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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Entwicklung von Lernzielen für das Tertial Allgemeinmedizin im Praktischen Jahr

Development of learning targets for the practical year of studies in general medicine

Forschungsarbeit/research article Humanmedizin

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  • corresponding author Dirk Moßhammer - Universität Tübingen, Lehrbereich Allgemeinmedizin, Tübingen Deutschland
  • author Gernot Lorenz - Universität Tübingen, Lehrbereich Allgemeinmedizin, Tübingen Deutschland
  • author Thomas Shiozawa - Universität Tübingen, Kompetenzzentrum für Hochschuldidaktik in Medizin Baden-Württemberg, Tübingen, Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2008;25(1):Doc73

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/journals/zma/2008-25/zma000557.shtml

Received: February 19, 2007
Revised: December 19, 2007
Accepted: December 19, 2007
Published: February 15, 2008

© 2008 Moßhammer et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution License (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.en). You are free: to Share – to copy, distribute and transmit the work, provided the original author and source are credited.


Zusammenfassung

Hintergrund: Der Gesetzgeber hat seit Oktober 2003 einen Teil der medizinischen Ausbildung im Praktischen Jahr (PJ) an die Allgemeinmedizin delegiert. An unserer Fakultät absolvieren seit 2006 Studierende das PJ in Allgemeinmedizin. Um einer wissenschaftlichen, praxis- und patientenbezogenen sowie fächerübergreifenden Ausbildung nachzukommen, bedarf es der Orientierung an Lernzielen. Diese existieren weltweit für allgemeinmedizinische Curricula und sind variabel und abhängig vom Ausbildungsstand und den Bedürfnissen vor Ort. Speziell für das PJ in Allgemeinmedizin hingegen sind bislang keine systematisch erarbeiteten Lernziele veröffentlicht.

Methodik: Mit Hilfe eines Gruppenprozesses, an dem PJ-Lehrärzte teilnahmen, wurden systematisch Lernziele für unser PJ erarbeitet. Diese wurden nach Niveaustufen nach Miller präzisiert und bei Eignung in Kompetenzkategorien (Anamnese, Untersuchung, Diagnostik, Differentialdiagnose, Therapie) eingeteilt.

Ergebnisse: Die Lernziele finden sich unter den Lehrinhaltsclustern „allgemeinmedizinische Aspekte“, „allgemeine Fertigkeiten“, „Symptome“, „Krankheiten“, „Therapien“ und „Fachsprache/Dokumentation“.

Schlussfolgerung: Die Präzisierung (nach Niveaustufen) und Kategorisierung der Lernziele hat zur intensiven Auseinandersetzung mit dem Stoffgebiet unseres PJ-Allgemeinmedizin beigetragen. Hierzu mussten der Ausbildungstand, die Häufigkeit und Schwere von Krankheiten und die Länge des Curriculums berücksichtigt werden. Der Lernzielkatalog soll uns und unseren Lehrärzten und Studierenden eine Orientierung im PJ geben. Er kann zudem zur Abgrenzung gegenüber den Anforderungen anderer Fächer bzw. der spezifischen Weiterbildung dienen.

Schlüsselwörter: Praktisches Jahr, Allgemeinmedizin, Curriculum, Lernziele

Abstract

Background: General medicine as an elective practical subject in the last year of basic medical education has recently been added to our medical school curriculum. Clerkships in general medicine have been widely defined around the world. Their learning objectives vary because they depend on the level of education and specific health care needs. In particular, specific learning objectives for this important practical period of medical education have not been elaborated systematically till now.

Methods: We conducted a structured group process with our teaching physicians and elaborated learning objectives classified by categories (history taking, examination, diagnostics, therapy) and specified according to Miller.

Results: The learning objectives can be clustered in „general medical aspects“, „general skills”, „symptoms”, „diseases”, „treatment” and „documentation/medical terminology”.

Conclusion: The categorisation and specification of learning objectives caused an intensive reflexion of our curriculum. Our learning objectives consider the level of education, the frequency and weight of diseases in familiy medicine and the duration of our curriculum. These learning objectives can serve as an orientation guide for us, our teaching physicians and students.

