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25. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

12.09. - 14.09.2008, Düsseldorf

Morphometrische Analyse des N. facialis der Ratte nach fraktionierter, externer Radiatio

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Sylva Bartel-Friedrich - Abteilung Phoniatrie und Pädaudiologie, Univ.-HNO-Klinik , MLU Halle-Wittenberg, Halle/S., Deutschland
  • Carsten Hagel - Institut für Neuropathologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg, Deutschland
  • Reinhard E. Friedrich - Univ.-Klinik für MKG-Chirurgie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 25. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Düsseldorf, 12.-14.09.2008. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2008. Doc08dgppV42

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Published: August 27, 2008

© 2008 Bartel-Friedrich et al.
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Zusammenfassung

Zielsetzung/Methoden: Trotz makroskopisch intakter Nervenmorphologie können im Follow-up von Kopf-Hals-bestrahlten Patienten neurologische Defizite mit Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen auftreten. Zur histologischen Charakterisierung von radiogenen Normalgewebsreaktionen untersuchten wir den N. VII. bei 54 Wistar-Ratten nach halbseitiger Kopf-Hals-Radiatio (RT; Einzeldosis: 2 Gy/Tag, Gesamtdosis 60 Gy) in Abhängigkeit von der Latenz der RT (weniger als 4 Monate bis zu ¾ Jahr) morphometrisch. Der N. VII. der strahlengeschützten Seite bestrahlter Tiere diente als interne Kontrolle.

Ergebnisse: Im N. VII. fanden sich lokalisationsdifferente, zeitabhängige histomorphologische Veränderungen. Innerhalb von 3-4 Monaten nach RT vergrößerte sich die Axonfläche relativ im Verhältnis zur Gesamtfläche der Faser. Nach 9 Monaten waren sowohl die Myelinscheiden als auch die Axone im Durchmesser verringert. Der Substanzdefekt betraf jedoch die Myelinscheiden stärker als die Axone. Teilweise korrespondierende Alterationen strahlengeschützter Nerven zeigten einen Streustrahlungseffekt an.

Schlussfolgerung: Anhand der morphometrischen Analyse waren radiogene Früh- und Spätreaktionen im Bereich des N. VII. nachweisbar. Die einzelnen Parameter unterschieden sich in Abhängigkeit vom Untersuchungszeitpunkt und belegen die langfristige RT-Wirkung im Nervengewebe. Diese experimentellen Daten können im Follow-up von Kopf-Hals-bestrahlten Patienten mit neurologischen Defiziten Bedeutung haben.


Text

Einleitung

Trotz makroskopisch intakter peripherer Nervenmorphologie können im Follow-up von Kopf-Hals-bestrahlten Patienten nach einer Latenz von Monaten bis Jahren neurologische Defizite mit Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen auftreten. Diese peripheren Nervenläsionen sind radiogenen Spätreaktionen (mehr als 6 Monate nach Radiatio: nach [11], abweichend von der RTOG-Einteilung) zuzuordnen. Sie gelten in der Regel als irreversibel, sind abhängig von der Gesamtdosis und insbesondere von der Fraktionsdosis [1] und wurden vor allem für Nervengeflechte (Plexus brachialis, Plexus lumbosacralis) im Sinne einer Plexopathie beschrieben [1], [3], [4], [5], [6], [8], [9]. Andererseits müssen posttherapeutisch auftretende Nervenläsionen von einem Tumorrezidiv abgegrenzt werden [5], wohingegen sich primär mit dem Tumor präsentierende Nervenläsionen nach der Strahlentherapie zurück bilden können [7]. Histologisch sind die radiogenen Spätreaktionen durch progressive Gefäßalterationen mit nachfolgender Ischämie, lokale Demyelinisierungen, Axondegenerationen und eine fortschreitende Fibrosierung von Endo-, Peri- und Epineurium gekennzeichnet [1], [9], [10]. Da experimentelle Daten zur peripheren Neuropathie, insbes. im Kopf-Hals-Bereich begrenzt sind [2], [10] war es das Ziel, zur Charakterisierung von radiogenen Reaktionsmustern in Normalgeweben (nicht tumorbefallenen Geweben) beizutragen.

Methoden

Wir untersuchten den N. facialis bei 54 weiblichen Wistar-Ratten nach humantherapeutisch relevanter, halbseitiger fraktionierter externer Kopf-Hals-Radiatio (Einzeldosis: 2 Gy/Tag, Gesamtdosis 60 Gy) histologisch in Abhängigkeit von der Latenz der Radiatio (weniger als 4 Monate bis zu ¾ Jahr). Nach dem entsprechenden Follow-up wurden nach supravitaler Anästhesie und Perfusionsfixierung die Mm. masseter mit dem angrenzenden Segment des N. facialis reseziert und in Glutaraldehyd immersionsfixiert. Die mit Toluidin-Blau gefärbten Semi-Dünn-Schnitte evaluierten wir mit einem integrierten, computergestützten Bildsystem morphometrisch (Abbildung 1 [Abb. 1]). Neben externen Kontrollpräparaten diente der N. facialis der strahlengeschützten Seite bestrahlter Tiere als interne Kontrolle zur Erfassung von möglichen Streustrahlungseffekten. Die statistische Datenanalyse erfolgte mittels SPSS.

Ergebnisse

Im N. facialis fanden sich lokalisationsdifferente, zeitabhängige morphologische Veränderungen. Innerhalb von 3-4 Monaten nach Radiatio vergrößerte sich die Axonfläche relativ im Verhältnis zur Gesamtfläche der Nervenfaser. Nach 9 Monaten waren sowohl Axon- und Gesamtfläche der Nervenfasern, Axon- und Gesamtdurchmesser der Nervenfasern als auch die Myelinscheiden verschmälert. Der Substanzdefekt betraf jedoch die Myelinscheiden stärker als die Axone. Daneben fanden sich vermehrt zwiebelschalenartige Gruppierungen mehrerer Schwannzellen um ein „Zentrum“ („onion rings“) mit differentem Myelinisierungsaspekt, die im Sinne frustraner Remyelinisierungsversuche interpretiert werden können (Abbildung 2 [Abb. 2]). Teilweise korrespondierende Alterationen strahlengeschützter Nerven zeigten einen Streustrahlungseffekt an.

Diskussion/Schlussfolgerung

Anhand der morphometrischen Analyse waren radiogene Subakut- und Spätreaktionen im Bereich des 7. Hirnnerven nachweisbar. Die Messwerte der einzelnen Parameter unterschieden sich in Abhängigkeit vom Untersuchungszeitpunkt und der Lokalisation und belegen die langfristige Strahlenwirkung im Nervengewebe. Diese experimentellen Daten mit Axonuntergängen und Demyelinisierungen unterstützen bisherige pathohistologische Befunde bei der Neuro- bzw. Plexopathie [3], [5], [9] und können zur Erklärung von neurologischen Defiziten im Follow-up von Kopf-Hals-bestrahlten Patienten beitragen.

Danksagung

Diese Studie wurde teilweise unterstützt durch die Hamburger Stiftung zur Förderung der Krebsbekämpfung (Projekt Nr. 149) und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (Projekt: FR 1035/1-2).


Literatur

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