gms | German Medical Science

GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Lehre am Puls der Zeit - Global Health in der Medizinischen Ausbildung: Positionen, Lernziele und methodische Empfehlungen

Cutting-Edge Education - Global Health in Medical Training: Prosposals, Educational Objectives and Methodological Recommendations

Kommentar und Hypothese/commentar/hypothese Humanmedizin

  • corresponding author Kayvan Bozorgmehr - Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd), AG Public Health, Globalisation and Health Initiative (GandHI), Bonn, Deutschland
  • author Katharina Last - Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd), AG Public Health, Globalisation and Health Initiative (GandHI), Bonn, Deutschland
  • author Alexandra D. Müller - Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd), AG Public Health, Globalisation and Health Initiative (GandHI), Bonn, Deutschland
  • author Kirsten Schubert - Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd), AG Public Health, Globalisation and Health Initiative (GandHI), Bonn, Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2009;26(2):Doc20

doi: 10.3205/zma000612, urn:nbn:de:0183-zma0006128

Received: March 2, 2009
Revised: March 24, 2009
Accepted: March 24, 2009
Published: May 15, 2009

© 2009 Bozorgmehr et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution License (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.en). You are free: to Share – to copy, distribute and transmit the work, provided the original author and source are credited.


Zusammenfassung

Zielsetzung:

Formulierung einer Leitlinie zu Lernzielen und der praktischen Umsetzung eines disziplinübergreifenden Fachgebiets „Global Health“ für die medizinische Ausbildung in Deutschland aus Sicht der Bundesvertretung der Medizinstudierenden (bvmd).

Methodik:

Expertenauswahl: Initiierung des Arbeitskreises „Global Health Curriculum“ innerhalb der Globalisation and Health Initiative (GandHI) der bvmd im Mai 2008.

Literaturrecherche: Nicht-systematische Recherche und Bewertung nationaler und internationaler Literatur zu Global Health in der medizinischen Ausbildung.

Erstellung:

Mehrstufiger Konsensbildungsprozess von Mai 2008 bis Januar 2009 durch Workshops, Arbeitstreffen, Gruppendiskussionen, Telefonkonferenzen und Email-Kommunikation, initiert und koordiniert durch den Arbeitskreis „Global Health Curriculum“ der GandHI.

Ergebnisse:

1. Positionen: Die bvmd plädiert für

i) eine Aufnahme des disziplinübergreifenden Fachgebiets Global Health als Wahlpflichtfach in Anlage 3 (zu § 2 Abs. 8 Satz 2) der ÄApprO 2002 für die Zulassung zum Zweiten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung,
ii) die Einführung von Lehrangeboten zu Global Health an allen medizinischen Fakultäten sowie die Verankerung dieser Angebote in den medizinischen Curricula als Wahlpflichtfach,
iii) eine grundsätzliche Orientierung der Lehrangebote zu Global Health an den medizinischen Fakultäten am „Health for All“ Prinzip der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als ethisch-moralische Grundlage sowie
iv) eine Orientierung an modernen Lehr- und Lernmethoden wie Kleingruppenunterricht, Gruppendiskussionen, problemorientiertem Lernen, Fallbeispielen sowie community-based-learning.

2. Lernziele: Formulierung von 15 allgemeinen Lernzielen, aufbauend auf den Positionen (ii) und (iii).

3. Themenkatalog: Bestehend aus

Cluster 1: „Politics, Policies and Polity“,
Cluster 2: „Individual and Population Health“ und
Cluster 3: „Social and Transborder Determinants of Health“ zur Erarbeitung von themenspezifischen Lernzielen.

4. Methodische Empfehlungen: Aufbauend auf Position (iv) wird nahe gelegt, entsprechende Kurse als Tagesveranstaltung in Seminarform mit einer Dauer von 4 Semesterwochen anzubieten.

Schlüsselwörter: ärztliche Ausbildung, Medizinstudium, Globalisierung, Global Health, Globale Gesundheit, Public Health, Sozialmedizin, International Health, Internationale Gesundheit, Curriculum, Wahlfach, Health for All, Gesundheit für Alle, Community-based learning

Abstract

Aim:

To formulate a guideline on educational objectives and methodology for the implementation of the cross-disciplinary subject “Global Health” in German medical education, on the initiative of the German Medical Students’ Association (bvmd Germany).

Methods:

Coordination: For this purpose, the Globalisation and Health Initiative (GandHI) of bvmd Germany established the “Global Health Curriculum” working group in May 2008.

