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21. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie

10. bis 12.09.2004, Freiburg/Breisgau

Dichotische Hörtests im Vergleich: Ergebnisse einer empirischen Studie mit Schulkindern

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  • author presenting/speaker Harry de Maddalena - Universitäts-HNO-Klinik Tübingen, Bereich Phoniatrie/Pädaudiologie, Tübingen, Deutschland
  • author Michael Wannke - Universitäts-HNO-Klinik Tübingen, Bereich Phoniatrie/Pädaudiologie, Tübingen, Deutschland
  • author Sibylle Brosch - Universitäts-HNO-Klinik Tübingen, Bereich Phoniatrie/Pädaudiologie, Tübingen, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 21. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP. Freiburg/Breisgau, 10.-12.09.2004. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2004. Doc04dgppP18

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/meetings/dgpp2004/04dgpp50.shtml

Published: September 9, 2004

© 2004 de Maddalena et al.
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Zusammenfassung

Dichotische Hörtests (dH) sind ein wichtiger Bestandteil einer umfassenden Diagnostik der auditiven Perzeption von Kindern. Die Ergebnisse in dHs variieren jedoch inter- und intraindividuell in Abhängigkeit des jeweiligen Testparadigmas. Da bisher im deutschsprachigen Bereich nur wenige vergleichende Untersuchungen zu dHs vorliegen, wurden in dieser explorativen Studie 36 normalhörende Schulkinder im Alter von 8-12 Jahren mit der deutschen Version des "Dichotic Listening Test with CV-Syllables" (DL) von Hugdahl und Asbjörnson und dem "Dichotischen Diskriminationstest von Feldmann" (dDF) untersucht. In beiden Testverfahren werden verbale Stimuli dichotisch vorgegeben - Inhaltswörter im dDf und CV-Silben im DL. In der nonparametrischen Korrelationsanalyse fand sich ein nur geringer positiver Zusammenhang beider Testverfahren. Bei einer Betrachtung der ohrbezogenen Leistungen konnten moderate signifikante Korrelationen zwischen den Rechtsohrleistungen nachgewiesen werden. Auch zeigte sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen einem Rechtsohrvorteil im DL und dem Ergebnis des rechten Ohres im dDF.

Diese Befunde legen aufgrund der geringen konvergenten Validität nahe, dass bei der Einschätzung des dichotischen Hörens von Kindern mehrere Testverfahren eingesetzt werden sollten. Auch sind weitere Validitätsstudien zu dHs notwendig, um die Aussagekraft bei einzelfallbezogenen klinischen Fragestellungen genauer einschätzen zu können.


Text

Einleitung

Dichotische Hörtests (dH) sind ein wichtiger Bestandteil einer umfassenden Diagnostik der auditiven Perzeption von Kindern. Die Ergebnisse in dHs variieren jedoch inter- und intraindividuell in Abhängigkeit des jeweiligen Testparadigmas. In vielen Querschnitts- wie auch in einigen Längsschnittuntersuchungen zeigte sich z.B. bei rechtshändigen Kindern ein deutlicher Rechtsohrvorteil, der mit zunehmendem Alter abnimmt [3]. Weiterhin konnte eine klare Leistungszunahme im dichotischen Hören mit ansteigendem Alter festgestellt werden. Auffällig ist auch, dass bei jüngeren Kindern die Variabilität der Ergebnisse sehr hoch ist. Selbst zwei nacheinander durchgeführte dichotische Hörtests können unterschiedliche Ergebnisse erbringen. In dieser explorativen Studie sollte überprüft werden, welche korrelativen Zusammenhänge sich bei zwei deutschsprachigen dichotischen Hörtests ergeben, die unterschiedlich komplexe verbale Stimuli verwenden.

Methode

Es wurden insgesamt 30 rechtshändige Kinder untersucht (mittleres Alter 9;10 Jahre, Variationsbreite 8;0 bis 12;6 Jahre). Die Kinder wurden uns in einer Spezialsprechstunde wegen diverser Auffälligkeiten in der expressiven und/oder rezeptiven Sprachentwicklung und/oder schulischen Leistungsschwierigkeiten im Lesen, Schreiben oder Rechnen vorgestellt. Bei allen Kindern konnte bei unauffälligem HNO-ärztlichem Befund ein peripher normales Hörvermögen (Tonaudiogramm und Tympanogramm) festgestellt werden. Die Kinder wurden mit der deutschen Version des „Dichotic Listening Test with CV-Syllables" (DL) von Hugdahl und Asbjørnson (oJ) [5] und dem „Dichotischen Diskriminationstest von Feldmann" (dDF, [2], [6]) untersucht.

