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21. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie

10. bis 12.09.2004, Freiburg/Breisgau

Depressivität und Ängstlichkeit bei Patienten mit Dysphonien

Vortrag

  • author presenting/speaker Maria Schuster - Universitätsklinikum Erlangen, Abteilung Phoniatrie und Pädaudiologie, Erlangen, Deutschland
  • Ulrich Hoppe - Universitätsklinikum Erlangen, Abteilung Phoniatrie und Pädaudiologie, Erlangen, Deutschland
  • Ulrich Eysholdt - Universitätsklinikum Erlangen, Abteilung Phoniatrie und Pädaudiologie, Erlangen, Deutschland
  • Frank Rosanowski - Universitätsklinikum Erlangen, Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, Erlangen, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 21. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP. Freiburg/Breisgau, 10.-12.09.2004. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2004. Doc04dgppV48

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/meetings/dgpp2004/04dgpp77.shtml

Published: September 9, 2004

© 2004 Schuster et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Daten in der Literatur belegen, dass die Lebensqualität bei Patienten mit Dysphonien eingeschränkt ist. Im Hinblick auf eine genauere Eingrenzung dieses Phänomens sollten in dieser Studie gezielt emotionale Aspekte untersucht werden, nämlich Depressivität und Ängstlichkeit, die beiden häufigsten emotionalen Störungen in der Allgemeinbevölkerung.

Probanden und Methoden: 93 Patienten (Alter: 45,2 ± 14,5 Jahre) mit Dysphonien unterschiedlicher benigner Ursache wurden mit der deutschen Version der Hospital Anxiety and Depression Scale HADS-D untersucht.

Ergebnisse: 18,3% der Patienten mit einer organischen Dysphonie und 18,2% derjenigen mit einer funktionellen Dysphonie hatten Zeichen einer Depressivität; beide Werte sind gegenüber der Norm (3,2%) erhöht (p<0,001). 18,3% der Patienten mit einer organischen Dysphonie hatten Zeichen einer Ängstlichkeit gegenüber 6,8% in der Normalbevölkerung (p<0,01). Patienten mit funktionellen Dysphonien hatten keine erhöhte Prävalenz der Ängstlichkeit (p>0,05).

Schlussfolgerung: Emotionale Auffälligkeiten treten bei Patienten mit Dysphonien gehäuft auf und sollten in der Stimmsprechstunde gezielt zumindest im Sinne einer Screening-Untersuchung erhoben werden. Ihre Bedeutung für den Behandlungsprozess muss in Zukunft untersucht werden.


Text

Hintergrund

Eine Dysphonie jeglicher Ursache ist eine multidimensionale Störung mit organischen, funktionellen, emotional-kognitiven und sozialen Aspekten. Die strukturierte ärztliche Diagnostik bei Stimmstörungen ist weitgehend einheitlich, zielt auf die genannten Items und beinhaltet ergänzend auch die Selbstbewertung durch die betroffenen Patienten.

Nach dem Primat einer psychosomatischen Grundeinstellung, die neben biologischen Aspekten von Krankheiten und Störungen auch geistig-seelische und soziale Gesichtspunkte berücksichtigt, findet auch bei Patienten mit Dysphonien die Emotionalität der Betroffenen sowohl in der klinisch-praktischen Tätigkeit als auch in der Forschung ein zunehmendes Interesse.

In dieser Studie geht es um die Frage der Vorkommenswahrscheinlichkeit der in der Allgemeinbevölkerung häufigsten emotionalen Störungen, nämlich der Ängstlichkeit und der Depressivität, bei Patienten mit Dysphonien benigner Ursache. Hintergrund dieser Frage ist eine frühere Beobachtung der berichtenden Arbeitsgruppe, dass die gesundheitsbezogene Lebensqualität dieser Patientengruppe eingeschränkt ist: Dabei hatten sich ausweislich des SF-36 Fragebogens zur Lebensqualität insbesondere Auffälligkeiten in den emotionalen Subskalen ergeben. Dies sollte in der aktuellen Studie im Hinblick auf eine genauere diagnostische Zuordnung weiter untersucht werden.

Patienten und Methoden

Untersucht wurden 93 muttersprachlich deutsche Patienten im Alter von 45,2 ± 14,5 Jahren, die sich erstmals wegen einer Dysphonie in der Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie des Universitätsklinikums Erlangen vorstellten. Patienten mit malignen Grunderkrankungen wurden von der Studienteilnahme ausgeschlossen. Nach der strukturierten phoniatrischen Untersuchung litten 36 Frauen (24 Männer) an einer organischen und 19 Frauen (14 Männer) an einer funktionellen Dysphonie.

