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27. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

17.09. - 19.09.2010, Aachen

Räumliches Auflösungsvermögen bei Kindern mit AVWS

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Alexandra Ludwig - Sektion für Phoniatrie und Audiologie, Universitätsklinikum Leipzig, Deutschland
  • author Michaela Zeug - Sektion für Phoniatrie und Audiologie, Universitätsklinikum Leipzig, Deutschland
  • author Sonja Kühnle - Sektion für Phoniatrie und Audiologie, Universitätsklinikum Leipzig, Deutschland
  • author Sylvia Meuret - Sektion für Phoniatrie und Audiologie, Universitätsklinikum Leipzig, Deutschland
  • author Michael Fuchs - Sektion für Phoniatrie und Audiologie, Universitätsklinikum Leipzig, Deutschland
  • author Rudolf Rübsamen - Fakultät für Biowissenschaften, Pharmazie und Psychologie, Universität Leipzig, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 27. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Aachen, 17.-19.09.2010. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2010. Doc10dgppV16

doi: 10.3205/10dgpp24, urn:nbn:de:0183-10dgpp244

Published: August 31, 2010

© 2010 Ludwig et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Die räumliche Differenzierung von Schallquellen ist eine grundlegende Leistung des zentral-auditiven Systems. Eine Einschränkung dieser Fähigkeit kann unter anderem Sprachverständnisprobleme in Störgeräuschsituationen hervorrufen, wie sie bei Patienten mit Auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen (AVWS) häufig beschrieben werden. Ziel der Studie war es daher, das räumliche Auflösungsvermögen bei Kindern mit AVWS näher zu charakterisieren.

Material und Methoden: An der Studie nahmen 24 Kinder im Alter von sechs bis zwölf Jahren mit diagnostizierter AVWS teil. Ihnen wurden in einem echogedämmten Raum tief- (0,250–1,2 kHz) und hochfrequente (2–8 kHz) Breitband-Rauschsignale präsentiert. Von zwei Referenzsignalen musste ein deviantes Signal unterschieden werden, welches eine andere räumliche Position aufwies. Bestimmt wurden minimal wahrnehmbare Winkelunterschiede (minimal audible angle, MAA) für sieben verschiedene Referenzrichtungen (–90°, –60°, –30°, 0°, +30°, +60° +90°). Die Daten der AVWS-Kinder wurden mit altersentsprechenden Daten von gesunden Kindern verglichen.

Ergebnisse: Aufgrund signifikanter Unterschiede (p≤0,008) wurden die AVWS-Kinder in zwei Altersgruppen (6/7 und 8–12 Jahre) eingeteilt. Ein Vergleich des Auflösungsvermögens zwischen frontalen (0° und 30°) und lateralen (60° und 90°) Raumrichtungen ergab nur für die Gruppe 8–12-Jährige signifikant bessere Werte (p≤0,02) für frontale Positionen. Unterschiede in den MAA zwischen hoch- und tieffrequenten Rauschbändern zeigten für tieffrequente Signale kleinere MAA in beiden Altersgruppen, jedoch nur für laterale Raumrichtungen (6/7: p=0,023; 8–12: p=0,014). AVWS-Kinder konnten im Vergleich zu gesunden Kindern frontale Raumrichtungen weniger exakt unterscheiden (p<0,001); MAA-Vergleiche für laterale Signale ergaben hingegen keinerlei Unterschiede zwischen AVWS- und gesunden Kindern.

Diskussion: Das räumliche Auflösungsvermögen zeigt bei AVWS-Kindern eine signifikante Verbesserung mit zunehmendem Alter. Während gesunde 6/7-Jährige bessere Werte für frontale als für laterale Positionen erreichen, ist bei AVWS-Kindern in dem Alter das Auflösungsvermögen in frontalen Bereichen ähnlich ungenau wie in lateralen. Acht- bis zwölfjährige AVWS-Kinder dagegen haben frontal, obwohl nicht normgerecht, ein besseres Auflösungsvermögen als lateral. Die bei gesunden Kindern auftretenden kleineren MAA für tief- gegenüber hochfrequenten Signalen unabhängig von der Raumrichtung treten bei AVWS-Kindern nur bei lateraler Signalpräsentation auf.

Die Ergebnisse deuten an, dass die bei AVWS-Kindern beobachteten Defizite zum Teil durch ein vermindertes räumliches Auflösungsvermögen tieffrequenter Signale im frontalen Positionen begründet sind.


Text

Einleitung

Die räumliche Differenzierung von Schallquellen ist eine grundlegende Leistung des zentral-auditiven Systems. Sie befähigt uns zur Orientierung in und Anpassung an eine sich ständig verändernde akustische Umwelt. Eine Einschränkung dieser Fähigkeit verursacht nicht nur Probleme bei der räumlichen Orientierung, sondern kann unter anderem auch Sprachverständnisprobleme in Störgeräuschsituationen hervorrufen, da die verschiedenen Sprecher (resp. ein Sprecher und eine/mehrere Störquelle/n) nicht ausreichend differenziert werden können. Diese besonderen Sprachverständnisprobleme werden häufig bei Patienten mit Auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen (AVWS) beschrieben. Ziel der Studie war es daher, das räumliche Auflösungsvermögen bei Kindern mit AVWS näher zu charakterisieren und mit dem gesunder Kinder in demselben Alter zu vergleichen.