Literature review: Review and assessment of available international literature regarding Global Health in medical education.

Development: Multilevel consensus development process from May 2008 to January 2009 by means of workshops, group discussions, teleconferences, and e-mail.

Results:

1. Proposals: The bvmd Germany calls for

i) the incorporation of the cross-disciplinary subject “Global Health” into the list of mandatory elective courses in Appendix 3 (Art. 2, Para. 8, Clause 2) of the German licensing regulations (ÄApprO 2002), which govern admission to the Second State Examination (Zweiter Abschnitt der Ärztlichen Prüfung);
ii) the creation of Global Health course offerings at every medical faculty in Germany and the integration of Global Health into the mandatory elective module of respective medical curricula;
iii) the modelling of the Global Health course offerings on the WHO “Health for All” framework, especially with respect to ethics; as well as
iv) the adoption of modern approaches of teaching and learning, e.g., group discussions, case studies, problem-based and community-based learning.

2. Educational objectives: The formulation of 15 general educational objectives based on proposals (ii) and (iii).

3. Topics: Three clusters shall formulate specific objectives:

Cluster 1, “Politics, Policies and Polity”;
Cluster 2, “Individual and Population Health”; and
Cluster 3, “Social and Transborder Determinants of Health.”

4. Methodological recommendations: Regarding form, duration, and implementation of courses.

Keywords: medical education, medical training, globalization, global health, public health, social medicine, international health, curriculum, health for all, community-based learning


Einleitung

Der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V. (bvmd) ist es ein besonderes Anliegen, auf die Herausforderungen der medizinischen Ausbildung in Deutschland einzugehen.

Bereits 2006 hat die bvmd in ihrem „Kerncurriculum für die Medizinische Ausbildung in Deutschland“ [1] im Ansatz die Bedeutung der Einflüsse von Umwelt, Kultur und der Globalisierung für die ärztliche Ausbildung hervorgehoben. Das hier vorliegende Dokument, entstanden aus der Arbeit der „Globalisation and Health Initiative“ (GandHI) der bvmd, ist Ausdruck unseres Bemühens diesen Aspekten hinsichtlich ihrer Bedeutsamkeit für ein zeitgemäßes Studium der Humanmedizin die notwendige Aufmerksamkeit und einen angemessenen Stellenwert einzuräumen.

Die kommende Generation von Ärzten, aufgewachsen in einer globalisierten Welt, sollte deren Entwicklung zukünftig mitgestalten [2]. Durch die politische Moralität des hippokratischen Eides nimmt der Arzt in Gesellschaft und Politik eine besondere Rolle ein. Diese Rolle kann und sollte genutzt werden um daheim und weltweit auch außerhalb von Krankenhaus oder Praxis als Gesundheitsadvokat zu wirken [3].

Die gesellschaftlichen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts bedürfen einer aufgeklärten Generation von Ärzten, die sich im Sinne der Internationalen Konferenz zu Primary Health Care in Alma Ata 1978 für die umfassende Gesundheit aller einsetzt und Lösungsansätze auf verschiedensten Ebenen mitgestaltet. Die entsprechende Forderung, Reformen in der Ausbildung an ihren Universitäten einzuleiten um die technischen sowie sozialen Voraussetzungen für „Health for All“ zu ermöglichen, formulierte die WHO bereits 1984 in einem Strategiepapier an ihre Mitgliedstaaten [4].

Die Zusammenführung von sozialmedizinischen bzw. Public Health-Themen mit internationalen Aspekten der Gesundheit kann zu diesem geforderten ganzheitlichen Verständnis von grenzüberschreitenden und sozialen Determinanten von Gesundheit beitragen. Durch die Auseinandersetzung mit Faktoren wie z.B. Armut, Verschuldung, Globalisierung, Finanz- und Gesundheitssysteme, Menschenrechte, internationalen Organisationen, Umwelt, Gewalt und Konflikten können Studierende ihr Verständnis des Gesundheitsbegriffs erweitern und diese in einem nächsten Schritt auch auf ihre lokale Situation anwenden.