Keywords: undergraduate medical education, general medicine, curriculum, learning objectives


Einleitung

Das „Praktische Jahr“ (PJ) ist seit 1974 in der Approbationsordnung für Ärzte (ÄAppO) festgeschrieben. Im Jahre 1992 entstanden mit der Einführung der Pflichtweiterbildung vor der Niederlassung bezüglich der Allgemeinmedizin ÄAppO-Entwürfe, die im Jahre 2002 in Kraft gesetzt wurden. Unter anderem wird das PJ in Allgemeinmedizin neben den obligaten Fächern Chirurgie und Innere Medizin als einziges der möglichen Wahlfächer ausdrücklich erwähnt. Blieb bislang die Lehre im Fach Allgemeinmedizin lediglich auf das Blockpraktikum beschränkt, so hat der Gesetzgeber nun einen Teil der medizinischen Ausbildung im PJ erstmalig an die Allgemeinmedizin delegiert. Da seit 2006 unsere Fakultät das „Neuland PJ-Allgemeinmedizin“ betreten hat und der Forderung einer auf wissenschaftlicher Grundlage und praxis- und patientenbezogenen sowie fächerübergreifenden Ausbildung (ÄAppO §1 (1), § 28) nachzukommen ist, sehen wir uns in der Verantwortung, für das PJ-Curriculum-Allgemeinmedizin an unserer Fakultät Lernziele sicher zu stellen. Die Definierung von Lernzielen an unserer Fakultät soll der Abgrenzung wichtiger und im PJ zu bewältigender Lehrinhalte der Allgemeinmedizin, der Auswahl effektiver Lehrmethoden und der Qualitätssicherung [1] dieser wichtigen Praxis-Periode des Studiums dienen.

Der ÄAppO ist bezüglich des PJ zu entnehmen: „Die Studierenden sollen die während des vorhergehenden Studiums erworbenen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten im PJ vertiefen …sie sollen entsprechend ihrem Ausbildungsstand unter Anleitung, Aufsicht und Verantwortung des ausbildenden Arztes ihnen zugewiesene ärztliche Verrichtungen durchführen“ (ÄAppO, § 3, Praktisches Jahr). In § 1 der ÄAppO sind allgemein die „zu vermittelnden“ Lehrziele der medizinischen Ausbildung aufgelistet. Konkrete Lernzieldefinitionen für die Allgemeinmedizin anhand operativer Verben sind der ÄAppO jedoch nur ansatzweise zu entnehmen (§ 28, unter zweiter Abschnitt der ärztlichen Prüfung).

Bezugnahme auf internationale Literatur

Allgemeinmedizinische studentische Curricula (ASC) sollen das breite Spektrum der Gesundheitsversorgung vervollständigen, die Infrastrukturen im ambulanten Sektor aufzeigen [2] und angemessene klinische Erfahrungen vermitteln [3]. In Industrieländern und Entwicklungsländern sind ASC gewöhnlich so ausgerichtet, dass Studierende an die unmittelbare hausärztliche Tätigkeit (community-based and training-oriented) sowie an deren Entwicklung und Bedürfnisanpassung heran geführt werden (service-oriented). In entwickelten Ländern liegt die Betonung auf der Beforschung (research-oriented) der Gesundheitsanliegen im ambulanten Sektor [2], [4]. Lernziele für jeweilige ASC sind somit variabel und zugleich grundlegend für die medizinische Ausbildung [5], weil für ihre Definition der Ausbildungsstand und die jeweiligen Bedürfnisse vor Ort berücksichtigt werden müssen [6]. ASC beziehen sich auf die Themengebiete Symptomenkomplexe, häufige und chronische Erkrankungen und deren Behandlungen, allgemeine klinische Fertigkeiten sowie häusliche und familienzentrierte Betreuung und Langzeitbetreuung [3], [7]. Des Weiteren werden Bio-, Sozial- und Verhaltenswissenschaften [8], eine patientenzentrierte Sichtweise und Evidenz-basierte Medizin [9], [10] in ASC integriert. Lehrinhalte von ASC unterscheiden sich von denen der Sekundärversorgung – insbesondere der Inneren Medizin im Krankenhaus – hauptsächlich aufgrund der nicht vordiagnostizierten Patienten und deren Diagnosen. Größte Erfahrungen im Umgang mit akuten interdisziplinären Fällen machen Studierende in Curricula der Sekundärversorgung [8], [11]. Sinnvollerweise richten sich die Lehrmethoden an den Lernzielen aus [1].

