gms | German Medical Science

Dreiländertagung D-A-CH
24. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

28. - 30.09.2007, Innsbruck, Österreich

Wie gut sagt der frühe expressive Wortschatz verschiedene Sprachleistungen bis zum 8. Lebensjahr voraus?

Poster

Search Medline for

  • corresponding author presenting/speaker Christiane Kiese-Himmel - Abt. Phoniatrie/Pädaudiologie, Uniklinikum Göttingen, Göttingen, Deutschland
  • author Ann-Katrin Bockmann - Abt. Pädagogische Psychologie/Entwicklungspsychologie, Universität Göttingen, Göttingen, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Sektion Phoniatrie der Österreichischen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirugie. Schweizerische Gesellschaft für Phoniatrie. Dreiländertagung D-A-CH, 24. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e.V.. Innsbruck, Österreich, 28.-30.09.2007. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2007. Doc07dgppP16

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/meetings/dgpp2007/07dgpp46.shtml

Published: August 28, 2007

© 2007 Kiese-Himmel et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution License (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.en). You are free: to Share – to copy, distribute and transmit the work, provided the original author and source are credited.


Zusammenfassung

Ziel: Ermittlung der prädiktiven Validität des frühen Wortschatzumfangs für Sprachleistungen im Vor- u. Grundschulalter.

Methode: Im Rahmen der Göttinger Entwicklungsstudie „Sprache, Arbeitsgedächtnis, Theory of Mind“ wurden an 53 monolingual deutschsprachig aufwachsenden Kindern zu 4 Messzeitpunkten (t1-t4) expressiver Wortschatzumfang, Satzverstehen/Verstehen grammatischer Strukturformen und morphologische Regelbildung erhoben. Das Alter der Kinder betrug im Mittel 1;10 Jahre (t1), 4;0 Jahre (t2), 5;0 Jahre (t3), 7;10 Jahre (t4). Es wurden einfache lineare Regressionsanalysen gerechnet mit den o.g. abhängigen, testpsychologisch erhobenen Variablen.

Ergebnisse: Die statistischen Zusammenhänge des frühen expressiven Wortschatzumfangs (t1) mit den Sprachmaßen zu t2 (mittl. Zeitabstand 26,2 Monate) beliefen sich auf r=.38 - .66; das entspricht einer Varianzaufklärung von 12 - 41 %. Die Korrelationen des frühen expressiven Lexikons (t1) mit den Sprachmaßen zu t3 (mittl. Zeitabstand: 39 Monate) beliefen sich auf r=.36 - .52 und klärten 12 - 25 % der Varianz auf. Für den durchschnittl. Zeitabstand bis 72 Monaten (t4) wurden signifikante Korrelationen von r=.28 und .30 ermittelt (Varianzaufklärung: 6 - 7 %).

Fazit: In einer deutschen Längsschnittstudie wurde bestätigt, dass der frühe expressive Wortschatzumfang spezifisch verbal-kognitive Leistungen für die Altersspanne von 22 - 94 Monaten vorherzusagen vermag. Die prozentuale Varianzaufklärung nimmt mit zunehmendem Alter ab. Sie ist vergleichbar mit internationalen Ergebnissen bis 4 Jahre; für die Vorhersagen bis 5 bzw. 8 Jahren fehlen adäquate Vergleichsstudien.


Text

Im deutschen Sprachraum gibt es keine Studien zur Vorhersagevalidität des frühen Wortschatzumfangs normalgesunder Kinder bzgl. späterer Sprachleistungen bis ins Grundschulalter. Studien im internationalen Forschungsspektrum zielen mehrheitlich auf die Vorhersagevalidität des Phänomens „Late Talker“ ab und haben den weiteren Sprachentwicklungsverlauf klinisch auffälliger Kinder zum Untersuchungsgegenstand. Ziel vorliegender Analyse war es daher, die prädiktive Validität des frühen Wortschatzumfangs für Sprachleistungen im Vor- und Grundschulalter im Längsschnitt-Untersuchungsdesign zu ermitteln (2001 bis 2007).

Methode

Der ELAN [1] ist ein valides, reliables und altersnormiertes Instrument zur Erfassung des frühen expressiven Wortschatzes (verschiedene Wortarten). An normalgesunden, monolingual deutschsprachig aufwachsenden Kindern aus dem Kollektiv zur Erprobung des ELANs (Tabelle 1 [Tab. 1]) wurden im Rahmen der Göttinger Entwicklungsstudie zu Sprache, Arbeitsgedächtnis und Theory of Mind zu vier Messzeitpunkten (t1 bis t4) folgende Sprachleistungen erhoben:

  • Expressiver Wortschatzumfang
  • Satzverstehen bzw. Verstehen grammatischer Strukturformen
  • Morphologische Regelbildung

Hierzu wurden in Abhängigkeit vom aktuellen Lebensalter folgende Verfahren mit teststatistischer Qualität durchgeführt: der Bildbenenntest AWST 3-6, die SETK-3-5-Subtests: Morphologische Regelbildung (MR), Verstehen von Sätzen (VS) sowie die HSET-Subtests: Verstehen grammatischer Strukturformen (VS), Plural-Singular-Bildung (PS). Zu dem wurde zum letzten Untersuchungszeitpunkt t4 der HAWIK-Wortschatztest (WT) angewendet.

Der mittlere Zeitabstand von t1 zu t2 betrug 26,2 Monate (ca. 2;2 Jahre) von t2 zu t3 12,3 Monate (ca. 1 Jahr), und von t3 zu t4 vergingen im Mittel 33,5 Monate (ca. 2;10 Jahre). Das Zeitfenster von t1 zu t4 war damit durchschnittlich 6 Jahre groß.