Das Lehr- und Forschungsfeld Global Health erweitert die „klassischen“, meist auf Infektionskrankheiten fokussierten Aspekte der medizinischen Ausbildung im internationalen Bereich um eine interdisziplinäre und ganzheitliche Dimension. Wie von Rowson et al. [5] formuliert, handelt es sich um „[…] ein Lehr-, Lern- und Forschungsfeld, welches sich mit Gesundheit und deren weltweiten sozialen, ökonomischen, politischen und kulturellen Einflüssen beschäftigt. Das Fachgebiet hat historisch gesehen eine Verbindung mit den Bedürfnissen von Entwicklungsländern, beschäftigt sich jedoch in der aktuellen fachlichen Auseinandersetzung ebenso mit sämtlichen gesundheitsbezogenen Angelegenheiten, die nationalstaatliche Grenzen überschreiten. Darin inbegriffen sind die mannigfaltigen Auswirkungen der Globalisierung sowohl auf Entwicklungsländer als auch auf Industrieländer. Es ist ein interdisziplinäres Fachgebiet, welches Aspekte aus den Natur- und Sozialwissenschaften (z.B. Anthropologie, Soziologie, Politikwissenschaft, Ökonomie, Friedens- und Konfliktforschung) einbezieht, um die sozialen Zusammenhänge und Maßnahmen zu verstehen, die zu einer Verbesserung der Gesundheit weltweit beitragen“ [5].

Die Brisanz, Interdependenz und Komplexität weltweiter Ereignisse wie die Zusammenhänge zwischen Globalisierung und Gesundheit [6], [7], [8], [9] machen Global Health als disziplinübergreifendes Feld nicht nur besonders interessant, sondern auch explizit notwendig. Angesichts der epidemiologischen, strukturellen und ethischen Herausforderungen des Gesundheitssektors in der rasch zusammenwachsenden Welt des 21. Jahrhunderts, ist die intensive Auseinandersetzung mit diesen Themen, auch und insbesondere in den Gesundheitsberufen, unabkömmlich. Um diesen Herausforderungen gerecht zu werden benötigen zukünftige Akteure im Gesundheitswesen eine weite Public Health Perspektive, die Fähigkeit zu interdisziplinärer und sektorenübergreifender Arbeit sowie die Kompetenz, politische Prozesse auf lokaler, nationaler und globaler Ebene zu beeinflussen [10].

In diesem Sinne ist Global Health in der medizinischen Ausbildung somit eine unverzichtbare Voraussetzung. Diese Tatsache ist international schon erkannt worden und Global Health ist an medizinischen Fakultäten in den USA, England, Schweden und den Niederlanden sowie an Hochschulen in den Ländern des Südens entweder als eigener Studiengang oder als studienbegleitender interdisziplinärer Vertiefungskurs etabliert. Beispiele hierfür sind die „Harvard Initiative for Global Health“ (http://www.globalhealth.harvard.edu), das „Johns Hopkins Center for Global Health“ der Johns Hopkins University in Baltimore (http://www.hopkinsglobalhealth.org), der „Global Health Course“ an der University of the Philippines in Manila (http://www.globalhealthcourse.org), sowie der „Intercalated Bachelor of Science in International Health“ des Centre for International Health and Development des University College London (http://www.ihmec.ucl.ac.uk/) [11].

Trotz der Bedeutung der oben geschilderten Zusammenhänge für die medizinische Ausbildung und ärztliche Tätigkeit [2], [3], [5], [11], [12], [13], [14], [15], weist das Medizinstudium in Deutschland Defizite in der Lehre bezüglich internationalen Aspekten der Gesundheit auf [16], [17]. An den (ehemals) 37 medizinischen Fakultäten in Deutschland konnten bei einer Studie des Missionsärztlichen Instituts in Würzburg und der Abteilung Tropenhygiene und Öffentliches Gesundheitswesen der Universität Heidelberg lediglich sieben Lehrveranstaltungen mit klarem Bezug zu Gesundheitsproblemen in Entwicklungsländern bzw. mit internationalem Bezug identifiziert werden [18], [16]. Eine Datenerhebung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) [17] identifizierte an allen medizinischen Fachbereichen in Deutschland im Jahre 2005 lediglich zwei medizinische Fakultäten (Berlin und Heidelberg), die den Studiengang International Health anboten. Die Größe der Studiengänge anhand der Studierendenzahlen im Jahr 2005 lag bei diesen Kursen deutlich unter 50 für das erste Semester.