Ziel dieser Arbeit

Die Curriculumsentwicklung für das PJ-Allgemeinmedizin erfordert die Einbeziehung aller Beteiligten [1]. Ziel dieser Arbeit war es deshalb, zusammen mit den Lehrärzten unserer Fakultät zunächst Lehrinhalte für das PJ-Allgemeinmedizin zu erarbeiten und dann diese zu Lernzielen nach Niveaustufen (modifiziert nach Miller [5]) zu präzisieren, die

1.
einer fakultätsinternen Kompetenzkategorisierung (bezüglich Anamnese, Untersuchung, Diagnostik und Therapie) und
2.
den Forderungen der ÄAppO gerecht werden können.

Methodik

Unter Einbeziehung der Lehrärzte fand die Erarbeitung der Lernziele wie folgt statt:

1.
Lehrinhalte wurden in einem Gruppenprozess erarbeitet. An diesem nahmen die ersten neun PJ-Lehrärzte teil, die alle langjährige Berufserfahrung aufweisen, aber keine spezielle Fortbildung in Medizindidaktik haben. Der schrittweise Ablauf des Gruppenprozesses ist in Tabelle 1 [Tab. 1] dargestellt und von der modifizierten nominalen Gruppentechnik (modified nominal group technique [12]) abgeleitet. Die Ausarbeitung erfolgte mit Flip Charts.
2.
Die Cluster der genannten Lehrinhalte aus dem Gruppenprozess wurden von den Autoren benannt, inhaltlich (aus eigenem Ermessen und anhand von Literatur, siehe Erläuterung jeweiliger Tabellen) ergänzt und bei Eignung nach anamnestischer, diagnostischer und therapeutischer Kompetenz und Untersuchungskompetenz in Lernziele präzisiert (siehe Tabelle 2 [Tab. 2], nach modifizierten Niveaustufen nach Miller [5]). Für die Ergebnisdarstellung und Diskussion dieser Arbeit wurde das Kompetenzzentrum für Hochschuldidaktik in Medizin Baden-Württemberg einbezogen. Die Lernziele wurden den üblichen Lernzieldimensionen Wissen, Fertigkeiten und Haltung zugeordnet.

Ergebnisse

Nach obigem Vorgehen ließen sich die folgenden Cluster benennen: Allgemeinmedizinische Aspekte (siehe Tabelle 3 [Tab. 3]), allgemeine Fertigkeiten (siehe Tabelle 4 [Tab. 4]), Symptome (siehe Tabelle 5 [Tab. 5]), Krankheitsbilder (siehe Tabelle 6 [Tab. 6]), Therapien und Fachsprache/Dokumentation. Die Cluster sind nach Niveaustufen (siehe Tabelle 2 [Tab. 2]) präzisiert, die an „Machbarem in der Praxis“ (Häufigkeit anfallender Tätigkeiten, Symptome und Krankheiten) und am Ausbildungsstand ausgerichtet sind. Im Folgenden werden für jedes Cluster Beispiele genannt, die Aufschluss geben über Qualität und Quantität des Lernziels, d. h. über die abverlangte Genauigkeit oder Tiefe und Häufigkeit oder Routine.

Lernziele zu allgemeinmedizinischen Aspekten

Tabelle 3 [Tab. 3] beinhaltet komplexe und schwierig zu evaluierende medizinische Sachverhalte, die zum Teil Ziele der Weiterbildung in Allgemeinmedizin sind. Deshalb erfolgt keine Präzisierung auf den Niveaustufen 2 bis 4. Folgende Beispiele dienen der Veranschaulichung. Zu 2.: Die Studierenden sollen kritische Fälle unter Reflexion der eigenen Fähigkeiten und der Behandlungsmöglichkeiten in der Praxis erkennen. Von Fall zu Fall müssen Indikation und Zeitpunkt einer Überweisung und die für sie notwendigen Befunde und Informationen erkannt und benannt werden können. Zu 3.: Die Studierenden sollen die Krankheiten und die spezifischen Untersuchungen von Früherkennungsuntersuchungen benennen können. Die Kriterien für ein sinnvolles Screening sowie die Definitionen von Sensitivität, Spezifität, positiver und negativer Vorhersagewert müssen benannt werden können.

