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23. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

15. - 17.09.2006, Heidelberg

Zur Wertigkeit der TOAE-Diagnostik bei Kindern mit Down-Syndrom

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  • corresponding author presenting/speaker Claudia Massinger - Kinderzentrum München, Institut für Soziale Pädiatrie, Abtg. Phoniatrie und Audiologie, München, Deutschland
  • author Andreas Nickisch - Kinderzentrum München, Institut für Soziale Pädiatrie, Abtg. Phoniatrie und Audiologie, München, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 23. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Heidelberg, 15.-17.09.2006. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2006. Doc06dgppP14

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Published: September 5, 2006

© 2006 Massinger et al.
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Zusammenfassung

Einleitung: Kinder mit einer Trisomie 21 stellen eine pädaudiologisch anspruchsvolle Patientengruppe dar. Aufgrund der oft uneindeutigen Ohrbefunde, der gehäuften Tubenfunktionsprobleme und der allgemeinen Entwicklungsstörungen benötigen sie zur Klärung ihres Hörvermögens oft mehrfach Höruntersuchungen, insbesondere da bei ihnen alle Arten von Schwerhörigkeiten auftreten können.

Fragestellung: Wie aussagekräftig ist eine alleinige TOAE-Diagnostik zum Ausschluss einer Hörstörung bei Down-Syndrom-Kindern?

Methode: Die Hörbefunde von 105 Down-Syndrom-Kindern, die seit 2003 bei uns eine TOAE-Diagnostik durchliefen, wurden analysiert.

Ergebnisse: Bei 20 dieser 105 Kinder war auf wenigstens einem Ohr wenigstens einmal ein unauffälliges Ergebnis in der TOAE-Messung mit einer Korrelation von mindestens 80% festzustellen. 29 der 85 Kinder mit auffälligen TOAE wurden mit Hilfe der Hirnstammaudiometrie (BERA), 56 tonaudiometrisch weiter untersucht. BERA-Potentiale auf Klick-Stimulation konnten bei 25 Kindern auf wenigstens einem Ohr mit 25 dB(nHL) oder besser nachgewiesen werden. Einseitige Hörstörungen ließen sich bei 6 dieser Kinder feststellen.

Diskussion: Bei nur etwa einem Fünftel der Kinder mit einem Down-Syndrom stellen sich TOAE dar, so dass keine sprachentwicklungsrelevante periphere Schwerhörigkeit vorliegt. Insofern sind beim überwiegenden Anteil der Down-Syndrom-Kinder eine Hirnstammaudiometrie und eine ausführliche subjektive Hörtestung regelmäßig zusätzlich notwendig.


Text

Einleitung

Kinder mit einer Trisomie 21 stellen eine pädaudiologisch anspruchsvolle Patientengruppe dar. Häufig sind die Befunde in der Ohrmikroskopie nicht eindeutig, die Gehörgänge sind stenosiert, die Trommelfelle sind dicht und trüb, Paukenergüsse sind nicht sicher auszuschließen. Treten Tubenfunktionsstörungen und Mittelohrergüsse auf, so führt eine konservative Therapie oft zu keiner wesentlichen Verbesserung. Die Angaben in der subjektiven Audiometrie sind nach der allgemeinen Entwicklungsstörung einzuschätzen und entsprechen nicht unbedingt dem Lebensalter. Kinder mit einem Down-Syndrom benötigen zur Klärung ihres Hörvermögens deswegen meist mehrfach Höruntersuchungen, insbesondere da bei ihnen alle Arten von Schwerhörigkeiten auftreten können.

Für das praktische Vorgehen zum raschen Ausschluss einer sprachentwicklungsrelevanten Hörstörung stellt sich daher die Frage, wie aussagekräftig eine alleinige TOAE-Diagnostik bei Kindern mit einem Down-Syndrom ist.

Patienten und Methode

Die Hörbefunde von 128 Kindern mit einem Down-Syndrom, die seit 2002 in unserer Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie eine TOAE-Diagnostik durchliefen, wurden analysiert. Gemessen wurden die TOAE und DPOAE mit der ILO-Messeinheit. Als unauffällig galten Befunde mit einer Korrelation von mindestens 80% auf wenigstens einem Ohr und einer breitbandigen Emission.

Bei auffälligen TOAE-Messungen wurden eine Hirnstammaudiometrie (BERA) oder/und eine subjektive Audiometrie geplant. Die Ergebnisse in der BERA wurden als regelrecht eingestuft, wenn auf Klick-Stimulation auf wenigstens einem Ohr akustisch evozierte Potentiale mit 25 dB(nHL) oder besser nachgewiesen werden konnten. Bei auffälligen Befunden auf Klick-Stimulation erfolgte eine Messung über den Knochenleitungshörer; hierbei wurden Potentiale bis 20 dB(nHL) als normal bewertet.