Dieses Bild wird von den vorläufigen Ergebnissen einer Querschnittsstudie bestätigt [19], die die Globalisation and Health Initiative (GandHI) in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Ärzteblatt Studieren.de 2007 durchgeführt hat. Von 1126 befragten Teilnehmern hatten 28% (n=320) die Begriffe „Globale Gesundheit“, „Global Health“ oder „International Health“ vor der Teilnahme an der Befragung noch nie gehört. 91% (n=1020) gaben an, noch nie an einem Global Health Kurs teilgenommen zu haben, während 84% (n=951) auch noch nie an einem Kurs der Tropenmedizin teilgenommen hatten. Insgesamt 39% (n=437) der Befragten fanden das Angebot an Global Health Kursen nicht ausreichend, 55 % (n=614) konnten das Angebot nicht beurteilen und lediglich 7% waren somit mit dem Angebot zufrieden.

Die Auseinandersetzung mit Global Health in der medizinischen Ausbildung möchten wir von studentischer Seite anstoßen und begleiten. Zu diesem Zweck hat die bvmd ihre Positionen, Lernziele und methodischen Empfehlungen hinsichtlich der Einführung von Global Health in die medizinische Ausbildung formuliert [20], die hier in verkürzter Form als Leitlinie wiedergegeben werden. Eine ausführliche Version wurde als Positionspapier am 10. Januar 2009 vom Plenum der bvmd angenommen.

Mit dieser Leitlinie bzw. dem Positionspapier hoffen wir, die Diskussion um mögliche Konzepte zur Erweiterung der medizinischen Ausbildung um das disziplinübergreifende Fachgebiet Global Health anzuregen, bestehende fachliche Ressourcen unter diesem Dach zu vereinen und von studentischer Seite Beiträge für eine Aufwertung von Public Health, International Health sowie globalen sozialen Fragen in der medizinischen Ausbildung zu leisten.


Methodik

Expertenauswahl: Auf der Mitgliederversammlung der bvmd im Mai 2008 in Göttingen wurde der Arbeitskreis „Global Health Curriculum“ innerhalb der Globalisation and Health Initiative (GandHI) initiiert.

Literaturrecherche: Durch eine nicht-systematische Recherche und Bewertung internationaler Literatur zu Global Health in der medizinischen Ausbildung wurden die Schlüsselelemente für die inhaltliche Zusammensetzung des Positionspapiers identifiziert. Besondere Berücksichtigung erhielten hierbei die Curricula des University College of London (UCL) Centre of International Health and Development (CIHD) (http://www.ucl.ac.uk/cihd/undergraduate/ibsc/modoverv), der Kurse der International People’s Health University (IPHU) des People’s Health Movement (http://www.phmovement.org/iphu/) sowie Empfehlungen der „Think Global Initiative“ der International Federation of Medical Students’ Associations (IFMSA) (http://www.ifmsa.net/public/project.php?id=59).

Erstellung: Mehrstufiger Konsensbildungsprozess von Mai 2008 bis Januar 2009 durch Workshops, Arbeitstreffen, Gruppendiskussionen, Telefonkonferenzen und Email-Kommunikation, initiert und koordiniert durch den Arbeitskreis „Global Health Curriculum“ der GandHI. Berücksichtigung von Änderungs- und Korrekturwünschen sowie Ergänzungen im Rahmen von Telefon- und Kleingruppenkonferenzen sowie schriftlicher Kommunikation.

Stufen der Konsensbildung:

  • Stufe 1: Erstellung des Erstentwurfs innerhalb des Arbeitskreis der GandHI.
  • Stufe 2: Konsensbildung mit der AG Medizinische Ausbildung der bvmd, Vertretern der Gesamtinitiative und der AG Public Health der bvmd, resultierend in Zweitentwurf.
  • Stufe 3: Konsensbildung mit dem Plenum der bvmd am 10. Januar 2009 in Kiel.

Annahme des Papiers mit 21 Ja-Stimmen, 1 Enthaltung und 0 Nein-Stimmen.


Ergebnisse

Positionen

Die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd) plädiert für

i) eine Aufnahme des disziplinübergreifenden Fachgebiets Global Health als Wahlpflichtfach in Anlage 3 (zu § 2 Abs. 8 Satz 2) der ÄApprO 2002 für die Zulassung zum Zweiten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung.

ii) die Einführung von Lehrangeboten zu Global Health an allen medizinischen Fakultäten und die Verankerung dieser Angebote in den medizinischen Curricula als Wahlpflichtfach.

iii) eine grundsätzliche Orientierung der Lehrangebote zu Global Health an den medizinischen Fakultäten am „Health for All“ Prinzip der WHO als ethisch-moralische Grundlage.

iv) eine Orientierung an modernen Lehr- und Lernmethoden wie Kleingruppenunterricht, Gruppendiskussionen, problemorientiertem Lernen, Fallbeispielen, eigenständiger Recherche sowie community-based learning (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]).

