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Dreiländertagung D-A-CH
24. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

28. - 30.09.2007, Innsbruck, Österreich

Die fiberoptisch-endoskopische Schluckdiagnostik bei neurogenen Dysphagien im Kindes- und Jugendlichenalter

Vortrag

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  • corresponding author Carl-Albert Bader - Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde des Universitätsklinikums Tübingen, Tübingen, Deutschland
  • author Gerhard Niemann - Kinderklinik Schömberg, Schömberg, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Sektion Phoniatrie der Österreichischen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirugie. Schweizerische Gesellschaft für Phoniatrie. Dreiländertagung D-A-CH, 24. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e.V.. Innsbruck, Österreich, 28.-30.09.2007. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2007. Doc07dgppV22

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/meetings/dgpp2007/07dgpp32.shtml

Published: August 28, 2007

© 2007 Bader et al.
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Zusammenfassung

Es wird über Durchführbarkeit, Komplikationshäufigkeit und therapeutische Relevanz der fiberoptisch-endoskopischen Schluckdiagnostik bei Kindern und Jugendlichen mit neurogenen Dysphagien anhand von 144 Erstuntersuchungen berichtet, die in einem Zeitraum von Ende 1997 bis Anfang 2006 an der Kinderklinik Schömberg durchgeführt wurden.

Verwertbare und differenzierte Informationen über die Schluckpathologie waren mittels endoskopischer Diagnostik bei über 80% der Patienten zu gewinnen.

Mit einer Häufigkeit von unter 3% an (unproblematischen und gut beherrschbaren) Komplikationen erscheint ihre Anwendung auch am pädiatrischen Patienten vertretbar und - bei Einhaltung grundlegender Kautelen - ausreichend sicher.

Relevante therapeutische Konsequenzen ergaben sich insbesondere für die Planung des Ernährungsmanagements: so musste einerseits bei einem Viertel der Patienten die Empfehlung ausgesprochen werden, Restriktionen in der oralen Ernährung umzusetzen, während andererseits bei gut einem Fünftel der Untersuchten eine Lockerung des Ernährungsmanagements befürwortet werden konnte.


Text

Einleitung

Für die Beurteilung von Dysphagien stehen mit der Videofluoroskopie (oder vergleichbaren radiologischen Techniken) und der fiberoptisch-endoskopischen Schluckdiagnostik zwei Verfahren zur Verfügung, die prinzipiell auch im Kindes- und Jugendlichenalter eingesetzt werden können. Ihre Anwendung unterliegt hier jedoch verschiedenen Einschränkungen: der Einsatz der Videofluoroskopie einerseits wird durch die Bestrebung limitiert, die Strahlenexposition eines Kindes möglichst zu vermeiden. Die fiberoptisch-endoskopische Untersuchung andererseits erscheint erschwert durchführbar auf Grund ihrer gewissen Invasivität und der eingeschränkten Kooperationsfähigkeit insbesondere kleiner Kinder.

Patientengut und Methode

Berichtet wird über 144, 0;8 bis 17;9 Jahre alte Patienten mit neurogener Dysphagie, welche zwischen 1997 und 2006 erstmalig zur fiberoptisch-endoskopischen Diagnostik in der Kinderklinik Schömberg vorgestellt wurden. Anhand einer retrospektiven Studie sollen die Durchführbarkeit, die Komplikationshäufigkeit und die Relevanz der Untersuchung im Hinblick auf die Therapieplanung dargestellt werden.

Die Endoskopie fand mit handelsüblichen flexiblen Nasopharyngoskopen (Durchmesser ca. 3,5 mm) statt. Vor Durchführung der Endoskopie erfolgte eine Applikation von sympathomimetischen Nasentropfen sowie eine streng topische Lokalanästhesie der Nasenschleimhaut. Bei 44 Patienten (31%) wurde eine leichte Sedierung (in der Regel mit Chloralhydrat) durchgeführt, welche so bemessen war, daß noch eine ausreichende Wachheit für die Untersuchung bestand. Bei Sedativagabe erfolgte ebenso wie bei bekannten respiratorischen Problemen ein Monitoring der Patienten mittels Pulsoxymetrie.

Der vollständige Untersuchungsgang umfasste zunächst die Beobachtung des spontanen Schluckens von Speichel („Leerendoskopie“) sowie Schluckversuche mit dem Schluckgut gefärbter Wackelpudding. Bei einem Teil der Patienten verabreichten wir zusätzlich koloriertes Wasser.

Zur Dokumentation der Untersuchungen diente eine VHS-Aufzeichnung bzw. eine PC-gestützte Speicherung sowie ein speziell auf die kindlichen Verhältnisse zugeschnittener Erhebungsbogen.