Ergebnisse

54 der 128 Kinder wurden innerhalb des 1. Lebensjahres erstmals bei uns untersucht (42%), 70 Kinder innerhalb des 1. oder 2. Lebensjahres (55%).

Bei 23 von 128 Kindern (18%) mit einem Down-Syndrom war auf wenigstens einem Ohr wenigstens einmal ein unauffälliges Ergebnis in der TOAE-Messung festzustellen. Hierzu waren in Einzelfällen bis zu 4 Messtermine notwendig. Bei der Mehrzahl der Kinder waren die TOAE bereits bei der 1. Messung nachweisbar (15 von 23 Kinder). Auch beim 2. Messtermin bei zunächst auffälligen TOAE-Befunden, der in der Regel nach wenigen Wochen stattfand, konnten bei 6 Kindern noch TOAE festgestellt und so eine sprachentwicklungsrelevante periphere Hörstörung ausgeschlossen werden. Bei 10 der 128 Kinder (8%) waren die TOAE beidseits unauffällig, bei 13 Patienten (10%) waren sie nur auf einem Ohr mit regelrechter Korrelation festzustellen. Insgesamt waren die otoakustischen Emissionen bei 105 Kindern (82%) der Down-Patienten beidseits auffällig.

22 der 105 Kinder mit beidseits auffälligen otoakustischen Emissionen wurden auswärts weiter untersucht. Bei 39 der 83 verbliebenen Patienten erfolgte eine weitere Hördiagnostik mit Hilfe der BERA bei uns. BERA-Potentiale auf Klick-Stimulation konnten bei 34 dieser Kinder auf wenigstens einem Ohr mit 25 dB(nHL) oder besser nachgewiesen werden. Insgesamt bestanden einseitige Hörstörungen bei 8 von 39 der mit der BERA untersuchten Kinder. Bei 5 Kindern war die Hirnstammaudiometrie mit Klick-Stimulation beidseits auffällig, wobei 2 Kinder eine Schallempfindungsschwerhörigkeit, 3 eine Schallleitungsschwerhörigkeit aufwiesen.

44 der 83 Kinder wurden tonaudiometrisch weiter untersucht. 26 der 44 Kinder, bei denen alleine mit Hilfe der subjektiven Audiometrie (zum Teil Freifeld-, zum Teil Kopfhöreraudiometrie) eine therapierelevante Hörstörung ausgeschlossen werden konnte, zeigten Hörschwellen, die besser oder gleich 30 dB lagen (59%). Abhängig vom Alter der Kinder wurden Sprachaudiogramme mit Nachsprechen oder Bilderzeigen mit oder ohne Kopfhörer durchgeführt, die die Abgaben in der Tonaudiometrie stützten.

Die übrigen 18 Kinder zeigten Hörreaktionen, die schlechter als 30 dB waren. Bei 15 von ihnen waren wegen anhaltender Paukenergüsse eine Einlage von Paukendrainagen und eine Adenotomie sowie bei einem Kind zur Klärung des Hörvermögens eine BERA in Narkose auswärts notwendig. Von den 18 Kindern insgesamt wiesen 2 Kinder eine Schallempfindungsschwerhörigkeit auf, bei einem Kind war auswärts eine einseitige Taubheit und ein normales Hörvermögen auf dem Gegenohr diagnostiziert worden.

Insgesamt waren 82% unserer OAE-Messungen bei Kindern mit Down-Syndrom beidseits auffällig. Primär therapiebedürftige, d.h. beidseitige Hörstörungen (Schallleitungs- und Schallempfindungsstörungen) zeigten sich bei etwa einem Viertel der Patienten mit pathologischen OAE-Befunden (28%). Somit ist der positive prädiktive Wert der OAE-Messung bei Kindern mit einem Down-Syndrom von 0,28 (95%-Konfidenzintervall 0,19-0,39) bezogen auf therapierelevante periphere Hörstörungen als relativ gering einzuschätzen.

Diskussion

Kinder mit einem Down-Syndrom sind von allen Arten von Schwerhörigkeiten in nicht unerheblichem Maße betroffen. Pathologische Hörbefunde zeigen sich in der Literatur bei 8% bis über 80% der Trisomie 21-Patienten. Die große Spannbreite der prozentualen Angaben lässt sich wohl dadurch erklären, dass in manchen Einrichtungen ein ausgewähltes Patientenklientel untersucht wurde.