Lernziele

Welche Kenntnisse und Kompetenzen benötigen Medizinstudierende um in einer globalisierten Gesellschaft zu leben und zu arbeiten?

Allgemeine Lernziele:

Da das ärztliche Handeln weitgehend von ethischen und moralischen Werten geleitet wird und die wertfreie Auseinandersetzung mit globalen Themen den damit verbundenen gesellschaftlichen Herausforderungen nicht gerecht wird, sehen wir die von der WHO im „Health for All“ Prinzip formulierten Werte „equity, solidarity and participation“ (Gerechtigkeit/Chancengleichheit, Solidarität und Partizipation) als geeignetes Fundament für ein Global Health Lehrangebot.

Diese sollen bereits bestehende Lernziele der Sozialmedizin, Tropenmedizin sowie der Querschnittsbereiche (insbesondere QB 1-3 und 10) nicht ersetzen, sondern auf diesen aufbauend eine weitergehende Beschäftigung mit internationalen und globalen Aspekten der individuellen und bevölkerungsbezogenen Gesundheit ermöglichen. Die im Vordergrund stehenden Lernziele können, auf diesen Werten aufbauend, anhand unterschiedlicher, internationaler Themen erarbeitet und erlernt werden.

Die bvmd erachtet die folgenden aufgeführten allgemeinen Lernziele als unerlässlich um lokale Auswirkungen globaler Ereignisse zu verstehen und hinsichtlich der eigenen Rolle als Arzt in der globalisierten Gesellschaft zu bewerten:

1.
das „Health for All“ Prinzip der WHO erläutern und in allen Ebenen des eigenen beruflichen Handelns anwenden können.
2.
Gesundheit als ein Menschenrecht erklären und daraus entstehende Handlungsmöglichkeiten für das eigene Handeln benennen können.
3.
soziale und grenzüberschreitende Determinanten der Gesundheit benennen und Zusammenhänge zwischen der aktuellen lokalen, nationalen und globalen Situation herstellen können.
4.
die Auswirkungen der Globalisierung auf die Gesundheit des einzelnen Patienten, der Gemeinde und der Bevölkerung anhand von Beispielen benennen und die damit einhergehenden Implikationen für deren Gesundheitsversorgung erfassen können.
5.
politische, soziale und ökonomische Faktoren identifizieren können, die die Gesundheit der Bevölkerung regional, national oder international gefährden.
6.
valide Informationen zu Global Health-Themen recherchieren, bewerten und im jeweiligen Kontext interpretieren können.
7.
die Ursachen für vermeidbare gesundheitliche Ungleichheiten (health inequities) beschreiben und sich dieses Public Health-Problems bewusst sein [21].
8.
die Rolle des Gesundheitssektors - abhängig von seiner Struktur, Organisation und Finanzierung - bei der Vergrößerung oder Verringerung vermeidbarer gesundheitlichen Ungleichheiten (health inequities) beschreiben können [21].
9.
ihre eigene Rolle in einem entsprechenden Gesundheitssektor reflektieren können, hinsichtlich der Aufgabe eine gerechte und qualitativ hohe Gesundheitsversorgung zur Verfügung zu stellen [21].
10.
die besondere Rolle des Arztes zur Erhaltung von Gesundheit und Vermeidung von Krankheit über rein medizinisch-kurative Gesichtspunkte hinaus kennen, schätzen und nutzen lernen.
11.
die Rolle internationaler Institutionen, Organisationen, Gremien und Abkommen kennenlernen und den Zusammenhang zwischen diesen und der lokalen sowie globalen Gesundheitssituation herstellen können.
12.
die Rolle und Verantwortung anderer Beschäftigter im und insbesondere außerhalb des Gesundheitssektors für die Gesundheit von Individuen, Populationen und der Community akzeptieren und schätzen lernen.
13.
Maßnahmen identifizieren können, die die Gesundheit der Bevölkerung regional, national oder international fördern.
14.
Möglichkeiten nennen können, die eine Betätigung als Gesundheitsadvokat, insbesondere für vulnerable Bevölkerungsgruppen, ermöglichen.
15.
Forschungs- und persönliche bzw. berufliche Handlungsfelder auf dem Gebiet Global Health kennen und benennen können.

