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23. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

15. - 17.09.2006, Heidelberg

Phonovibrography - Kategorisierung von Stimmlippenschwingungen der Regensburger Domspatzen

Vortrag

  • author presenting/speaker Johannes Havla - Universitätsklinikum Erlangen, Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, Erlangen, Germany
  • author Hikmet Toy - Universitätsklinikum Erlangen, Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, Erlangen, Germany
  • author Frank Rosanowski - Universitätsklinikum Erlangen, Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, Erlangen, Germany
  • author Michael Döllinger - Universitätsklinikum Erlangen, Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, Erlangen, Germany
  • author Ulrich Eysholdt - Universitätsklinikum Erlangen, Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, Erlangen, Germany
  • corresponding author Jörg Lohscheller - Universitätsklinikum Erlangen, Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, Erlangen, Germany

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 23. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Heidelberg, 15.-17.09.2006. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2006. Doc06dgppV43

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Published: September 5, 2006

© 2006 Havla et al.
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Zusammenfassung

Endoskopische Hochgeschwindigkeitsaufnahmen (HG-Aufnahmen) eröffnen neue Möglichkeiten in der Bewertung und Klassifizierung von Stimmlippenschwingungen. In der klinischen Praxis wird die Bewertung von HG-Aufnahmen – ebenso wie die der Stroboskopie – nach der Empfehlung der European Laryngological Society (ELS) vorgenommen und ist vorwiegend subjektiver Natur. Eine objektive Beschreibung von Schwingungsvorgängen ist mittels der neu eingeführten Phonovibrography möglich. Durch Erzeugung so genannter Phonovibrogramme (PVG) lässt sich der komplexe Schwingungsvorgang von Stimmlippen in einer zweidimensionalen Darstellung visualisieren. Wir haben an einem Kollektiv von 31 Sängern der Regensburger Domspatzen 104 HG-Aufnahmen durchgeführt. Ziel der Untersuchung war die Fragestellung, inwieweit eine Klassifizierung ausgebildeter Sängerstimmen anhand der phonovibrographischen Darstellung möglich ist. Zudem wurde die Abhängigkeit der Schwingungsmuster vom verwendeten Untersuchungsparadigma untersucht. Dazu wurden HG-Aufnahmen während einer gehaltenen Phonation, einer Grundfrequenzerhöhung und –verminderung, sowie eines Crescendos durchgeführt. Die Auswertung der berechneten PVGs zeigt, dass sich aus der Gesamtheit aller HG-Aufnahmen eine Grundmenge von Schwingungstypen bestimmen lässt. Die an verschiedenen Stellen ausgewerteten HG-Aufnahmen ermöglichen die Detektion individueller Schwingungsmuster, welche sich den PVG-Kategorie zuordnen lassen.


Text

Einleitung

Endoskopische Hochgeschwindigkeitsaufnahmen (HG-Aufnahmen) eröffnen neue Möglichkeiten in der Bewertung und Klassifizierung von Stimmlippenschwingungen [1]. In der klinischen Praxis wird die Bewertung von HG-Aufnahmen – ebenso wie die der Stroboskopie – nach der Empfehlung der European Laryngological Society (ELS) vorgenommen und ist vorwiegend subjektiver Natur [2]. Eine objektive Beschreibung von Schwingungsvorgängen ist mittels der neu eingeführten Phonovibrographie möglich [3]. Durch Erzeugung so genannter Phonovibrogramme (PVG) lässt sich der komplexe Schwingungsvorgang von Stimmlippen in einer zweidimensionalen Darstellung visualisieren. Wir haben an einem Kollektiv junger Sänger der Regensburger Domspatzen HG-Aufnahmen durchgeführt. Ziel der Untersuchung ist die Fragestellung, inwieweit eine Klassifizierung ausgebildeter Sängerstimmen anhand der PVG-Darstellung möglich ist. Des weiteren wurde untersucht, inwieweit das Schwingungsmuster eines Sängers abhängig von dem gewählten Untersuchungsparadigma ist.

Methode

Bei der Untersuchung von 30 Sängern der Regensburger Domspatzen wurden insgesamt 104 HG-Aufnahmen durchgeführt. Die untersuchten Sänger gliederten sich in 12 Tenöre und 18 Bässe auf. Das Alter der Probanden betrug 17,8 +/- 1,4 Jahre und die Dauer der chorischen Stimmbildung 6 +/- 2 Jahre. Chronische Erkrankungen der Atemwege und des Stimmapparates lagen zur Zeit der Untersuchung nicht vor. Von jedem Sänger wurden, wenn möglich, vier HG-Aufnahmen während

(A) stationärer Phonation,

(B) Phonation mit Erhöhung der Stimmfrequenz,

(C) Phonation mit Senkung der Stimmfrequenz,

(D) Phonation mit Erhöhung der Stimmintensität

aufgezeichnet. Zur Analyse der Stimmlippenbewegung wurden die Kanten der Stimmlippen mittels einer validierten Bildverarbeitung aus verschiedenen Intervallen der HG-Sequenzen extrahiert (Abbildung 1, oben [Abb. 1]) [4]. Die Kantenextraktion der Stimmlippen konnte in 94 HG-Aufnahmen erfolgreich durchgeführt werden. Aufgrund geringer Aufnahmequalität war in 10 Fällen keine Segmentierung möglich.

Zur geometrischen Kategorisierung der PVG und damit der Schwingungsmuster wurde von den Segmentierungsergebnissen jeweils ein repräsentativer Schwingungszyklus der Stimmlippen mit Hilfe der Phonovibrographie visualisiert. Dabei wurden nur die HG-Aufnahmen verwendet, in denen die Stimmlippen zu 100% einsehbar waren. Dies war bei 42 Aufnahmen der Fall.