Schallleitungsschwerhörigkeiten finden sich in der Literatur bei 47% bis 88% aller Hörstörungen [2], [3], [4]. Bei Kindern mit Down-Syndrom treten bekanntermaßen Tubenfunktionsstörungen sehr häufig auf. Nach eigenen Untersuchungen treten bei über 90% der Kinder mindestens einmal Paukenergüsse auf, bei mehr als der Hälfte von ihnen mehrfach [4]. Die Symptome akuter Mittelohrentzündungen werden dagegen von den Eltern nur sehr selten geschildert. Wesentlich ist hierbei, dass Strome bereits 1981 in seiner Arbeit über die otorhinolaryngologischen Aspekte des Down-Syndroms darauf hinwies, dass die alleinige Adenotomie zu keiner wesentlichen Verbesserung der Tubenfunktion, der Nasenatmung und der chronischen Rhinitis bei diesen Kindern führt [5], die Einlage von Paukenröhrchen sollte daher bei bestehenden Paukenergüssen primär erfolgen.

In Hinblick auf die Ätiologie der Tubenfunktionsprobleme konnte Brown anhand radiologischer Untersuchungen zeigen, dass sich die eingeschränkte Funktion der Eustachischen Röhre bei den Patienten durch die Skelett- und Weichteilbesonderheiten an der Schädelbasis und dem Nasenrachenraums erklärt. Demnach ist der Nasopharynx kleiner und enger als bei Menschen ohne Down-Syndrom, was zu einer Verlegung des Nasenrachenraums durch Schleimhaut und Bindegewebe führt [1].

Schallempfindungsschwerhörigkeiten kommen bei Patienten mit einem Down-Syndrom ebenfalls in nicht zu vernachlässigender Häufigkeit vor. Zwischen 3% und 20% Schallempfindungsschwerhörigkeiten bei den Patienten wurden in den zahlreichen Veröffentlichungen angegeben, wobei kombinierte Schwerhörigkeiten mit 4% bis 30% erwartungsgemäß noch öfter diagnostiziert wurden [3], [4]. Sämtliche Schweregrade einer Schallempfindungsschwerhörigkeit können bei Kindern mit einem Down-Syndrom vorliegen, aber gerade einseitige Schwerhörigkeiten und einseitige Taubheiten treten verhältnismäßig oft auf [4]. Dies zeigte sich auch bei dieser Studie.

Das deutlich erhöhte Risiko der Kinder mit einem Down-Syndrom für Schallleitungsprobleme und sensorineurale Schwerhörigkeiten, führt folgerichtig dazu, dass sie häufig pädaudiologisch untersucht werden müssen. Erfahrungsgemäß sind die Kinder auch bereits im Neugeborenen-Hörscreening auffällig, was zur Folge hat, dass die bei uns vorgestellten Patienten zu etwa 30% zwischen 1 und 6 Monate alt sind. Bei einer neuropädiatrischen Vorstellung im Kinderzentrum München werden Kinder mit einem Down-Syndrom routinemäßig audiologisch untersucht, wobei zunächst eine TOAE-Messung erfolgt bzw. bei ein- oder beidseitigen Auffälligkeiten im Anschluss eine ausführliche pädaudiologische Diagnostik..

In unserer Patientengruppe konnten wir nur bei etwa einem Fünftel der Kinder auf wenigstens einem Ohr ausreichende TOAE darstellen. Beidseits waren die TOAE nur bei unter 10% nachweisbar. Insofern waren beim überwiegenden Anteil der Down-Syndrom-Kinder eine Hirnstammaudiometrie und/oder eine ausführliche subjektive Hörtestung zum Ausschluss einer sprachentwicklungsrelevanten peripheren Schwerhörigkeit zusätzlich notwendig, durch die sich schließlich bei etwa einem Dreiviertel der Patienten mit auffälligen OAE eine therapiebedürftige Hörstörung ausschließen ließ.


Literatur

1.
Brown P, Lewis G, Parker A, Maw A. The skull base and nasopharynx in Down´s Syndrome in relation to hearing impairment. Clin-Otolaryngol. 1989;14(3):241-6.
2.
Heß C, Rosanowski F, Schuster M. Hörvermögen bei Kindern und Jugendlichen mit Down-Syndrom. HNO. 2005;53:227-32.
3.
Hildmann A, Hildmann H, Kessler A. Hörstörungen beim Down-Sydrom. Laryngo-Rhino-Otol. 2002;81:3-7.
4.
Massinger C, Keilmann A. Ätiologische Aspekte zu Hörstörungen bei Kindern mit Trisomie 21. In: Dejonckere Ph, Peters HFM (Hrsg). Communication and its disorders: A science in progress. Proceedings 24th IALP. Congress. Volume II. 1998. p. 893-5.
5.
Strome M. Down´s Syndrome: a modern otorhinolaryngological perspective. The Laryngoskope. 1981;XCI:1581-94.