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20. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

12. bis 14.09.2003, Rostock

Die Entwicklung der auditiven Sensibilität der Stimm- und Sprechfunktion Cochlea-implantierter Patienten

Vortrag

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  • corresponding author Gabriele Witt - Universität Rostock, HNO-Klinik "Otto Körner", Abt. Phoniatrie-Pädaudiologie, Doberaner Str. 137-139, D-18059 Rostock, Tel. 0381-4948393, Fax 0381-4948392
  • Rüdiger Dahl - Universität Rostock, HNO-Klinik "Otto Körner", Abt. Phoniatrie-Pädaudiologie, Doberaner Str. 137-139, D-18059 Rostock, Tel. 0381-4948393, Fax 0381-4948392
  • Katrin Neumann - Universität Rostock, HNO-Klinik "Otto Körner", Abt. Phoniatrie-Pädaudiologie, Doberaner Str. 137-139, D-18059 Rostock, Tel. 0381-4948393, Fax 0381-4948392
  • Andrea Köhlmann - Universität Rostock, HNO-Klinik "Otto Körner", Abt. Phoniatrie-Pädaudiologie, Doberaner Str. 137-139, D-18059 Rostock, Tel. 0381-4948393, Fax 0381-4948392

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 20. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP. Rostock, 12.-14.09.2003. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2003. DocV41

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/meetings/dgpp2003/03dgpp089.shtml

Published: September 12, 2003

© 2003 Witt et al.
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Zusammenfassung

Das Auftreten stimmlicher Veränderungen nach postlingualer Ertaubung ist bekannt, wobei Ausmaß und Charakter der Dysphonie individuell verschieden sind.Ebenso unterschiedlich gestaltet sich die spontane stimmliche Rekonvaleszenz nach Cochlea-Implantation (CI). Aus der Behandlung normalhörender Patienten ist bekannt, daß die auditive Sensibilität ein Faktor ist, der den Erfolg einer Stimmtherapie wesentlich beeinflusst. Die vorliegende Studie hatte deshalb zum Ziel zu prüfen, ob nach mehrjähriger Gehörlosigkeit und CI eine auditive Sensibilität erreicht werden kann, die Normalhörenden vergleichbar ist. Die auditive Sensibilität wurde bei 12 postlingual ertaubten CI-Patienten 3 Monate und 2 Jahre postoperativ mit dem Sensi-Test nach PAHN untersucht, der die Hörverarbeitung anhand perzeptiver und produktiver Leistungen prüft. Die Untersuchungsergebnisse zeigen bei großer individueller Schwankbreite eine gute Entwicklung der zentral-auditiven Leistungen im beobachteten Zeitraum.


Text

Einleitung

Die Bedeutung der Stimmqualität für die Kommunikation als primäres Eindrucks- und Ausdrucksorgan ist bekannt. Unkorrekte oder ungewohnte Stimmgebung schafft zumindest Irritationen, mitunter auch Missverständnisse in der Bewertung des gesprochenen Wortes durch den Zuhörer. Dennoch werden CI-Patienten meistens nur hinsichtlich ihres Tongehörs, ihres Sprachverständnisses und ihrer sprachproduktiven Fähigkeiten untersucht. In der Rehabilitation Cochlea-implantierter Patienten fallen bereits präoperativ große Unterschiede im Stimmgebrauch auf, die sich postoperativ in unterschiedlichem Maße verändern. Ziel der vorliegenden Untersuchungen war es deshalb, die stimmlichen Ausdrucksweisen der praktisch gehörlosen Patienten festzuhalten und ihre stimmliche Entwicklung unter Wiedererlangung der Hörfähigkeit zu verfolgen.