Weiterhin wurde untersucht, inwieweit das Schwingungsmuster eines Sängers von der Phonationsart (Paradigmen A-D) abhängig ist. Dazu wurde jeweils ein Schwingungszyklus eines Sängers von drei unterschiedlichen Paradigmen bei identischer Stimmgrundfrequenz fs ausgewertet und mittels PVG visualisiert (Abbildung 1, oben [Abb. 1]). Bei 6 Sängern (18 PVG) wurden übereinstimmende Stimmgrundfrequenzen in den verschiedenen Paradigmen identifiziert. Die extrahierten PVG wurden anschließend von 3 Bewerten den zuvor ermittelten PVG-Kategorien zugeordnet.

In einem letzten Schritt wurde analysiert, ob das Muster der Stimmlippenschwingungen bei einer moderaten Veränderung der Stimmgrundfrequenz variiert. Dazu wurden bei den Frequenzen f2,3 = f1 +/- 30 Hz insgesamt 3 verschiedene PVG aus den HG-Aufnahmen (B) und (C) berechnet und visualisiert. Bei hinreichender Bildqualität wurden von 24 HG-Aufnahmen insgesamt 72 PVG berechnet. Diese PVG wurden anschließend von 3 Bewertern den vorher bestimmten Kategorien zugeordnet.

Ergebnisse

Bei der Kategorisierung der Schwingungsmuster der Stimmlippen konnten die PVG aufgrund ihrer Morphologie einer Grundmenge von fünf PVG-Basistypen zugeordnet werden (Abbildung 2 [Abb. 2]).

Die im PVG eingezeichneten Linien repräsentieren longitudinale Phasenverschiebungen entlang einer Stimmlippe und erlauben eine Typisierung der Schwingungsmuster. Bei dem Typen T3 (Rechteck) treten keine Phasendifferenz zwischen dem dorsalen und ventralen Ende der Stimmlippen auf. Die schräg verlaufenden Linien der PVG-Basitypen T1 und T2 kennzeichnen eine longitudinale Phasenverschiebung zwischen dorsalen und ventralen Stimmlippenbereich. Beim Öffnen und Schließen der Stimmlippen können diese unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Die Typen T4, T5 entsprechen Mischformen, die sich als Superposition aus den Typen T1 bis T3 ergeben. Eine signifikante Zuordnung der Sängerstimmen zu den PVG-Basistypen konnte nicht gefunden werden.

Der Vergleich der PVG-Typen eines Sängers, die von verschiedenen HG-Aufnahmen und bei unterschiedlicher Phonationsart ermittelt wurden, zeigt eine Übereinstimmung der Schwingungsmuster. In 89% der Fälle wurden von den verschiedenen Bewertern die PVG eines Sängers dem gleichen PVG-Basistypen zugeordnet.

Die Konstanz der Schwingungsmuster eines Sängers zeigt der Vergleich der PVG, die zu drei verschiedenen Frequenzen extrahiert wurden. In einem Frequenzintervall von 60 Hz ließen sich die Stimmlippenschwingungen eines Sängers anhand der PVG-Darstellung stets demselben Basistypen zuordnen.

Diskussion

In der hier präsentierten Studie wurde die Methode der Phonovibrographie an Sängern des Chores der Regensburger Domspatzen zur Kategorisierung der Stimmlippenschwingungen angewandt. Von den untersuchten Sängern wurden dabei bis zu vier HG-Aufnahmen durchgeführt. Es konnte gezeigt werden, dass anhand der Geometrie der PVG-Muster eine einfache geometrische Kategorisierung von Stimmlippenschwingungen möglich ist. Bei dem hier untersuchten Kollektiv konnten fünf verschiedene Basistypen bestimmt werden. Durch Auswertung der verschiedenen HG-Aufnahmen eines Sängers wurde belegt, dass zu einer bestimmten Frequenz das individuelle Schwingungsmuster der Stimmlippen unabhängig von der Art der Phonation ist. Es konnte weiterhin gezeigt werden, dass in einem begrenzten Frequenzintervall das Schwingungsmuster der Stimmlippen eines Sängers konstant bleibt. Die Darstellung mittels der PVG gestattet einen schnellen und intuitiven Zugang zur Bewertung der Schwingungscharakteristik von Stimmlippenschwingungen. Bei hinreichender Bildqualität lassen sich mittels der PVG sogar individuelle Schwingungsmuster identifizieren.


Literatur

1.
Hess MM, Herzel H, Koester O, et al. Endoscopic imaging of vocal cord vibrations. Digital high-speed recording with various systems. HNO. 1996;44(12):685-93.
2.
Dejonckere PH, Bradley P, Clemente P, Cornut G, Crevier-Buchman L, Friedrich G, Van De Heyning P, Remacle M, Woisard V. A basic protocol for functional assessment of voice pathology, especially for investigating the efficacy of (phonosurgical) treatments and evaluating new assessment techniques. Guideline elaborated by the Committee on Phoniatrics of the European Laryngological Society (ELS).
3.
Lohscheller J, Eysholdt U, Toy H, Döllinger M. Phonovibrography: Mapping high-speed movies of vocal fold vibrations into 2D-diagrams for visualizing and analyzing the underlying laryngeal dynamics. Eingereicht bei IEEE T Med Imaging. 2006.
4.
Lohscheller J, Toy H, Rosanowski F, Eysholdt U, Döllinger M. Clinically evaluated procedure for the reconstruction of vocal fold vibrations from endoscopic digital high-speed videos. Eingereicht bei Med Image Anal. 2006.