Ergebnisse

Durchführbarkeit der fiberoptisch-endoskopischen Untersuchung

Ein vollständiger fiberoptisch-endoskopischer Untersuchungsgang mit der Beobachtung des spontanen Schluckens und der Durchführung von Schluckversuchen war bei 81 von 144 Patienten (56,3%) möglich. Bei 39 Patienten (27,1%) wurde bewusst auf Schluckversuche mit Nahrung verzichtet, um eine Gefährdung des Untersuchten z.B. durch Aspiration zu vermeiden. Ein vorzeitiger Untersuchungsabbruch auf Grund zu starker Unruhe war bei 18 Patienten (12,5%) erforderlich. Wegen zu starker Abwehr bzw. auf Grund anatomischer Hindernisse war bei jeweils 3 Patienten (2,1%) eine fiberoptische Untersuchung unmöglich.

Komplikationen der fiberoptisch-endoskopischen Untersuchung

Im Rahmen der bei 138 Patienten durchführbaren Untersuchung kam es in 2 Fällen zu einer spontan sistierenden, leichten Epistaxis (1,4%) sowie – in ebenfalls 2 Fällen – zu passageren Sauerstoffentsättigungen. Ein Laryngospasmus, eine Synkope oder Überempfindlichkeitsreaktionen auf Lokalanästhetikum bzw. sympathomimetische Nasentropfen waren in unserem Patientengut nicht zu beobachten.

Bedeutung der fiberoptisch-endoskopischen Untersuchung für die Therapieplanung

Es wurde hier die Relevanz der Endoskopie auf das Ernährungsmanagement ausgewählt: Bei 35 der 138 untersuchbaren Patienten (25,4%) wurde entschieden, das Ernährungsmanagement zu verschärfen. In 73 Fällen (52,9%) wurde eine Fortsetzung der vor Endoskopie bereits praktizierten Ernährungsweise befürwortet. Eine Lockerung von Ernährungsrestriktionen konnte hingegen bei 30 Patienten (21,7% der Untersuchten) empfohlen werden.

Bei den vor Untersuchung ausschließlich oral Ernährten wurde eine Notwendigkeit zu Nahrungsrestriktionen sogar bei knapp zwei Drittel der Patienten gesehen (64,3%).

Diskussion

Die Zahl der Untersuchungsabbrüche mag mit 12,5% zunächst hoch erscheinen, beruht aber wohl vor allem auf unserer Vorgehensweise, keine weinenden oder agitierten Kinder zu füttern, da es dann nach unserer Erfahrung gehäuft zur Nahrungsinhalation und damit zu einer „artifiziellen“ Aspiration kommt.

Anatomische Hindernisse, welche eine Untersuchung unmöglich machen, können eventuell durch die Verwendung noch dünnerer Endoskope bewältigt werden. Diese stehen als kostenintensive Alternative allerdings erst seit relativ kurzer Zeit zur Verfügung. Sie sind zudem fragil und bieten im Vergleich zu den konventionellen Nasopharyngoskopen in Kombination mit einer Aufzeichnungseinheit häufig eine deutlich schlechtere Bildqualität.

Die beschriebenen Komplikationen, bestehend in einer leichten und spontan sistierenden Epistaxis sowie in passageren O2-Abfällen sind als typische, wenn auch insgesamt seltene Probleme bei der fiberoptisch-endoskopischen Untersuchung des neurologisch vorgeschädigten, pädiatrischen Patienten anzusehen. Etwaige Entsättigungen sind nach unseren Erfahrungen durch Veränderung der Endoskopposition oder – falls diese Maßnahme ohne Effekt bleibt – durch eine Entfernung des Endoskops rasch behebbar. Sie sollten allerdings Anlaß sein, gerade bei sedierten Patienten und bei Patienten mit bekannten respiratorischen Problemen eine routinemäßige Pulsoxymetrie anzuwenden.

Die Empfehlung, bei knapp der Hälfte aller untersuchten Kinder und Jugendlichen nach Endoskopie eine Modifikation des Ernährungsmanagements vorzunehmen, unterstreicht die Relevanz der fiberoptisch-endoskopischen Dysphagiediagnostik. Dies gilt vor allem für die vormals ausschließlich oral ernährten Patienten.

Fazit

Die fiberoptisch-endoskopische Schluckdiagnostik unterliegt im Kindes- und Jugendlichenalter zweifelsohne Restriktionen, lieferte aber in über 80% der von uns Untersuchten wichtige Informationen über die Schluckfähigkeit der zumeist schwer behinderten Kinder und Jugendlichen. Mit einer Rate an - letztendlich unproblematischen - Komplikationen von unter 3% erscheint sie, entsprechende Kautelen und eine ausreichende Erfahrung des Untersuchers mit der endoskopischen Technik vorausgesetzt, auch in dieser speziellen Patientengruppe ausreichend sicher in ihrer Anwendung. Gerade bei vormals ausschließlich oral ernährten Patienten konnte die endoskopische Dysphagiediagnostik wichtige Hinweise auf eine Modifikationsnotwendigkeit des Vorgehens bei der Ernährung erbringen, indem sie bedrohliche Aspirationssituationen sichtbar machte.