Material und Methode

Die Stimme in der Kommunikation und als Ausdrucksmittel ist sehr vielschichtig. Die meisten Messmethoden beschränken sich auf einzelne Stimmmerkmale. Eine Stimmsignalanalyse am gehaltenen Vokal gibt z.B. keine Informationen über prosodische und dynamische Eigenschaften der Stimme. Wir haben deshalb bei unseren Untersuchungen den „Test der Sensibilität für formale stimm-sprachliche Elemente" nach PAHN in modifizierter Form angewandt, der mehrere Stimmmerkmale bei fließender Sprache und Stimmgebung prüft.

Schwerpunkte des Tests sind Tonbewegung, Stimmeinsatz, Tonhöhe, Rhythmus, Stimmdynamik und Silbenerkennung in Einzelpositionen und in Kombinationen. Die Fähigkeiten des Patienten werden in allen diesen Teilbereichen sowohl in perzeptiver als auch in produktiver Hinsicht untersucht. Es ist damit also keine Beurteilung der Stimme z.B. im Hinblick auf ihre Klarheit, ihren Umfang, ihre Lage oder ihre Tragfähigkeit möglich. Wichtige Kriterien jedoch, die auch Rückschlüsse auf die periphere Hörfähigkeit und die zentrale Hörverarbeitung der Patienten zulassen, sind beurteilbar.

Der Test umfasst im Original im ersten Teil das Anbieten und Nachahmen von Beispielen stimm-sprachlicher Elemente mit nachfolgender Bewertung durch den Untersucher, im anschließenden zweiten Teil die vergleichende Beurteilung durch den Probanden. Die maximale Punktzahl im Test wird von störungsfreien, geschulten Stimmen erreicht. Die normalhörende, stimmlich nicht geschulte Population erreicht durchschnittlich 75% der Gesamtpunktzahl. In der vorliegenden Untersuchungsserie wurde auf den zweiten Teil des Tests verzichtet, der sehr hohe Anforderungen an die auditive Wahrnehmungsfähigkeit und den Stimmgebrauch stellt und von Cochlea-implantierten Patienten nicht zu bewältigen ist.

Es wurden 14 postlingual ertaubte erwachsene Patienten untersucht. Die erste Testung wurde 3 Monate nach Erstanpassung des Sprachprozessors durchgeführt. Es wurde davon ausgegangen, dass die Hörgewöhnung zu diesem Zeitpunkt noch gering ist und die Stimmqualität etwa der während der Zeit der Gehörlosigkeit gleicht. Die zweite Testung erfolgte nach 2-jährigem Hörtraining ohne stimmtherapeutische Maßnahmen. Alle Patienten, die an diesem Test teilnahmen, hatten mit dem Cochlea Implantat (CI) ein offenes Sprachverstehen erreicht. Es ist bei ihnen also von einer sehr guten Hörqualität mit dem CI auszugehen.

Ergebnisse

[Abb. 1] zeigt die Testergebnisse in durchschnittlicher Betrachtung der Leistungen der Patienten 3 Monate und 2 Jahre nach Cochlea Implantation. Bei der Erstuntersuchung liegen die Leistungen der Patienten in allen Aufgabenbereichen unter den Normwerten Normalhörender. Die besten Werte wurden bei rhythmischen Aufgaben und bei der Silbenerkennung erreicht. Nach 2-jährigem Hörtraining unterschieden sich die stimmlichen Fähigkeiten auf diesen Gebieten nur noch geringfügig von dem Niveau Normalhörender. Positiv wirkten sich auf die Stimmqualität vor allem aber die Verbesserungen in der Tonhöhenunterscheidung und in der Tonbewegung aus [1]. Deutliche Veränderungen der Stimmdynamik waren nicht erkennbar, obwohl die Patienten die durchschnittliche Lautstärke ihrer Sprechstimme besser regulieren konnten [2].