Lernziele zu allgemeinen Fertigkeiten

Tabelle 4 [Tab. 4] enthält das Cluster mit den so benannten und nach Niveaustufen präzisierten, allgemeinen praktischen Lernzielen. Folgende Beispiele dienen der Veranschaulichung. Zu 2.: Ohren spiegeln sollen die Studierenden korrekt routiniert durchführen. Es sollten alle Gehörgang- und Trommelfellanteile eingesehen werden. Cerumen, Injektionen und Irritationen von Gehörgang und Trommelfell sind zu erkennen und im Gesamtkontext einzuordnen. Zu 3.: Studierende sollen mindestens einmal ein EKG selber schreiben. Die Studierenden sollen EKG routiniert befunden nach den Kriterien Lagetyp, Sinusrhythmus, Frequenz, Höhe und Morphologie der P-Wellen, Länge des PQ-, QRS- und QT-Intervalls, Höhe und Morphologie des QRS- und QT-Intervalls und R-Progression der Brustwandableitungen. Der Normalbefund und die Diagnosen Vorhofflimmern, Vorhofflattern, AV-Blöcke, supraventrikuläre und ventrikuläre Extrasystolen, Rechts- und Linksschenkelblock, alter und frischer Infarkt sollen routiniert gestellt werden. Zu 5.: Beispiel Akute und chronische Wunden versorgen: Orientiert an der Prävalenz soll der Studierende mindestens einmal eine Riss-, Quetsch, oder Schnittwunde, die auf die Haut begrenzt und sauber ist und keine Gefäß-, Sehnen- oder Nervenverletzungen aufweist, nach Bedarf nähen oder anderweitig versorgen (z. B. strippen oder nur verbinden). Die Versorgung chronischer Wunden schließt (infizierte) arterielle, venöse oder diabetische Ulzera ein.

Lernziele zu Symptomen

Tabelle 5 [Tab. 5] enthält Symptome, die im Gruppenprozess benannt und von den Autoren ergänzt und präzisiert wurden. Zwangsläufig ist die Präzisierung der Lernziele an die Symptomprävalenz der allgemeinmedizinischen Praxis geknüpft. Die Symptome werden im Patientenkontakt erfahren und gewöhnlich durch körperliche, praxisgemäße oder veranlasste Untersuchungen überprüft. Differentialdiagnostische Überlegungen sind implizit. Aus diesen Gründen sind die Symptome nach der Kompetenz bezüglich Anamnese, Untersuchung und Differentialdiagnose präzisiert. Differentialdiagnostische Überlegungen erreichen höchstens Niveaustufe 1, weil sie Faktenwissen darstellen. Zur Veranschaulichung dient die folgende Ausführung. Zu 1.: Grundsätzlich soll der Studierende zu diesen Symptomen eine gründliche Anamnese und Untersuchung routiniert anwenden können. Fallorientiert schließen differentialdiagnostische Überlegungen die gängigsten und häufigsten Erkrankungen ein. Beispiel Husten: Klinischen Verlauf (Dauer, Sputum, verbessernde/verschlechternde Faktoren) mit Einteilung in akuten und chronischen Husten sowie Medikamenteneinnahme (ACE-Hemmer) soll der Studierende routiniert eruieren können. Demnach steht hauptsächlich die körperliche Untersuchung von Kopf, Hals und Brustkorb im Vordergrund. Fallgemäß sollen Studierende die weiterführende Untersuchungen (Röntgen-Thorax, Spirometrie, Sputumuntersuchung, Magenspiegelung, pH-Metrie, CT-Thorax, Bronchoskopie) begründet und öfters angeordnet haben. Prävalenzorientiert sollen für die Differentialdiagnose virale/bakterielle Infektionen des oberen/unteren Respirationstrakts, postinfektiöse Rhinitis/Sinusitis/Bronchitis, (allergisches) Asthma, gastroösophageale Refluxkrankheit, (exazerbierte) COPD und eosinophile Bronchitis benannt werden.

