werden. Insgesamt lässt dies darauf schließen, dass der DSI zwar geeignet scheint einen Therapieerfolg zu indizieren, der Zuwachs des DSI jedoch nur wenig mit der relativen Verbesserung des Heiserkeitsgrades oder der Patientenwahrnehmung des Stimmproblems zu tun hat. Dies zeigt sich auch an der abnehmenden Korrelation der Werte von DSI und Heiserkeit nach einer Therapie.

Die Entwicklungen des VHI-12 weisen mit denen des SUM hingegen zumindest einen schwachen Zusammenhang auf. Außerdem zeigen Veränderungen des SUM mit denen des Heiserkeitsgrades einen mittelstarken negativen Zusammenhang. Dies zeigt, dass das SUM mit abnehmender Heiserkeit wächst. Das Stimmumfangsmaß stellt demnach neben der Quantifizierung der stimmlichen Leistung auch eine Möglichkeit dar, den auditiven Befund direkt zu stützen und so eine sicherere Diagnostik und Dokumentation zu erlauben. Es eignet sich somit sehr gut zur Verlaufskontrolle einer Therapie.


Literatur

1.
Schneider B, Bigenzahn W. Stimmdiagnostik – ein Leitfaden für die Praxis. Wien: Springer-Verlag; 2007. S. 57-58.
2.
Möller A, Nawka T. Stimmumfangsmaß (SUM) als neuer Parameter der apparativen Stimmdiagnostik beim Vergleich von Stimmfeldaufnahmen zweier Registrierungsprogramme. Aktuelle phoniatrisch-pädaudiologische Aspekte. 2009;17:120-123.
3.
Nawka T, Wirth G. Stimmstörungen. Deutscher Ärzte-Verlag; 2008. S. 159.