Noch klarer kommt die Entwicklung im betrachteten Zeitraum in [Abb. 2] zur Darstellung. Aus den verschiedenen Aufgabenstellungen des Tests wurden Ergebnisse nach Schwerpunkten geordnet. Die prozentualen Angaben beziehen sich auf die maximal erreichbare Punktzahl. Die größte Entwicklung durchlaufen dabei die Qualität des Stimmeinsatzes, der Tonhöhenunterscheidung und der Tonbewegung. Die Stimmdynamik zeigt keinen Zuwachs und die rhythmischen Fähigkeiten verbessern sich nur unwesentlich. In der Summe aller untersuchten Leistungen tritt eine positive Entwicklung um 11% (von 35% auf 46% der Maximalwerte) ein.

Diskussion

Die vorliegenden Untersuchungsergebnisse dokumentieren zunächst die Veränderungen im Stimmgebrauch, die sich bei postlingual gehörlosen und resthörigen Patienten im Laufe der Erkrankung einstellen. Sie betreffen alle in dieser Studie untersuchten Bereiche der Stimmfunktion. Die relativ gut erhaltenen Fähigkeiten in Rhythmik und Silbenerkennung erklären sich aus dem in der Regel vorhandenen Restgehör der Patienten. Eine Tonhöhenunterscheidung, die Erkennung geringer Tonbewegungen und die auditive Kontrolle eines guten Stimmeinsatzes sind jedoch nur bei gutem pankochleären Hörvermögen möglich. Die kinästhetische Kontrolle hat bei den untersuchten Patienten diesbezüglich keine vollständige Kompensation geschaffen.

Die Cochlea Implantation führt mit der Erstanpassung des Sprachprozessors zur Wiedererlangung der Hörfähigkeit, die nun das ganze Frequenzspektrum menschlichen Sprachgehörs umfasst und eine Lautstärkeunterscheidung möglich macht. Obgleich der technische Prozess der Funktionsaufnahme des Implantats schnell reguliert ist, zeigen die Untersuchungsergebnisse, dass es eines längeren Prozesses der Hörgewöhnung bedarf, bevor alle Möglichkeiten des Hörens in vollem Maße genutzt werden. Neben den bekannten Fortschritten im Sprachverständnis gelingt den Patienten im Laufe der Rehabilitation auch zunehmend eine bessere Stimmregulation. Dies äußert sich insbesondere in den Bereichen, die in den Jahren der Gehörlosigkeit defizitär waren. Vorrangig verbessert sich das Frequenzunterscheidungsvermögen. Die vorliegenden Untersuchungsergebnisse lassen vermuten, dass die Lautstärkedifferenzierung nach Cochlea Implantation nur grob möglich ist, da die Stimmdynamik den Patienten große Probleme bereitete. Mögliche Ursachen dieser Beobachtung sind zentrale Prozesse der Hörverarbeitung der Patienten oder aber Grenzen in der Sprachkodierung und Stimulation der Elektroden der Cochlea Implantate.

Schlussfolgerungen

Die vorliegenden Untersuchungsergebnisse zeigen, dass postlingual resthörige und gehörlose Patienten Veränderungen in der Stimmgebung aufweisen. Diese Veränderungen sind nach Cochlea Implantation teilweise reversibel. Die ausbleibende Verbesserung der Stimmdynamik sollte Anlass zu weiteren Untersuchungen sein, die eine mögliche Verbesserung der Sprachkodierung zum Ziel haben. Außerdem sollten stimmtherapeutische Aspekte in das Rehabilitationskonzept der postlingual ertaubten Cochlea-implantierten Patienten aufgenommen werden.


Literatur

1.
Müller, R, Senf, D, Kircheis, G, Hloucal, U, Wrede, H: Longitudinale Erfassung von Stimmparametern bei Trägern eines mehrkanaligen Cochlea-Implantates. In: Aktuelle phoniatrisch-pädaudiologische Aspekte 2001/2002. Median-Verlag von Killisch-Horn GmbH, Heidelberg, 188-191
2.
Dahl, R, Witt, G, Neumann, K: Stimmparameter, Intonation und Akzentuation nach Cochlea-Implantation. In: Aktuelle phoniatrisch-pädaudiologische Aspekte 2003/2004