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25. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

12.09. - 14.09.2008, Düsseldorf

Zweites Hörscreening im Alter von 12 Monaten – die Verwendung von littlEARS als Screeningsfragebogen

Vortrag

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Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 25. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Düsseldorf, 12.-14.09.2008. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2008. Doc08dgppV22

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/meetings/dgpp2008/08dgpp26.shtml

Published: August 27, 2008

© 2008 Coninx et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund und Fragestellung: Neonatales Hörscreening (NHS) wird auch in Deutschland bald als Standard eingeführt sein. Mit NHS werden allerdings nicht die postnatal erworbenen und progredienten Hörstörungen erfasst. Die Häufigkeit dieser „late onset“ Hörstörungen [1], [2] könnte aus diesem Grund um bis zu 15-20% zunehmen. In besonderen Gruppen, wie ZMV, könnten es sogar 50% sein [3].

Der Elternfragebogen „littlEARS“ [4] dokumentiert die Hörentwicklung in den ersten 24 Lebensmonaten und hat sehr stabile altersabhängige Normdaten gezeigt. Deswegen wurde ein Pilotprojekt durchgeführt, um die Anwendbarkeit von littlEARS für ein Hörscreening im Alter von 12 Monaten zu untersuchen.

Probanden und Methode: Der Mittelwert des LittlEARS score bei 12 Monaten ist 22; die Standardabweichung ist 3. Ein Ergebnis von weniger als 16 wird als positiver Screeningsbefund gewertet.

Beim Kinderarztbesuch zur U6 füllt die Mutter den littlEARS Fragebogen im Wartezimmer aus. Bei einem positiven Ergebnis werden weitere drei Fragebögen (noch einmal littlEARS und zusätzlich Fragebögen zu Sprechen und Kommunikation) zu Hause ausgefüllt und an das Institut für Audiopädagogik zur Auswertung geschickt.

In NRW waren über 70 Kinderärzte an der Studie beteiligt. Die Daten der ersten ca. 2500 Fragebögen wurden bereits ausgewertet.

Ergebnisse: Die positiv-Rate in Stufe-1 mit littlEARS ist 2,7%. Nach dem „rescreening“ in Stufe-2 reduziert sich diese Zahl auf 1,7%. Bei drei Kindern konnten Hörstörungen bestätigt werden. Die Diagnostische Abklärung ist noch nicht abgeschlossen.

Schlussfolgerungen: Erste Erfahrungen sind positiv. Die falsch-positiv Rate liegt unter 3%. Um die falsch-negativ Rate einschätzen zu können, sind weitere Studien (u.a. in Polen und China) in Vorbereitung.


Text

Einleitung

Neonatales Hörscreening (NHS) wird nun auch in Deutschland per 01.01.2009 flächendeckend als Standard und als Pflichtleistung eingeführt sein. Damit werden die Entwicklungschancen für Kinder mit konnatalen und kongenitalen Hörstörungen so weit wie möglich gesichert und optimiert.

Mit NHS können allerdings nicht die postnatal erworbenen und progredienten Hörstörungen erfasst werden. Die Häufigkeit dieser „late onset“ Hörstörungen [1], [2] könnte aus diesem Grund um bis zu 15–20% zunehmen. In besonderen Gruppen, wie ZMV, könnten es sogar 50% sein [3].

Das Ziel der vorliegenden Studie ist es, ein „zweites Screening“ im Alter von 12 Monaten zu erproben. Da nicht zu erwarten ist, dass dieses Screening mit objektiver Technik (OAE/ABR) gemacht werden kann, wurde das in der Familie beobachtbare Hörverhalten des Kindes als Grundlage gewählt.

Material

Der Elternfragebogen „littlEARS“ [5], [4] dokumentiert die Hörentwicklung eines Kindes in den ersten 24 Lebensmonaten und hat in mehreren Teilstudien bei unterschiedlichsten Untersuchungsgruppen sehr stabile altersabhängige Normdaten gezeigt. Dies ist in Abbildung 1 [Abb. 1] gut erkennbar. Ein ausgefüllter littlEARS-Fragebogen hat als Ergebnis einen Wert von minimal 0 bis maximal 35 (die Anzahl der mit JA oder NEIN zu beantwortenden Fragen).

Die Mittelwerte per Altersgruppe sind sehr konstant und zeigen eine Standarddeviation von 3. Der Mittelwert des LittlEARS score bei 12 Monaten ist 22. Ein Ergebnis von weniger als 16 (=Normwert minus 2*Standarddeviation) wird als positiver Screeningbefund gewertet.

Für türkische Eltern konnte eine türkische littlEARS-Version verwendet werden.