Lernziele zu Krankheiten

Nachfolgend sind die genannten und die von den Autoren ergänzten Krankheiten aufgelistet (siehe Tabelle 6 [Tab. 6]). Die Lernziele sind nach diagnostischer und therapeutischer Kompetenz präzisiert. Zu 1.: Beispiel Akute Bronchitis: Die Studierenden sollen in der Lage sein, eine akute Bronchitis zu diagnostizieren. (Anmerkung: Diese liegt normalerweise bei sonst gesunden Personen mit Husten, unauffälligen Vitalzeichen und Fehlen von Infiltrationszeichen bei der Auskultation vor; sie kann begleitet sein von allgemeinem Krankheitsgefühl; auskultatorisch kann Giemen und Brummen vorliegen.) Ein Schnelltest auf Influenza A oder B- Infektion soll innerhalb der ersten 48 Stunden in Betracht gezogen werden. Bei unklarer Situation soll der Studierende nach Rücksprache mit dem Lehrarzt eine Thorax-Röntgenaufnahme zur Abgrenzung einer Pneumonie veranlassen. Er soll in der Lage sein, den Patienten aufzuklären, dass eine routinemäßige Antibiotika-Therapie nicht indiziert ist, da die akute Bronchitis meistens viral bedingt ist und innerhalb von ca. drei Wochen selbst limitierend verläuft. Bei positivem Schnelltest kann eine medikamentöse Therapie mit Amantadin, Rimantadin oder Neuraminidase-Inhibitoren und bei hyperreagiblem Bronchialsystem inhalative Betamimetika erwogen werden. Zu 2.: In Anlehnung an obiges Beispiel soll der Studierende die praxisgemäße und weiterführende Diagnostik nach Rücksprache mit dem Lehrarzt veranlassen. D.h. auch: Überweisungsschein ausfüllen, notwendige Befunde und Unterlagen für Überweisung bestimmen, bei fachärztlichen Kollegen Fall und Patient ankündigen und vorstellen). Die therapeutischen Schritte und Optionen dieser Krankheitsbilder unter 2. muss der Studierende wiedergeben können (z. B. medikamentöse, antithrombotische Therapie, Operation, Intensivüberwachung …). Zu 4.: Depression: Sie sollte in ihren typischen Ausprägungen erkannt und benannt werden können (Schlaf- Appetit- und Konzentrationsstörungen, Interessen- und Energielosigkeit, auffällige Psychomotorik). Der Studierende veranlasst die Bestimmung von TSH, T4 und eines Blutbildes. Suizidalität ist in jedem Fall zu erfragen. Eine Objektivierung der Depression soll anhand der Hamilton-Skala vorgenommen werden können. Die häufigsten Ursachen von Depression müssen benannt werden können.

Lernziele zu Therapien

Lernzieldimensionen: Wissen und Fertigkeiten. Der Begriff Pharmakotherapie blieb bei der Clusterbildung im Gruppenprozess solitär. Die Studierenden sollen Erfahrungen sammeln mit der Indikationsstellung, der Verordnung sowie der Begleitung einer Pharmakotherapie (mit Kontrolle auf Wirkung und Nebenwirkung). Sie sollen dabei die Pharmakotherapie der häufigsten Erkrankungen unter Aufsicht durchführen (Stufe 3). Die wichtigsten Arzneimittel, inklusive Betäubungsmittel, sollen unter Aufsicht und Anwendung von Arzneimittelinformationssystemen (z. B. Rote Liste und Systeme der Praxis-EDV) verschrieben werden (Stufe 3). Das Wiedergeben von Dosierungen ist nicht obligat. Indikationen für Physio- oder Ergotherapie sollen benannt werden können (Stufe 1).

Lernziele zu Fachsprache und Dokumentation

Lernzieldimensionen: Fertigkeiten. Für die genannten Begriffe „Fachsprache“ und „Dokumentation“ sowie den Ausdruck „fachlich korrekte Befundbeschreibung“ sollte die Stufe 3 (siehe Tabelle 2 [Tab. 2]) erreicht werden. Dies bedeutet, dass der Studierende Sachverhalte, Fälle und Patienten in der Fachsprache knapp und präzise mehrmals darstellt.


