gms | German Medical Science

21. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie

10. bis 12.09.2004, Freiburg/Breisgau

Erfahrungen aus der phoniatrisch-pädaudiologischen Betreuung von Mädchen mit Ullrich-Turner-Syndrom

Vortrag

  • author presenting/speaker Silke Heidemann - Universitätsklinikum Leipzig - Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde, Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, Leipzig, Deutschland
  • Susanne Thiel - Universitätsklinikum Leipzig - Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde, Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, Leipzig, Deutschland
  • Michael Fuchs - Universitätsklinikum Leipzig - Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde, Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, Leipzig, Deutschland
  • Roland Täschner - Universitätsklinikum Leipzig - Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde, Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, Leipzig, Deutschland
  • author Eberhard Keller - Universitätsklinikum Leipzig - Klinik und Poliklinik für Kinderheilkunde, Abteilung Auxiologie, Leipzig, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 21. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP. Freiburg/Breisgau, 10.-12.09.2004. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2004. Doc04dgppV07

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/meetings/dgpp2004/04dgpp16.shtml

Published: September 9, 2004

© 2004 Heidemann et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution License (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.en). You are free: to Share – to copy, distribute and transmit the work, provided the original author and source are credited.


Zusammenfassung

Kinder und Jugendliche mit einem Ullrich-Turner-Syndrom werden mit dem Wachstumshormon STH als Mono- oder mit STH und dem Testosteronabkömmling Oxandrolon als Kombinationstherapie behandelt. Daher werden diese Patienten in einer phoniatrisch-pädaudiologischen Dispensaireuntersuchung betreut, um rechtzeitig Therapieauswirkungen auf die Stimme zu diagnostizieren.

Wir untersuchten 24 Mädchen im Alter von 5 bis 20 Jahren, von denen 9 mit STH und 15 Mädchen mit STH und Oxandrolon behandelt wurden. Neben einer kompletten HNO-Untersuchung mit Videolaryngoskopie und einem auditiven Stimmstatus wurden regelmäßig Tonschwellenaudiogramme erstellt.

Bis auf ein Kind mit Stimmlippenknötchen diagnostizierten wir bei allen anderen Patienten physiologische kindliche Kehlkopfverhältnisse und unauffällige auditive Stimmbefunde, insbesondere eine Absenkung der mittleren Sprechstimmlage in der Gruppe mit Oxandrolontherapie konnte nicht festgestellt werden. Insgesamt fanden sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Patientengruppen. Bei 12 von 24 Kindern fielen Hörstörungen im Sinne einer Schallempfindungsstörung auf, ein Kind litt an einer chronischen Otitis media mit kombinierter Schwerhörigkeit.

Eine regelmäßige phoniatrische und pädaudiologische Mitbeurteilung erscheint notwendig, um rechtzeitig eine Hörstörung zu diagnostizieren und eine Therapie einzuleiten sowie pathologische Absenkungen der mittleren Sprechstimmlage als Folge der Oxandrolonwirkung am Kehlkopf auszuschließen


Text

Einleitung

Das Ullrich-Turner-Syndrom UTS ist ein Symptomenkomplex, der durch eine Anomalie der Geschlechtschromosomen entsteht und ausschließlich bei Mädchen und Frauen vorzufinden ist. Mit 1 : 2500 Mädchengeburten ist die Prävalenz des Syndroms relativ häufig. Die Erkrankung ist gekennzeichnet durch das totale oder teilweise Fehlen eines der beiden X-Chromosomen in einigen oder allen Körperzellen oder den Verlust eines Stückes des X-Chromosoms. Neben einer ausbleibenden Pubertätsentwicklung ist der Kleinwuchs ein weiteres Leitsymptom der Erkrankung. Ohne Therapie erreichen die Mädchen eine durchschnittliche Endgröße von 146,8 cm. Weitere typische Veränderungen im Erscheinungsbild können ein Pterygium colli, Fehlbildungen innerer Organe, Ptosis, gotischer Gaumenbogen, Schwerhörigkeit, Ohrmuscheldysplasie und Lymphödeme sein, die in unterschiedlicher Ausprägung und Häufung vorkommen und nur eine Auswahl von Auffälligkeiten darstellen. Die medikamentöse Behandlung betrifft sowohl die Therapie der Ovarialinsuffizienz mit Geschlechtshormonen als auch die Behandlung des Kleinwuchses. Die Wachstumstherapie erfolgt als Monotherapie mit dem Wachstumshormon STH oder als Kombinationstherapie von STH mit dem Testosteronabkömmling Oxandrolon. Da Oxandrolon zu einem nicht gewünschten Kehlkopfwachstum mit irreversibler Absenkung der Sprechstimmlage führen kann, ist eine phoniatrische Mitbetreuung der Patienten notwendig [1].