Die Fragebogen-Untersuchung zum Forschungsgegenstand erfolgte jeweils ohne vorherige Mitteilung der Diagnose. Als Testinstrument diente die kommerziell erhältliche deutsche Version der Hospital Anxiety and Depression Scale HADS-D, die mit jeweils 7 Items nach den Kriterien des DSM III auf die Ängstlichkeit und die Depressivität fokussiert. Die einzelnen Antworten werden mit Zahlenwerten von 0 bis 3 kodiert und für beide Subskalen getrennt zu einem Gesamtwert addiert, hohe Werte signalisieren eine größere Belastung. Nach Angaben in der Literatur lassen sich mit einem Schwellenwert von 11 für die Angstskala und einem von 9 für die Depressionsskala für die HADS-D eine Sensitivität von 83,3% und eine Spezifität von 61,5% erzielen.

Die Fragebögen wurden von allen Patienten vollständig ausgefüllt. Somit standen 93 Bögen für die Auswertung zur Verfügung. Die statistische Aufarbeitung erfolgte mit den kommerziell verfügbaren Programmen MS Excel® und MATLAB®.

Die Daten der Studiengruppe wurden mit den geschlechtsspezifischen Normdaten des Testhandbuches verglichen. Weiterhin wurden geschlechts- bzw. diagnoseabhängige Subgruppen der Studiengruppe verglichen.

Ergebnisse

Subskala Depressivität: 18,3% der Patienten mit organischen Dysphonien und 18,2% derjenigen mit funktionellen Dysphonien hatten einen Depressivitätswert ≥ 9, verglichen mit 3,2% in der Normbevölkerung. Dieser Unterschied gegenüber der Norm ist sowohl bei Frauen als auch bei Männern statistisch signifikant (p<0,001).

Subskala Ängstlichkeit: 18,3% der Patienten mit organischen Dysphonien und 15,2% derjenigen mit funktionellen Dysphonien hatten einen Ängstlichkeitswert ≥ 11, verglichen mit 6,8% in der Normbevölkerung. Dieser Unterschied ist sowohl bei Frauen als auch bei Männern mit organischen Dysphonien statistisch signifikant (p<0,01). Die Werte von Frauen und Männern mit funktionellen Dysphonien weichen nicht von jenen der Normbevölkerung ab (p>0,05).

Beim geschlechts- bzw. diagnoseabhängigen Vergleich einzelner Subgruppen der Studiengruppe wurden keine statistisch signifikanten Unterschiede gefunden.

Diskussion

In Übereinstimmung mit früheren Erhebungen zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität belegen die Ergebnisse dieser Studie den in der phoniatrischen Stimmsprechstunde zu erwartenden hohen Anteil von Patienten mit relevanten emotionalen Beschwerden. Diesen Besonderheiten sollte im klinischen Alltag Rechnung getragen werden.

Bei ähnlich häufigem Vorliegen von Depressivität und Ängstlichkeit bei organischen und funktionellen Dysphonien kann die Hypothese, dass das Vorliegen emotionaler Störungen ein Spezifikum funktioneller Beschwerden sein könne, widerlegt werden. In der Subskala Ängstlichkeit haben Patienten mit funktionellen Dysphonien sogar eine geringere Auftretenswahrscheinlichkeit als die Normalbevölkerung.

Auch kann nach den Ergebnissen geschlossen werden, dass Frauen mit Dysphonien nicht häufiger von emotionalen Störungen als Männer betroffen sind. Die bei anderen Störungen bei Frauen häufigere Assoziation mit emotionalen Auffälligkeiten gilt also bei Dysphonien offenbar nicht.

Die Ergebnisse lassen jedoch einige Fragen offen. So bleibt unklar, ob denn bestimmte organische Dysphonien, so z.B. chronische Laryngitiden bei Rauchern, eher eine Karzinophobie und damit höhere Ängstlichkeitswerte bedingen als bei anderen Pathologien. Weiterhin muss in Zukunft geklärt werden, ob denn die situative emotionale Belastung in der Fachsprechstunde die Erhebung des Ausmasses der Ängstlichkeit oder Depressivität beeinflusst.