Diskussion

In einem Gruppenprozess wurden im Rahmen der Erarbeitung von Lernzielen für unser PJ-Allgemeinmedizin die Lehrinhaltscluster „allgemeinmedizinische Aspekte, allgemeine Fertigkeiten, Symptome, Krankheiten, Therapien und Fachsprache/Dokumentation“ erarbeitet. In einem weiteren Schritt wurden die Punkte dieser Cluster inhaltlich ergänzt und zu Lernzielen präzisiert. Soweit eine Kategorisierung von Lehrinhalten nach Kompetenzen (Anamnese, Untersuchung, Diagnostik, …) möglich war, führte sie zu einer inhaltlichen Konkretisierung der Lehrinhalte. Das Bronchitis-Beispiel zeigt jedoch, dass sie zu Überschneidungen von den einzelnen Kategorien führen kann, denn „Diagnostik“ besteht in diesem Beispiel zum Großteil aus „Anamnese und Untersuchung“. Insgesamt hat die Präzisierung (nach Niveaustufen) und Kategorisierung der Lernziele zur intensiven Auseinandersetzung mit dem Stoffgebiet unseres PJ-Allgemeinmedizin beigetragen.

Prozess der Lernzielerarbeitung

Bei der Erarbeitung (und Einteilung oder Clusterbildung) von Lehrinhalten und Lernzielen sind verschiedene Vorgehensweisen erwähnt. Die Einbeziehung der Beteiligten (z. B. Studierenden, Lehrärzte, Lehrinstitutionen) und die Literaturrecherche leisten dabei wesentliche Beiträge [8], [9], [11], [13]. Die Anwendung unseres Gruppenprozesses, die Ergänzung der Lehrinhalte durch die Autoren und die Präzisierung der Lernziele anhand modifizierter Niveaustufen (nach Miller) sind deshalb „legitime“ Vorgehensweisen bei der Erarbeitung dieses ersten Lernzielkatalogs für unser Curriculum. Der Gruppenprozess, der positiv von den Lehrärzten angenommen wurde, kann somit den Lehrärzten zur Identifikation mit den Lehrzielen dienen, weil diese von ihnen zum Teil selbst benannt wurden. Die genannten Lehrinhaltscluster mussten von den Autoren anhand allgemeinmedizinischer Curricula und Lehrbücher jedoch erheblich ergänzt werden (siehe Erläuterungen der Tabellen).

Bedeutungen und Limitationen unserer Präzisierung nach Kompetenzkategorien

Bei der Präzisierung der Lernziele wurden die Dauer des PJ-Tertials und die Prävalenz von Erkrankungen berücksichtigt. Die Einteilung nach Kompetenzkategorien und die Präzisierung nach Niveaustufen sind demnach an das „Mach- oder Erfahrbare in der Praxis“ gebunden. Dies bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass ausschließlich „weniger Häufiges“ nicht oder „Häufiges“ routiniert erledigt werden soll. Nach Tabelle 4 [Tab. 4] Punkt 5, zum Beispiel, wird „Blut abnehmen“ auf Stufe 2 verlangt. Es finden jedoch täglich häufige Blutabnahmen statt. Oder als weiteres Beispiel, die diagnostische Kompetenz der zwar seltenen, aber akuten oder schwerwiegenden Krankheitsbilder unter Punkt 2 in Tabelle 6 [Tab. 6] wird jedoch auf Stufe 4 verlangt. PJ Studierende sollen also so genannte „must-never-miss“-Diagnosen [14] routiniert im Praxisalltag abklären können. Anamneseerhebung und körperliche Untersuchung sollen PJ-Studierende in Allgemeinmedizin routiniert durchführen (siehe Tabelle 4 [Tab. 4], Punkt 1). Auf etwaige Überschneidung, die bei der Einteilung von Lernzielen nach Kompetenzkategorien auftreten können, wurde zu Beginn hingewiesen.

Die Lernzielcluster „allgemeinmedizinische Aspekte“ (siehe Tabelle 3 [Tab. 3]) sowie „Therapie“ und „Fachsprache/Dokumentation“ wurden nicht nach Kompetenzkategorien eingeteilt, weil sie sich dafür nicht eignen. Die theoretischen Themen (in Tabelle 3 [Tab. 3]) wurden wegen ihrer Wichtigkeit für die Allgemeinmedizin mit in unser Curriculum einbezogen.