Im DL werden über Kopfhörer alle möglichen Paare von Konsonant-Vokal-Silben dichotisch vorgegeben, die sich aus den 6 Plosivlauten /b, d, g, p, t, k/ und dem Vokal /a/ zusammensetzen (wie z B. /da-ga/, /ta-pa/ insgesamt 36 Paare inklusive homophone Paare wie /ta-ta/). In der Gesamtversion des Tests werden drei Blöcke mit jeweils 36 Paaren vorgegeben, wobei in dem ersten Block keine Aufmerksamkeitslenkung instruiert wird, im zweiten die Aufmerksamkeit gezielt auf das rechte und im dritten Block gezielt auf das linke Ohr gelenkt wird. Der Proband soll jeweils angeben, welchen Stimulus er gehört hat. Ausgewertet werden nur die heterophonen Items (n=30). Es werden Werte für die rechts- und linksohrig gehörten Stimuli, den Gesamtscore und den Lateralitätsindex berechnet. In dieser Untersuchung wird nur über die Ergebnisse der ungelenkten Aufmerksamkeit (Testblock 1) berichtet.

Im dDF werden dichotisch Inhaltswörter vorgegeben. Über die genaue Testdurchführung und Auswertung des dDF bei Kindern wurde an anderer Stelle bereits ausführlich berichtet [1].

Ergebnisse

In Tabelle 1 [Tab. 1] finden sich die in beiden dichotischen Hörtests erzielten Ergebnisse. Die im DL erzielten Resultate (Mittelwerte und Standardabweichungen) fallen in die von den Testautoren angegebenen Bereiche der Normstichprobe der Kinder im Alter von unter 15 Jahren [5].

Da die Leistungen beider Tests positiv mit dem Lebensalter variieren, wurden zum Ausschluss von Alterseffekten partielle Korrelationen berechnet. In der nonparametrischen Korrelationsanalyse fand sich ein nur geringer positiver Zusammenhang beider Testverfahren. Bei einer Betrachtung der ohrbezogenen Leistungen konnten moderate positiv-signifikante Korrelationen zwischen den Rechtsohrleistungen in beiden Tests nachgewiesen werden [Tab. 2]. Diese Befunde weisen darauf hin, dass beide Testverfahren in weit überwiegendem Umfang unterschiedliche Aspekte verbaler Verarbeitungsprozesse erfassen.

Diskussion

Mit dem DL mit Konsonant-Vokal-Silben lassen sich bei rechtshändigen Probanden robuste Rechtsohrvorteile nachweisen. Auch in unserer Stichprobe waren die Leistungen im DL auf dem rechten Ohr besser als auf dem linken Ohr. Der Rechtsohrvorteil im DL lässt sich sehr wahrscheinlich durch einen hoch automatisierten sprachlichen Verarbeitungsprozess („bottom-up-Verarbeitung") erklären, der mit einer Asymmetrie im Planum temporale einhergeht, die die biologische Basis für den linkshemisphärisch dominanten Sprachverarbeitungsprozess darstellt [4]. Unsere Ergebnisse legen aufgrund der geringen konvergenten Validität nahe, dass mit dDF - zumindest in dem von uns untersuchten Alterskollektiv - nur in einem geringeren Umfang die automatisierte Sprachlateralisation erfasst wird. Wahrscheinlich fließen in die Ergebnisse des dDF in nicht unerheblichem Umfang komplexere Prozesse der Sprachverarbeitung („top-down-Verarbeitung") z.B. lexikalisch-semantische Dekodierung sowie verbale Gedächtniskapazität mit ein. Für die diagnostische Praxis lässt es sich deshalb als ratsam erachten, bei einer Einschätzung des dichotischen Hörens von Kindern mehrere Testverfahren einzusetzen, die verschiedene, voneinander abgrenzbare Ebenen der Sprachverarbeitung (z.B. phonologische, semantische und syntaktische Verarbeitungsprozesse) berücksichtigen. Um die Aussagekraft bei einzelfallbezogenen klinischen Fragestellungen genauer einschätzen zu können, sind jedoch noch weitere Validitätsstudien zu dichotischen Hörtests notwendig.


Literatur

1.
De Maddalena H, Watzlawick-Schumacher M, Arold R: Der dichotische Diskriminationstest von Feldmann in der Diagnostik von Kindern mit Lese- und Rechtschreibstörungen. Laryn Rhino Otol 2001; 80: 610-616
2.
Feldmann H (1965) Dichotischer Diskriminationstest, eine neue Methode zur Diagnostik zentraler Hörstörungen. Archiv Ohren-, Nasen- und Kehlkopfheilkunde 184: 294-329
3.
Hiscock M, Decter MH (1988) Dichotic listening in children. In: Handbook of dichotic listening: Theory, methods and research. Hugdahl K, Ed. pp 431-74. Chichester: John Wiley & Sons
4.
Hugdahl K (2003) Dichotic listening in the study of auditory laterality. In: K Hugdahl & RJ Davidson (Eds) The asymmetrical brain (p 441-475) Cambridge, MA: MIT Press
5.
Hugdahl K, Asbjørnson A (oJ) Dichotic listening with CV-syllables. Manual and CD. Bergen: Department of Biological and Medical Psychology
6.
Westra Electronic GmbH (1988) Audiometrie Disc Nr. 5. Dichotische Sprachtests. Wertingen: Westra