Themenkatalog

Abbildung 2 [Abb. 2] zeigt eine Auflistung über mögliche Global Health-Themen, anhand derer themenspezifische Lernziele erarbeitet werden können, die zu den allgemeinen Lernzielen hinführen oder über diese hinausgehen. Diese Auflistung orientiert sich an international bereits vorhandenen Curricula. Aus diesem Grund ist sie in Englisch gehalten.

Global Health Curricula lokaler Universitäten sollten je nach Schwerpunkt verschiedene Themen aus Abbildung 2 [Abb. 2] beinhalten und mindestens drei Themen pro Cluster ausführlich behandeln. Drei sich gegenseitig ergänzende Themen innerhalb, sowie zwischen den Clustern sind als Beispiel für eine sinnvolle Schwerpunktbildung hervorgehoben.

Methodische Empfehlungen

Da die Universitäten in ihren Studienordnungen die Anforderungen an die jeweiligen Fächer regeln, bleibt die inhaltliche Ausgestaltung, die Methodik der Etablierung sowie Art und Umfang der Kurseinheiten letztendlich jeder Fakultät selbst überlassen. Dennoch möchten wir an dieser Stelle Empfehlungen für die Implementierung von Global Health in medizinische Curricula geben, die wir als sinnvoll erachten. Zur Erarbeitung der jeweiligen allgemeinen und themenspezifischen Lernziele aus dem Themenkatalog (siehe Abbildung 2: Themenkatalog [Abb. 2]) legen wir eine Lernmethodik nahe, welche die folgenden Aspekte berücksichtigt (siehe Abbildung 3 [Abb. 3]):

Diese Lehr- und Lernmethodiken gelten insbesondere und notwendigerweise für die lernzielorientierte Umsetzung eines Wahlpflichtfaches im Bereich ‚Global Health‘. Ein Wahlpflichtfach ‚Global Health‘ sollte die in Abbildung 4 [Abb. 4] genannten formalen und administrativen Aspekte berücksichtigen:


Schlussfolgerung

Aus den in der Einführung genannten Gründen sehen wir die Etablierung eines Lehrangebotes zu Global Health an den medizinischen Fakultäten in Deutschland als unerlässlich an. Das Positionspapier „Lehre am Puls der Zeit – Global Health in der medizinischen Ausbildung: Positionen, Lernziele und Empfehlungen“ der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd) kann hierbei als Orientierung dienen. Die Kernpunkte dieses Papiers sind in dem vorliegenden Artikel zusammengefasst. Wir hoffen, dass das hier formulierte Rahmenkonstrukt in Form von Inhalt, Methodik, Outcome und ethisch-moralischer Grundlage einen Grundstein für die praktische Umsetzung an Universitäten und lokalen Fakultäten darstellt. Langfristig sollte Global Health als disziplinübergreifendes Lehr-, Lern- und Forschungsfeld in medizinischen Curricula aller Fakultäten in Deutschland verankert werden. Den „Praxistest“ bei der Implementierung sowie die weiterführende Diskussion mit allen Beteiligten werden wir gerne von studentischer Seite aus unterstützen und begleiten.


Anmerkung

Die Vollversion des Kommentars/Hypothese der bvmd findet sich im Anhang [Anh. 1] zur elektronischen Ausgabe der GMS Z Med Ausbild.


Danksagung

Für die inhaltliche Unterstützung zur Erstellung des Positionspapieres danken wir allen Mitwirkenden der Globalisation and Health Initiative, insbesondere Konstantin Hauß, Judith Kasper, Tilo Meißner, Johannes Menzel-Severing, Jonas Özbay und Katharina Thilke. Des Weiteren danken wir allen UnterstützerInnen innerhalb der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland.


Interessenkonflikt

Die Globalisation and Health Initiative (GandHI) erhält für ihr Seminaprogramm eine Förderung von InWEnt (Internationale Weiterbildung und Entwicklung gGmbH) über das Förderprogramm Entwicklungspolitische Bildung (FEB). Die Erstellung des Positionspapiers „Lehre am Puls der Zeit – Global Health in der Medizinischen Ausbildung: Positionen, Lernziele und methodische Empfehlungen“ fällt nicht unter die von InWEnt geförderten Maßnahmen. Es bestehen keine Interessenkonflikte seitens der Autoren.


Literatur

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