Forderungen der ÄAppO und ihre Erfüllung

Nach § 1 der ÄAppO ist das „Ziel der ärztlichen Ausbildung … der wissenschaftlich und praktisch in der Medizin ausgebildete Arzt, der zur eigenverantwortlichen und selbstständigen Berufsausübung … befähigt ist.“ Die Ausbildung „ … soll grundlegende Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten … vermitteln, die für eine umfassende Gesundheitsversorgung … erforderlich sind.“ „ … in deren Mittelpunkt steht die Ausbildung am Patienten …“ (§ 3). Diesbezüglich nehmen in unserem Curriculum die symptomorientierte und zugleich gründliche Anamnese sowie die körperliche Untersuchung einen großen Stellenwert ein. Unsere aufgeführten Beispiele veranschaulichen, dass die anderen Kompetenzkategorien nach Kriterien, die auf wissenschaftlicher Evidenz basieren, abverlangt werden. Wir fordern in unserem Curriculum, bei differentialdiagnostischen Überlegungen in erster Linie die häufigsten Diagnosen und die Strategien „abwartendes Offenlassen“ und „abwendbar gefährlicher Verlauf“ mit einzubeziehen. Auf die für die Allgemeinmedizin typischen Punkte in § 1 (fächerübergreifende Betrachtungsweise, Beachtung von gesundheitsökonomischen Auswirkungen ärztlichen Handelns, Grundkenntnisse der Einflüsse Familie, Gesellschaft und Umwelt, geistige, historische und ethische Grundlagen ärztlichen Verhaltens) wird in Tabelle 3 [Tab. 3] eingegangen. Ihre Komplexität soll durch den Lehrarzt betont und demonstriert werden. Nach § 3 der ÄAppO (Praktisches Jahr) sollen „ … die Studierenden entsprechend ihrem Ausbildungsstand unter Anleitung, Aufsicht und Verantwortung des ausbildenden Arztes ihnen zugewiesene ärztliche Verrichtungen durchführen …“. Wir hoffen, dass aufgrund der unmittelbaren Anwesenheit des Facharztes als Lehrarzt die Forderungen in § 28 für das Fach Allgemeinmedizin weitestgehend erfüllt werden können.


Schlussfolgerung und Ausblick

In dieser Arbeit wurden mit Hilfe eines Gruppenprozesses, an dem PJ-Lehrärzte teilnahmen, systematisch Lernziele für unser PJ in Allgemeinmedizin erarbeitet. Insgesamt hat die Präzisierung (nach Niveaustufen) und Kategorisierung der Lernziele zur intensiven Auseinandersetzung mit dem Stoffgebiet unseres PJ-Allgemeinmedizin beigetragen. Bei der Definierung dieser Lernziele wurden der Ausbildungsstand sowie die Häufigkeit und Schwere von Krankheiten und die Länge des Curriculums berücksichtigt. Der Lernzielkatalog soll uns und unseren Lehrärzten und Studierenden eine Orientierung im PJ geben. Er soll zudem zur Abgrenzung gegenüber den Anforderungen anderer Fächer bzw. der spezifischen Weiterbildung dienen. In einem weiteren Schritt muss überlegt werden, wie dieser Lernzielkatalog zielorientiert umgesetzt werden kann (Lehr- und Lernmethoden). Ob und in wieweit unser Lernzielkatalog den konkreten Forderungen der ÄAppO (speziell des § 28) tatsächlich nachkommt, von Studierenden erfüllt und von Lehrenden gelehrt werden kann, bleibt zu evaluieren. Entscheidende Kriterien von Lernzielen sind somit ihre Eignung und Erreichbarkeit, die das Ziel kommender Untersuchungen sein werden. Es bleibt zu hoffen, dass zu deren Durchführung für eine adäquate Lehre im PJ-Allgemeinmedizin die von einigen Fakultäten geäußerten finanziellen und personellen Hindernisse [15] überwunden werden können.


Danksagung

Herzlicher Dank für die Materialsammlung gilt den niedergelassenen Allgemein- und PJ-Lehrärzten Frau Dr. I. Dabrunz (Tübingen) und G. Schweizer (Filderstadt) und Herr Dr. R. Burr (Hirrlingen), Dr. M. Datz (Tübingen), Dr. M. Eissler (Reutlingen), Dr. T. Huber (Leinfelden/Echterdingen), Dr. U. Ikker (Bondorf), Dr. M. Werner (Remshalden).

Besonders herzlicher Dank gilt Frau Dr. med. Lammerding-Köppel, MME, Leiterin des Kompetenzzentrums für Hochschuldidaktik in Medizin Baden-Württemberg, für die Anregungen bei inhaltlichen und methodischen Fragestellungen bei der Strukturierung dieses Textes sowie für das Korrekturlesen.


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