Methode

Es wurde ein Pilotprojekt durchgeführt, um die Anwendbarkeit von littlEARS für ein Hörscreening im Alter von 12 Monaten zu untersuchen. Der organisatorische Screeningablauf ist in Abbildung 2 [Abb. 2] anschaulich zusammengefasst.

In Stufe-1 füllt die Mutter beim Kinderarztbesuch zur U6 den littlEARS Fragebogen im Wartezimmer aus. Der Fragebogen wird sofort von einer Arzthelferin ausgewertet.

Liegt die Summe der JA-Antworten unter 16, ist das Screeningergebnis positiv und Stufe-2 wird eingeleitet. In Stufe-2 bekommt die Mutter drei Fragebögen: noch einmal littlEARS und zusätzlich zwei ähnliche Fragebögen zu Sprechen und Kommunikation. Diese 3 Fragebögen sollten in den nächsten 2-3 Tagen zu Hause ausgefüllt werden und in einem beigelegten frankierten Rückumschlag an das Institut für Audiopädagogik (IfAP) zurückgeschickt werden.

Das IfAP meldet das Ergebnis an den Kinderarzt zurück. Ist das Ergebnis erneut auffällig, soll – nach einer Gesamtbeurteilung durch den Kinderarzt – eine Überweisung an die Phoniatrie-Pädaudiologie - mit „Verdacht auf Hörschaden“ – erfolgen.

Befunde der Phoniatrie & Pädaudiologie werden zur (anonymisierten) statistischen Auswertung dem IfAP zur Verfügung gestellt.

Ergebnisse

In NRW waren über 70 Kinderärzte an der Studie beteiligt. Die Daten der ersten 2240 Fragebögen konnten bislang ausgewertet werden.

Die positiv-Rate in Stufe-1 mit littlEARS ist 2,7% (N=61 Kinder). Nach dem „rescreening“ in Stufe-2 reduziert sich diese Zahl auf 1,3% (N=29 Kinder).

Bei insgesamt 0,22% (N=5 Kindern) konnte eine Hörstörung bestätigt werden: drei Kinder mit sensorineuralen Störungen und zwei Kinder mit einer chronischen Mittelohrproblematik. Weitere 0,18% waren entweder falsch-positiv (N=2) oder „lost-to-followup“ (N=2). Die diagnostische Abklärung bei weiteren N=20 Kindern ist noch nicht abgeschlossen.

Diskussion

Die richtig-positiv Rate liegt bei mindestens 0,22%. Abhängig von den noch nicht abgeschlossenen diagnostischen Untersuchungen, kann diese Zahl so bleiben oder bis auf maximal 1,07% ansteigen.

Die falsch-positiv Rate liegt mit 2,7% nach Stufe-1 bzw. 1,3% nach Stufe-2 (deutlich) unter international akzeptierten Maximalwerten von 3–4%.

Um die falsch-negativ Rate einschätzen zu können, sind weitere und anders angelegte Studien notwendig.

Eine qualitative Analyse zeigt, dass das Screening sowohl von Eltern als auch von Kinderärzten gut akzeptiert und geschätzt wird. Nach der Studie haben fast 20% der Kinderärzte bereits darum gebeten, weitere littlEARS Fragebögen zu bekommen, um das Screening weiterzuführen. Eltern äußern sich spontan und loben die Aufmerksamkeit für die Hörentwicklung ihres Kindes. Insgesamt kann festgestellt werden, dass die Anwendung von littlEARS zu einer Sensibilisierung auf die Hörentwicklung geführt hat.


Literatur

1.
Fortnum HM, Summerfield AQ, Marshall DH, Davis AC, Bamford JM. Prevalence of permanent childhood hearing impairment in the United Kingdom and implications for universal neonatal hearing screening: questionnaire-based ascertainment study. BMJ. 2001;323:536-40.
2.
Spormann-Lagodzinski ME, Nubel K, König O, Gross M. Ätiologie und Prävalenz permanenter kindlicher Hörstörungen in Deutschland. In: 20. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP. Rostock, 12.-14.09.2003. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2003. Doc V37. http://www.egms.de/en/meetings/dgpp2003/03dgpp085.shtml External link
3.
Fowler KB, Dahle AJ, Boppana SB, Pass RF. Newborn hearing screening: will children with hearing loss caused by congenital cytomegalovirus infection be missed? J Pediatr. 1999;135(1):60-4.
4.
Weichbold V, Tsiakpini L, Coninx F, D'Haese P. Development of a Parent Questionnaire for Assessment of Auditory Behaviour of Infants up to two Years of Age. Laryngorhinootologie. 2005;84:328-34.
5.
Coninx F. Die Hörentwicklung in den ersten zwei Lebensjahren. In: Horsch, U. (Hrsg.). Frühe Dialoge. Hamburg; 2004. S. 57-67.