Material und Methode

Wir untersuchten 42 aus hno-ärztlicher Sicht gesunde Mädchen im Alter von 5 bis 20 Jahren, die innerhalb der letzten 10 Jahre gemeinsam mit der Abteilung für Auxologie an der Kinderklinik der Universität Leipzig in einer Dispensairesprechstunde betreut wurden. Von diesen Kindern wurden 21 mit der Kombinationstherapie aus STH und Oxandrolon und 21 ausschließlich mit STH behandelt. Die Erstvorstellung in unserer Abteilung erfolgte zu Beginn der wachstumsfördernden Therapie, wobei Mädchen mit ausschließlicher STH-Monotherapie nur einmal HNO-ärztlich diagnostiziert wurden. Alle Kinder mit einer Kombinationstherapie wurden zusätzlich einmal jährlich phoniatrisch-pädaudiologisch im Sinne einer Verlaufsbeurteilung untersucht. Die Diagnostik bestand aus einer HNO-Untersuchung einschließlich Videolaryngoskopie, weiterhin erstellten wir einen Stimmstatus (Stimmklang, Stimmgebung, mittlere ungespannte und gespannte Sprechstimmlage, Tonhöhenumfang, Stimmeinsatz, Tonhaltedauer) und ein Tonschwellenaudiogramm.

Ergebnisse

Bei allen Patienten konnten kindliche Kehlkopfverhältnisse mit variablem Glottisspalt bei Phonation diagnostiziert werden. Lediglich ein Kind aus der Gruppe mit Kombinationstherapie wies Stimmlippenknötchen im Sinne von Schreiknötchen auf und wurde deshalb von der weiteren Bewertung ausgeschlossen. Unterschiede zwischen beiden Untersuchungsgruppen konnten nicht festgestellt werden.

In der Gruppe der Kinder mit Kombinationstherapie wurde der Stimmstatus vor und nach Therapie verglichen und bewertet. Als Bewertungskriterien wurden der Stimmklang, die mittlere ungespannte Sprechstimmlage und der Stimmumfang untersucht. Eine pathologische Absenkung der ungespannten mittleren Sprechstimmlage im Rahmen der Oxandrolontherapie konnte nicht festgestellt werden. Nach dem RBH-Schema für Rauhigkeit, Behauchtheit und Heiserkeit nach Isshiki und Takeuchi war der Stimmklang vor wachstumsfördernder Therapie mit 95% und nach Therapie mit knapp 90% annähernd unverändert. Die Stimmbefunde führten in keinem Fall zu einem Abbruch der Hormontherapie [Tab. 1] [Tab. 2].

Die Tonschwellenaudiogramme ergaben bei reichlich der Hälfte aller Kinder ein Normalgehör, bei einem Drittel eine Schallleitungsschwerhörigkeit und bei fast 15% der Kinder eine Schallempfindungsschwerhörigkeit. Ein Kind musste wegen beidseitiger chronischer Otitis media mit Cholesteatomverdacht mehrfach operiert und anschließend mit knochenverankerten Hörgeräten versorgt werden. Wegen einer Schallempfindungsschwerhörigkeit erfolgte eine Hörgeräteversorgung bei weiteren 2 Kindern.

Diskussion

Die aufgrund der Therapie mit einem Testosteronabkömmling zu erwartende Beeinflussung des Stimmbefundes, insbesondere eine pathologische Absenkung der ungespannten mittleren Sprechstimmlage, lässt sich an den von uns untersuchten Mädchen nicht nachweisen. Offensichtlich konnte entsprechend der Erfahrungen eine zunehmend sensiblere, nebenwirkungsärmere Medikamenteneinstellung vorgenommen werden. Die ermittelten Werte entsprachen dem physiologischen Wechsel der kindlichen Stimme in eine weibliche Erwachsenenstimme im Rahmen der Pubertätsentwicklung [1]. Andererseits erscheint uns eine regelmäßige Kontrolle der phoniatrischen Befunde als zwingend erforderlich, da im Einzelfall eine irreversible Absenkung der Stimmlage resultieren kann. In diesem Fall muß eine Beendigung der Oxandrolontherapie erfolgen.

Die mit fast 50% ermittelte Häufigkeit auffälliger audiologischer Befunde bedingt weiterhin zwingend eine entsprechende audiologische Diagnostik im Rahmen der Erstvorstellung. Bei Schallleitungs- oder Schallempfindungsschwerhörigkeiten sind regelmäßigen Kontrollen erforderlich [2].

Zusammenfassend erscheint sowohl eine phoniatrische als auch pädaudiologische Mitbeurteilung der betroffenen Kinder und Jugendlichen sinnvoll, um rechtzeitig eine Hörstörung diagnostizieren und eine Therapie einzuleiten sowie pathologische Absenkungen der mittleren Sprechstimmlage als Folge der Oxandrolonwirkung am Kehlkopf auszuschließen.


Literatur

1.
Andersson-Wallgren G, Abertsson-Wikland K (1994) Change in speaking fundamental frequency in hormone-treated patients with Turner`s syndrome-a longitudinal study of four cases. Acta Paediatr 83(4):452-55
2.
Stenberg AE et al (1998) otological problems in children with Turner`s syndrome. Hear Res 124 (1-2): 85-90