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Anhaltende Trauerstörung – kritische Reflexion einer neuen Diagnose (ICD-11) an der Schnittstelle von Allgemein- und Palliativmedizin
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Published: | September 5, 2017 |
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Hintergrund: Die neue ICD-11-Diagnose Anhaltende Trauerstörung hat im Hospiz-/Palliativbereich kontroverse Diskussionen ausgelöst. Befürchtet wird eine Pathologisierung von Trauer u.a. durch unreflektierte Diagnosestellung. Die Betroffenen befinden sich v.a. in hausärztlicher Versorgung, insofern handelt es sich hier um eine Schnittstelle des palliativmedizinisch-hospizlichen und allgemeinärztlichen Bereichs. Hausärzte tragen hierbei eine wesentliche Verantwortung, um Betroffene eine angemessene Versorgung zu ermöglichen.
Fragestellung: Wissenschaftliche Basis der Anhaltenden Trauerstörung? Wo besteht Verbesserungs- und Forschungsbedarf? Welche Konsequenzen bestehen für die hausärztliche Versorgung und die Palliativmedizin? Gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse zu medikamentöser Therapie?
Methoden: Literaturauswertung
Ergebnisse: Die Diagnose beruht auf wissenschaftlichen Forschungsergebnissen, allerdings waren die untersuchten Gruppen nicht für alle Trauerverläufe repräsentativ. Es bedarf genauer Diagnostik, um Fehldiagnosen zu vermeiden. In der Palliativmedizin braucht es gezielter Prävention, um Risikopatienten zu identifizieren, sowie regelhafte Kommunikation mit deren Hausärzten. Zum Einsatz von Medikamenten bei normaler Trauer liegen Ergebnisse und Indikationen vor, aber auch für medikamentöse Behandlung bei Anhaltender Trauerstörung gibt es keine Evidenz.
Diskussion: Prävention, Diagnostik und fachgerechte Behandlung von Patienten mit Anhaltender Trauerstörung bedürfen Sorgfalt und Umsicht, um den Betroffenen gerecht zu werden, aber auch um der Sorge vor allgemeiner Pathologisierung von Trauer zu begegnen. Experten raten bei Trauerstörung zu einem zurückhaltenden Einsatz von Medikamenten. Wichtige Bausteine sind die Vernetzung von Trauerangeboten zur hausärztlichen Versorgung, sowie regelhafte Kommunikation aller Beteiligten. Weitere Forschung zu unterschiedlichen Trauerverläufen ist notwendig, um breitere Evidenz für die Kriterien der Störung zu erzielen. Es bedarf der Reflexion individueller und gesellschaftlicher Vorbehalte gegenüber psychiatrischen Diagnosen. Zudem sind niedergelassene Psychotherapeuten gefragt, qualifizierte und niedrigschwellige Behandlungsmöglichkeiten anzubieten.