Methode

An der Studie nahmen 24 Kinder im Alter von sechs bis zwölf Jahren mit diagnostizierter AVWS teil. Die Untersuchung fand in einem echogedämmten Raum statt, in dem auf einer halbkreisförmigen Vorrichtung (Radius 2,3 m) in Ohrhöhe eines sitzenden Probanden 47 einzeln ansteuerbare Lautsprecher zwischen –94° (links-lateral) und +94° (rechts-lateral) für den Probanden nicht einsehbar montiert waren. Der Abstand zwischen benachbarten Lautsprechern betrug 4,3°. Den Kindern wurden tief- (0,25–1,2 kHz; low frequency, LF) und hochfrequente (2–8 kHz; high frequency, HF) Breitband-Rauschsignale präsentiert. Zuerst wurde die minimal wahrnehmbare Lautstärke für diese Signale bei jedem einzelnen Kind bestimmt, die anschließende Testung erfolgte dann bei +35 dB über dieser Schwelle.

Drei Signale (Signallänge: 250 ms, Interstimulusinterval: 650 ms) wurden nacheinander dargeboten. Von zwei Referenzsignalen musste ein deviantes Signal unterschieden werden, welches eine andere räumliche Position aufwies. Die Position des devianten Signals im Triplett wurde in jedem Trial variiert und die Kinder mussten über eine Antwortbox mit drei Knöpfen angeben, welches Signal aus einer anderen Richtung kam. Bestimmt wurden minimal wahrnehmbare Winkelunterschiede (minimal audible angle, MAA) für sieben verschiedene Referenzrichtungen (0°, ±30°, ±60°, ±90°, jeweils linkes und rechtes Hemifeld). Die Daten der AVWS-Kinder wurden mit altersentsprechenden Daten von gesunden Kindern [1] verglichen.

Ergebnisse

Aufgrund signifikanter Unterschiede in den Befunden (Mann-Whitney-U Test; p≤0,008) wurden die AVWS-Kinder in zwei Altersgruppen (6/7 und 8–12 Jahre) eingeteilt. Bei den 6/7-Jährigen lagen die MAA für tieffrequente Signale im Median zwischen 16,1° und 18,2° und für hochfrequente Signale zwischen 13,7° und 21,7°. Die MAA der 8–12-Jährigen bewegen sich für LF-Signale zwischen 5,6° und 12,3° und für HF-Signale zwischen 7,7° und 16,8° (Abbildung 1 [Abb. 1]).

Ein Vergleich des Auflösungsvermögens zwischen frontalen (0° und 30°) und lateralen (60° und 90°) Raumrichtungen ergab nur für die Gruppe 8–12-Jährige signifikant bessere Werte (Wilcoxon signed rank test; LF: p=0,02; HF: p=0,005) für frontale Positionen. Dies ist in Übereinstimmung mit den Ergebnissen gesunder Kinder. Eine Überprüfung des Einflusses der Testfrequenz auf die MAA zeigten für tieffrequente Signale kleinere MAA in beiden Altersgruppen, jedoch nur für laterale Raumrichtungen (Wilcoxon signed rank test; 6/7: p=0,023; 8–12: p=0,014). Bei gesunden Kindern hingegen, werden tieffrequente Signale in allen Positionen besser differenziert als hochfrequente. AVWS-Kinder konnten im Vergleich zu gesunden Kindern frontale Raumrichtungen weniger exakt unterscheiden (Mann-Whitney-U Test; 6/7- und 8–12-Jährige [LF]: p<0,001; 8–12-Jährige [HF]: p<0,001); MAA-Vergleiche für laterale Signale ergaben hingegen keinerlei Unterschiede zwischen AVWS- und gesunden Kindern.

Diskussion

Das räumliche Auflösungsvermögen zeigt, wie bei normalen Kindern, auch bei AVWS-Kindern eine signifikante Verbesserung mit zunehmendem Alter. Während gesunde 6/7-Jährige bessere Werte für frontale als für laterale Positionen erreichen, ist bei AVWS-Kindern in dem Alter das Auflösungsvermögen in frontalen Bereichen ähnlich ungenau wie in lateralen. Acht- bis zwölfjährige AVWS-Kinder dagegen haben frontal, obwohl nicht normgerecht, ein besseres Auflösungsvermögen als lateral. Die bei gesunden Kindern auftretenden kleineren MAA für tief- gegenüber hochfrequenten Signalen treten bei AVWS-Kindern nur bei lateraler Signalpräsentation auf.

Die Ergebnisse deuten an, dass bei AVWS-Kindern ein signifikant vermindertes räumliches Auflösungsvermögen tieffrequenter Signale in frontalen Positionen zu den beobachteten Defiziten beitragen kann.


Literatur

1.
Fuchs M, Kühnle S, Meuret S, Schubert C, Rübsamen R. Entwicklung des auditiven räumlichen Auflösungsvermögens bei gesunden Kindern - Untersuchungen zum kleinsten wahrnehmbaren Winkelunterschied. 25. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Düsseldorf, 12.-14.09.2008. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2008. Doc08dgppV30. Available from: http://www.egms.de/static/en/meetings/dgpp2008/08dgpp37.shtml External link