Ausgehend von den frühen Wortschatzdaten im ELAN wurden einfache Regressionsanalysen gerechnet mit den abhängigen Variablen: Expressiver Wortschatz, Satzverstehen bzw. Verstehen grammatischer Strukturformen, morphologische Regelbildung. Als Maß für die Effektstärken der Vorhersage wurde das korrigierte Bestimmtheitsmaß R2 verwandt, welches der Überschätzung der aufgeklärten Varianz bei kleinen Stichproben entgegenwirkt.

Ergebnisse

Im arithmetischen Mittel wurden zu allen Messzeitpunkten altersgerechte Ergebnisse erhoben (Tabelle 1 [Tab. 1]).

Voraussagen werden umso zuverlässiger, je höher die zugrunde liegenden Korrelationen sind. Die höchste Korrelation zu t2 (mittl. Zeitabstand 26,2 Monate) bestand zwischen frühem Wortschatzumfang und morphologischer Regelbildung (Tabelle 2 [Tab. 2]). Die Korrelationskoeffizienten des frühen expressiven Wortschatzes (t1) mit den Sprachmaßen zu t3 (mittl. Zeitabstand: 39 Monate) beliefen sich auf r=.36 bis .52 und klärten 12 bis 25 % der Varianz auf. Der frühe expressive Wortschatzumfang sagte am besten die Größe des Gebrauchslexikons auf dieser Altersstufe voraus. Für den durchschnittl. Zeitabstand bis 72 Monaten (t4) wurden signifikante Korrelationen von r=.22 bis .30 ermittelt (entspricht Varianzaufklärung von 6 bis 7 %). Zur Vorhersage des Verstehens grammatischer Strukturen ließ sich keine statistisch signifikante Korrelation mehr nachweisen.

Diskussion

Die Bedeutung des Markers früher expressiver Wortschatzumfang für die Sprachentwicklung wurde an einem nicht-klinischen Kollektiv untersucht; erwartungskonform wurden die Werte für die Varianzdeterminierung des Wortschatzes mit den angegebenen Sprachvariablen mit der Zeit geringer. Kauschke [4] belegte in einer Längsschnittstudie, die auf spontansprachlichen Leistungen von 32 Kindern im 2. und 3. Lebensjahr basierte, ebenfalls signifikante Korrelationen zwischen frühen Lexikon- und Grammatikleistungen im Alter von 3 Jahren.

Die prozentuale Varianzaufklärung späterer Sprachleistungen durch den frühen Wortschatz ist bis zu einem Alter von 4 Jahren relativ gut vergleichbar mit internationalen Ergebnissen. Reese & Read [6] erhoben an 61 normalgesunden Kindern (31 Mädchen) im Alter von 19 Monaten frühe Wortschatzdaten durch Elternbefragung (mit einer neuseeländischen Version der CDI) und setzten diese in Beziehung zu deren rezeptiv- und expressiv-lexikalischen Testleistungen im Alter von 32 und 40 Monaten. Die prädiktive Validität belief sich für den Zeitabstand von 13 Monaten auf r=.50 für den expressiven und auf r=.48 für den rezeptiven Wortschatz. Für die Zeitspanne von 21 Monaten wurden Zusammenhangsmaße von r=.46 (expressiv) resp. r=.48 (rezeptiv) berichtet. Angaben zur prozentualen Varianzaufklärung wurden nicht gemacht (korrig. Regressionskoeffizienten). Für die Vorhersagen bis 5 und 8 Jahren fehlen adäquate Vergleichsstudien.

Fazit

In einer aktuellen deutschen Längsschnittstudie wurde gezeigt, dass der frühe expressive Wortschatzumfang im Alter von 16-26 Monaten Vorhersagen mittlerer bis hoher Effektstärke für spätere Sprachleistungen im Vorschulalter erlaubt. Dies betrifft insbesondere die morphologische Regelbildung mit 4 Jahren und das expressive Lexikon an Inhaltswörtern mit 5 Jahren. Im frühen Grundschulalter sind die Effekte gleichermaßen niedrig, wenngleich für die morphologische Regelbildung und das Lexikon signifikant. Der ELAN besitzt somit prädiktive Validität.


Literatur

1.
Bockmann AK, Kiese-Himmel C. Elan - Eltern Antworten. Elternfragebogen zur Wortschatzentwicklung im frühen Kindesalter. Göttingen: Beltz; 2006.
2.
Grimm H, Schöler H. Heidelberger Sprachentwicklungstest (HSET; 2., verbess. Aufl.). Göttingen: Hogrefe; 1991.
3.
Grimm H. Sprachentwicklungstest für drei- bis fünfjährige Kinder (SETK 3-5). Göttingen: Hogrefe; 2001.
4.
Kauschke Ch. Frühe lexikalische Verzögerung als Prädiktor für Sprachentwicklungsstörungen. Vortrag auf der interdisziplinären Tagung über Sprachentwicklungsstörungen in München; 2000
5.
Kiese C, Kozielski PM. Aktiver Wortschatztest für 3-6-jährige Kinder. (2., überarb. Aufl.). Göttingen: Beltz; 1996.
6.
Reese E, Read S. Predictive validity of the New Zealand MacArthur Communicative Development Inventory: Words and Sentences. J Child Lang. 2000;27:255-66.
7.
Tewes U, Rossman P, Schallberger U, Hrsg. Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Kinder III (HAWIK III). Bern: Hans Huber, 2000.